Auslaufmodell EU?
Nach dem irischen Nein zum Lissabonner EU-Vertrag hat die SPÖ offenbar eingesehen, dass die blinde und völlig unkritische EU-Heiligenverehrung eine Sackgasse und längst nicht mehr mehrheitsfähig ist – man kann sie getrost der ÖVP und den Grünen überlassen. Allerdings traue ich der SPÖ nicht wirklich über den Weg. Vermutlich war der berühmte Brief an die Kronenzeitung doch bloß ein populistisches Manöver und kein substantieller Schwenk in Sachen Positionen zur EU, was indes sehr bedauerlich wäre, denn es wäre höchste Zeit, dass die Sozialdemokratie hier aufwacht!
Die EU in ihrer jetzigen Form ist ein Auslaufmodell. Sicher: Es ist nicht alles schlecht, und die Kritik an ihr ist oft ungerecht, falsch, absurd und jenseitig. Aber andererseits hat ihre Unbeliebtheit bei den Bevölkerungen Europas handfeste Ursachen und mehr als berechtigte Gründe. Auch die beste PR-Firma könnte daran nichts ändern, denn auch die beste Werbung stößt beim Verkauf eines schlechten Produkts an ihre Grenzen. Das sollten auch die EU-befürwortenden Medien und PolitikerInnen endlich einsehen. Statt jede Kritik an der EU als engstirnig, hinterwäldlerisch, dumpf und nationalistisch zu denunzieren, sollten sie lieber dafür trommeln, dass dieses Produkt endlich radikal verbessert wird.
Die EU ist in erster Linie eine Union für die Konzerne, die Wirtschaft und ihre Lobbys, denen alles untergeordnet und für die ganz Europa ohne Rücksicht auf regionale Unterschiede oder nationale Wünsche ausnahmslos über einen Kamm geschert wird – Stichworte Transitverkehr, Gen-Lebensmittel, Atomkraft usw. usw. Nur mit Müh und Not konnte das EU-Parlament verhindern, dass auch noch die sogenannte Daseinsvorsorge – öffentlicher Verkehr, soziale und Gesundheitsdienste, Wasserversorgung, Abfallwirtschaft etc. – dem Liberalisierungs- und Privatisierungswahn zum Opfer und damit letztlich in die Hände von Heuschrecken-Fonds oder staatlich kontrollierten Unternehmen aus Russland, Arabien oder China fallen konnte. Und als wollte man die ATTAC-Kritik an dieser urkapitalistischen EU unbedingt bestätigen, haben Kommission und Rat jüngst eine Arbeitszeitrichtlinie beschlossen und hat der EuGH gegen finnische und schwedische Gewerkschaften Urteile gefällt, mit denen Europas ArbeitnehmerInnen wieder ins 19. Jahrhundert zurückkatapultiert worden sind. Von wegen „soziale Union“! – Da kann man nur lachen.
Da helfen auch keine Beruhigungspillen mehr wie die Bekämpfung der Diskriminierung (siehe S. 24 ff). Oder einzelne für Lesben und Schwule positive Entscheidungen des EuGH wie in der Rechtssache Maruko gegen die Versorgungsanstalt der deutschen Bühnen (vgl. LN 3/2008, S. 26 + 28). Unsere Menschenrechte sind in Straßburg weitaus besser aufgehoben als in Luxemburg. Daher wäre auch die Ratifizierung des Zusatzprotokolls 12 zur Europäischen Menschenrechtskonvention durch Österreich bei weitem wichtiger als die EU-Grundrechtecharta (vgl. LN 1/2008, S. 6 f). Wobei gerade die Entscheidung im Fall Maruko ein gutes Beispiel dafür ist, wie die – demokratisch nicht legitimierten – EuGH-RichterInnen kraft ihres Amtes und teilweise mit abstrusen und völlig willkürlichen Urteilen Politik machen und versuchen, immer mehr Kompetenzen der Mitgliedsstaaten auf die EU-Ebene zu ziehen. Damit beugen sie nicht nur die Regeln, sondern tragen wesentlich zum allgemeinen EU-Frust bei.
Bestes Beispiel dafür ist das skandalöse Urteil, mit dem der EuGH letztlich den freien Uni-Zugang in Österreich zu Fall brachte. Dazu bedurfte es der grotesken Argumentation, die Voraussetzung eines österreichischen Maturazeugnisses für ein Studium stelle eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Nationalität dar. Aber natürlich war der damaligen schwarz-blauen Regierung die Beseitigung dieser sozialistischen Errungenschaft aus der Ära Kreisky nur recht. Sie überließ die Drecksarbeit gerne Brüssel – bzw. in diesem Fall eben Luxemburg. Wobei das Urteil ganz einfach zu unterlaufen wäre: Österreich müsste die gesetzlichen Regelungen bloß dahingehend ändern, dass jemand eben nicht nur mit bestandener Matura studieren darf, sondern mindestens ein „Befriedigend“ als beste Note im Zeugnis haben muss. Das würde wohl keine allzu große Einschränkung mit sich bringen (wer lauter Vierer im Maturazeugnis hat, hätte dann eben Pech), aber damit könnte Österreich den Zugang zu seinen Universitäten wieder völlig eigenständig regeln. Andere Mitgliedsstaaten gehen ja auch nicht vor einer Entscheidung des EuGH sofort in die Knie.
Im übrigen bin ich der Meinung, dass 25 Jahre rechte Mehrheit im Nationalrat und 22 Jahre ÖVP in der Regierung genug sind.
Que(e)rschuss LN 4/2008
Nachträgliche Anmerkungen
Zum selben Thema habe ich auch meinen Kommentar in den LN 5/2005 verfasst.
Bei anderer Gelegenheit hatte ich seinerzeit übrigens argumentiert, das EuGH-Urteil in Sachen freier Zugang für alle EU-BürgerInnen zu österreichischen Universitäten könnte man auch dadurch unterlaufen, dass Österreich Studiengebühren für alle einführt, seinen StaatsbürgerInnen aber ein Stipendium in gleicher Höhe gewährt. Eine ähnliche Regelung besteht ja aktuell in Deutschland mit der Mautgebühr. Diese wird für in Deutschland zugelassene Fahrzeuge über die Kfz-Steuer rückvergütet. Eine Regelung, die nach Ansicht des EuGH-Generalanwalts EU-rechtskonform ist. Die endgültige Entscheidung des EuGH steht indes noch aus.
Mit meiner Kritik am EuGH sollte ich nicht allein bleiben, siehe meinen Kommentar in den LN 3/2009.