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Skylla und Charybdis

Erschienen am 6. Mai 2011

Am 2. Mai 2011 wurden die wegen Bildung einer kriminellen Organisation angeklagten TierschützerInnen nach einem millionenteuren, mehr als ein Jahr dauernden Strafprozess erwartungsgemäß – vorerst zumindest in erster Instanz – freigesprochen. Wer jetzt meint, da könne man sehen, Österreich sei ja doch ein Rechtsstaat, wo die Gerechtigkeit letztlich obsiege, der irrt gewaltig. Dass dieses Verfahren trotz der dünnen Ermittlungssuppe der Polizei überhaupt begonnen wurde und nicht schon viel früher eingestellt worden ist, stellt ja einen der größten Justizskandale in der österreichischen Nachkriegsgeschichte dar. Hier wurde viel zu spät die Notbremse gezogen. Private Existenzen wurden vernichtet. Wer ersetzt den Betroffenen ihre Unkosten, ihre verlorene Lebenszeit?

Natürlich ist das Wasser auf meinen Mühlen. Justiz-Bashing ist ja eines meiner Steckenpferde – auch an dieser Stelle (etwa in den LN 1/2006, S. 9, oder LN 1/2007, S. 10). Aber ich mache das ja nicht aus bloßer Voreingenommenheit, sondern weil es mehr als schwerwiegende Gründe für diese Kritik gibt. Und die basiert ja nicht zuletzt auch auf mehr als dreißig Jahren Erfahrungen in der Schwulen- und Lesbenbewegung mit dem Umgang der Justiz mit unseren Menschenrechten grundsätzlich, aber auch mit konkreten Einzelpersonen vor Gericht.

Man denke nur an die unglaubliche Saga in Sachen § 209 StGB – da bedurfte es fünf Verfassungsbeschwerden, bis sich der Verfassungsgerichtshof nach 16 Jahren (!) endlich dazu bequemte – als er wirklich nicht mehr „auskonnte“ –, diese Bestimmung als verfassungswidrig aufzuheben (vgl. LN 3/2002 Special, S. IV ff). Oder man denke an unseren sechs Jahre währenden Kampf gegen eine durch und durch inkompetente Justiz um das Gugg-Erbe (vgl. LN 1/2010, S. 12 ff). Die Fälle sind Legion!

 

Schwarz-blaue Korruptionseiterbeule

Nein, ich kenne kaum Gründe, auch nur das geringste Vertrauen in Österreichs Justiz zu hegen! Dazu gehört sicher nicht der Umstand, dass Typen wie Karl-Heinz Grasser oder Ernst Strasser immer noch frei herumlaufen. Oder dass Landeshauptmann Dörfler wegen mangelnder Intelligenz von der Kärntner Staatsanwaltschaft einen Freibrief für kriminelle Machenschaften ausgestellt bekommt. Oder dass sich die Staatsanwaltschaft extra blöd und naiv stellt, damit sich alle Korruptionsvorwürfe in Sachen Eurofighter in Luft auflösen. Hätte man auch nur einen Bruchteil der finanziellen und personellen Ressourcen, die man in die Verfolgung der harmlosen TierschützerInnen gesteckt hat, eingesetzt, um die schwarz-blaue Korruptionseiterbeule, die zwischen 2000 und 2006 gewachsen ist, aufzuschneiden, hätte es wohl handfestere Ergebnisse gegeben. Aber diese wollte man ja wohl gar nicht erzielen. Es drängt sich also der Verdacht auf, dass es hier ganz andere Seilschaften und kriminelle Vereinigungen im Staat gibt, die mit dem Mafia-Paragraphen bekämpft gehörten.

 

Keine Hoffnung auf Besserung

Auch der Umstand, dass die Justizministerin ausgetauscht wurde, lässt bei mir keine Hoffnung auf Besserung aufkeimen. Okay, Claudia Bandion-Ortner war zwar permanent überfordert und unausgeschlafen – ich werde nie vergessen, wie sie ständig gähnte, als sie am 9. Juni 2009 die LSBT-Bewegung zu einem Gespräch empfing (vgl. LN 4/2009, S. 22); ich hörte irgendwann auf, für jedes Gähnen ein Stricherl zu machen, weil es so viele waren! –, aber sie hat wenigstens das EP-Gesetz nicht verhindert. Ebenso wie der ebenfalls aus der Regierung ausgeschiedene Vizekanzler Josef Pröll. Der alte Spruch, es kommt nichts Besseres nach, hat sich einmal mehr bewahrheitet. Insofern kann man froh sein, dass wir als HOSI Wien 2009 in Sachen EP-Gesetz genommen haben, was wir damals kriegen konnten, und es nicht durch aussichtslose Justament-Forderungen gefährdet haben, wie es damals ein Teil der Bewegung als nützliche IdiotInnen der Grünen getan hat. Denn ob wir unter Spindelegger etwas Besseres bekämen, wage ich zu bezweifeln.

Ja, und so wird sich der Kampf um endgültige Gleichberechtigung und volle Menschenrechte in Österreich auch weiterhin zwischen Skylla und Charybdis – Justiz und Politik – bewegen, wo man nicht wirklich weiß, wäre es zweckdienlicher und zielführender, die Fortschritte politisch oder rechtlich erkämpfen zu wollen…

Aber wenn ich daran denke, dass eigentlich uns AktivistInnen von der HOSI Wien (oder jeder anderen unliebsamen NGO) genau dasselbe passieren hätte können wie den TierschützerInnen, dann wird mir nicht nur ganz mulmig, sondern immer klarer, dass politisches Engagement heutzutage abseits von LSBT-Fragen auf jeden Fall bedeutend wichtiger ist, als z. B. auch noch für den Bindestrich beim Doppelnamen nach der Verpartnerung zu kämpfen. Man sollte die eigenen Scheuklappen in der LSBT-Bewegung mitunter auch einmal ablegen und unsere Anliegen nicht immer als die allerwichtigsten betrachten.

 

Que(e)rschuss LN 2/2011