Flash-Mob in Moskau
Im dritten Jahr in Folge hatte Bürgermeister Jurij Luschkow sich geweigert, eine Kundgebung im Rahmen von Moskau Pride zu genehmigen. Wie in den Vorjahren kündigte daraufhin Paradenaktivist NIKOLAJ ALEKSEJEW eine Demo vor dem Rathaus in der Twerskaja Uliza an – diesmal für 13 Uhr. Ohne dass die Polizei davon Wind bekam, obwohl sie sicherlich Spitzel eingeschleust, Telefone abgehört und auch versuchte hatte, Aleksejew am selben Morgen noch festzunehmen, verabredeten sich zwei Dutzend AktivistInnen für 12 Uhr 45 zu einer Art Flash-Mob-Aktion: Vor der Statue des wohl berühmtesten russischen Homosexuellen, des Komponisten Peter Iljitsch Tschaikowski, am Platz vor dem Moskowskaja Konservatorija in der Bolschaja Nikitskaja Uliza – einen Katzensprung vom Kreml entfernt – entrollten sie Transparente, schwenkten Regenbogenfahnen und skandierten Parolen. Wie es für einen Flash-Mob gehört, löste sich der „Spuk“ nach cirka zehn Minuten genauso unvermittelt (und bevor noch die Polizei kam) wieder auf, wie er aufgetreten war.
Aleksejew hatte zuvor JournalistInnen konspirativ zu einer U-Bahnstation in der Vorstadt bestellt, von wo sie ein Kleinbus zum Ort des Geschehens brachte. Mit dabei u. a. ORF-Korrespondent Georg Dox und TV-Teams der ARD und des schwedischen Fernsehens. Unterwegs gab Aleksejew den JournalistInnen Interviews. Nach der Aktion vor dem Moskauer Konservatorium spazierten einige AktivistInnen und JournalistInnen zum Rathaus, wo sich Pride-GegnerInnen und die Polizei eingefunden hatten. Lesben und Schwule ließen sich kaum bzw. nur „inkognito“ blicken. Dafür wurde aber aus dem Fenster im zweiten Stock eines Wohnhauses gegenüber dem Rathaus ein Transparent entrollt und bunte Luftballons ausgelassen. Das Transparent wurde kurz darauf von beherzten Bewohnern der Wohnung darunter weggerissen. Die Polizei nahm indes die Aktivisten fest, die das Transparent aus dem Fenster gehängt hatten. Sie mussten die ganze Nacht im Polizeiarrest verbringen und wurden erst am nächsten Tag wieder freigelassen.
Den GegnerInnen gelang es offensichtlich bei weitem nicht, so viele AnhängerInnen wie in den letzten zwei Jahren zu mobilisieren (vgl. LN 4/2006, S. 25 f, und LN 4/2007, S. 26 f). Es war fast schon ein trauriger Anblick: Ein harter Kern von ein paar FanatikerInnen war offenbar ihr letztes Aufgebot; die Gesichter waren dem Autor dieser Zeilen bereits aus den letzten beiden Jahren vertraut. Auch die Polizei war in weit geringer Stärke vertreten. Und so hatte ich diesmal keinerlei Bedenken, dem schwedischen Fernsehen vor Ort ein Interview zu geben, um danach den Ort des Nicht-Geschehens allein zu Fuß zu verlassen.