EGMR verurteilt Österreich: € 25.000,– Schadenersatz an homosexuelles Paar
Erfolgreich in Straßburg war hingegen ein österreichisch-ungarisches Paar, das seit über 20 Jahren zusammenlebt und im August 2009 in Budapest auch eine eingetragene Partnerschaft geschlossen hat, die sie zuvor am Rande der WorldOutgames in der Kopenhagener Domkirche segnen ließen (vgl. LN 5/2009, S. 19). PÉTER BAKSY, der gelegentlich auch für die LN Berichte verfasst, und sein österreichischer „Ehemann“ JOHANN SPITZER haben ihren mehr als zwölf Jahre dauernden rechtlichen Kampf um Gleichstellung bei der gesetzlichen Mitversicherung nun auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gewonnen. Dieser veröffentlichte am 22. Juli 2010 sein Urteil in ihrer seit April 2002 anhängig gewesenen Beschwerde gegen Österreich [vgl. Aussendung der HOSI Wien vom 22. Juli 2010].
Dass sie die Sache gewinnen würden, daran bestand allerdings längst kein Zweifel mehr. Die Frage war vielmehr, wie lange die Entscheidung noch auf sich warten lässt, zumal etwa Schalk und Kopf (vgl. S. 19) ihre Beschwerde „erst“ 2004 in Straßburg eingebracht hatten und das Urteil darüber „schon“ im Juni 2010 veröffentlicht wurde. Aber blenden wir zurück: 1997 wurde Péter die Mitversicherung verwehrt, weil das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, das Johanns Pflichtversicherung als Beamter regelt, damals nur die Mitversicherung von anders-, aber nicht von gleichgeschlechtlichen LebensgefährtInnen vorsah. Ihre Beschwerden gegen diese diskriminierende Bestimmung beim Verfassungs- und beim Verwaltungsgerichtshof blieben 1998 bzw. 2001 erfolglos [vgl. Aussendung der HOSI Wien vom 21. Jänner 2002 sowie LN 2/2002, S. 16]. Nach Ausschöpfen des innerstaatlichen Instanzenzugs brachten Hans und Péter 2002 dann durch ihren Wiener Anwalt Josef Unterweger Beschwerde in Straßburg ein (Nr. 18984/02), wobei die HOSI Wien den Fall unterstützt hat. 2008 erklärte der EGMR die Beschwerde für zulässig. Und mehr als acht Jahre später wurde nun also das Urteil gefällt.
Teure VfGH-Spruchpraxis
Mittlerweile hatte sich aber die Rechtslage in Österreich schon geändert: 2003 hatte nämlich der EGMR in seiner richtungsweisenden Entscheidung in der ebenfalls von der HOSI Wien mitbetreuten Beschwerde Karner gegen Österreich festgestellt, dass jede Diskriminierung von gleich- gegenüber verschiedengeschlechtlichen Lebensgemeinschaften eine Verletzung der EMRK darstellt (vgl. LN 4/2003, S. 6 ff). Daher musste danach der Verfassungsgerichtshof die diesbezügliche Einschränkung der Mitversicherungsmöglichkeiten in den österreichischen Sozialversicherungsgesetzen bei der nächsten diesbezüglichen Beschwerde – im Oktober 2005 – als verfassungswidrig aufheben und damit seine eigene, damals nur fünf Jahre alte anderslautende Entscheidung in einem anderen Fall korrigieren (vgl. LN 1/2006, S. 6 f). Regierung und Parlament mussten danach die Sozialversicherungsgesetze entsprechend ändern, was mit dem Sozialrechts-Änderungsgesetz (SRÄG) 2006 erfolgte (vgl. LN 4/2006, S. 16, und LN 5/2006, S. 13).
Während also durch das am 1. August 2006 in Kraft getretene SRÄG die rechtliche Diskriminierung vor vier Jahren ohnehin beendet worden war, ist das Urteil des EGMR für das betroffene Paar insofern so bedeutsam, als nicht nur eine Verletzung der EMRK nachträglich festgestellt, sondern ihm vom EGMR auch ein Schadenersatz von insgesamt € 25.000,– zugesprochen wurde.
Mit dem SRÄG 2006 wurden damals gleich- und verschiedengeschlechtliche LebensgefährtInnen bei der Mitversicherung in der gesetzlichen Sozialversicherung gleichgestellt. Zum einen wurde die kostenlose Mitversicherungsmöglichkeit für EhepartnerInnen und verschiedengeschlechtliche LebensgefährtInnen im Falle, dass in der Ehe bzw. Lebensgemeinschaft ein minderjähriges Kind betreut wird oder eine/r der PartnerInnen schwer pflegebedürftig ist, auf gleichgeschlechtliche LebensgefährtInnen ausgeweitet. Zum anderen wurde bei der Gelegenheit jedoch die „begünstigte“ Mitversicherung (der/die verdienende Partner/in muss 3,4 % des Bruttoeinkommens als Zusatzbeitrag einzahlen) für kinderlose verschiedengeschlechtliche Lebensgemeinschaften abgeschafft – und daher auch für kinderlose gleichgeschlechtliche LebensgefährtInnen nicht eingeführt. Diese „begünstigte“ Mitversicherung ist seither kinderlosen Ehepaaren sowie seit dem 1. 1. 2010 auch kinderlosen eingetragenen PartnerInnen vorbehalten.
Allerdings blieb eine beim Inkrafttreten des Gesetzes vorhanden gewesene Anspruchsberechtigung auf „begünstigte“ Mitversicherung in einer kinderlosen heterosexuellen Lebensgemeinschaft unbefristet aufrecht, wenn die betreffende Person über 27 Jahre alt war; war sie jünger, endete der Anspruch spätestens am 31. 12. 2009. Diese Bestimmung ist natürlich insofern problematisch, als vor dem 1. August 2006 gleichgeschlechtliche LebensgefährtInnen – wie Péter und Hans – nicht anspruchsberechtigt waren und daher – im Gegensatz zu verschiedengeschlechtlichen kinderlosen Lebensgemeinschaften – auch keinen Anspruch in die neue Regelung „hinüberretten“ konnten. In diesem Umstand wollte der EGMR aber ausdrücklich keine Menschenrechtsverletzung sehen (Randnummern 46–50 des Urteils), was in der Tat einen Wermutstropfen bei diesem Urteil darstellt.
Nachträgliche Anmerkung:
Im August 2013 wurde Spitzer österreichischer Botschafter in Litauen. Er war der erste offen schwule und in eingetragener Partnerschaft lebende Botschafter Österreichs. Ich berichtete darüber in den LN 4/2013, S. 12):
Johann Spitzer – Österreichs erster offen schwuler Botschafter
Am 20. August 2013 empfing Litauens Staatspräsidentin Dalia Grybauskaitė Österreichs neuen Botschafter in Wilna, um dessen Beglaubigungsschreiben entgegenzunehmen. Was auf den ersten Blick wie tägliche diplomatische Routine aussah, war jedoch für Österreich – vermutlich aber auch für Litauen – eine echte Premiere, was zu Recht seinen Niederschlag auch in den Mainstreammedien der beiden Länder fand: Der 54-jährige Berufsdiplomat JOHANN SPITZER übersiedelte nämlich gemeinsam mit seinem ungarischen Mann PÉTER BAKSY in die Baltenrepublik. Spitzer ist Österreichs erster offen schwuler bzw. in eingetragener Partnerschaft lebender Botschafter. Er und Baksy sind seit beinahe 25 Jahren ein Paar.
Baksy, ein Skandinavist, der u. a. an der Uni Budapest lehrte, folgte Spitzer auch bereits in der Vergangenheit zu dessen Dienststellen an die österreichischen Botschaften in Kopenhagen und Stockholm, wo Péter von den Behörden der Gastländer auch vor seiner Verpartnerung mit Hans ganz selbstverständlich als dessen Lebensgefährte anerkannt wurde, und später auch nach Genf an die UN-Vertretung Österreichs. Dazwischen lebten die beiden aber wieder in ihren Heimatstädten Wien bzw. Budapest, wo Spitzer auch bei der Donaukommission arbeitete. Im August 2009 haben die beiden schließlich in der ungarischen Hauptstadt eine eingetragene Partnerschaft geschlossen (vgl. LN 5/2009, S. 19).
Hans und Péter sind in der Tat LN-LeserInnen nicht gänzlich unbekannt. Péter, übrigens ein treuer und begeisterter Besucher des Wiener Regenbogenballs und der Regenbogenparade, hat bereits öfters für die LN Beiträge verfasst, und zwar besonders ausführliche über die Entstehung des ungarischen Partnerschaftsgesetzes (vgl. LN 1/2008, S. 28 f; LN 1/2009, S. 22 ff, und LN 3/2009, S. 25 f).
Hans und Péter haben 2010 – nach zwölf mühsamen Jahren des juristischen Kampfes durch alle Instanzen, vertreten durch ihren Anwalt Josef Unterweger und unterstützt von der HOSI Wien – ein wichtiges Urteil durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erwirkt – nämlich in Sachen Gleichstellung bei der gesetzlichen Mitversicherung gleichgeschlechtlicher Lebensgefährten mit verschiedengeschlechtlichen (vgl. LN 3/2010, S. 21).