Reality-Check für aktuelle Forderungen: Fortpflanzungshilfe, Adoption & Co
Der Wiener Landtag hat am 24. November 2011 mit den Stimmen von SPÖ und Grünen eine Resolution zur Gleichstellung von Regenbogenfamilien beschlossen. Konkret fordert der Wiener Landtag mit dieser Entschließung die Bundesregierung auf, folgende gesetzlichen Maßnahmen zur Gleichstellung von Regenbogenfamilien zu setzen:
- den Zugang zu medizinisch unterstützter Fortpflanzung auch für alleinstehende Frauen und Lesben in eingetragener Partnerschaft zu ermöglichen
- die gemeinsame Adoption und Stiefkindadoption für eingetragene PartnerInnen zu ermöglichen
- die eigens geschaffene Kategorie „Nachname“ für eingetragene PartnerInnen abzuschaffen
- die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen.
Diese Forderungen decken sich nicht hundertprozentig mit jenen der Lesben- und Schwulenbewegung, zumindest nicht mit jenen der HOSI Wien. Fangen wir von hinten an: Die Öffnung der Ehe, dieses Rechtsinstituts aus dem 19. Jahrhundert, macht für uns nur Sinn, wenn das auf weite Strecken zweihundert Jahre alte Eherecht vorher oder zumindest gleichzeitig gründlich entrümpelt wird. Vor allem das Scheidungsrecht bedarf dringend einer Anpassung ans 21. Jahrhundert. Dass das anachronistische Scheidungsrecht fast unverändert für die eingetragene Partnerschaft (EP) übernommen worden ist, ist vermutlich ein wesentlicher Grund, warum die EP so unattraktiv ist und so wenig in Anspruch genommen wird (vgl. Que(e)rschuss auf S. 13).
Die Abschaffung der Kategorie „Nachname“ ist ein ideologischer Nebenschauplatz. In Wahrheit wäre es weitaus vernünftiger, die Bezeichnung „Familienname“ abzuschaffen und aus der gesamten Rechtsordnung zu eliminieren. In der Praxis wird diese Bezeichnung ohnehin kaum verwendet, in fast allen Dokumenten steht etwa nur „Name“ (Reisepass, Führerschein etc.).
Fortpflanzungshilfe
Dass der Zugang zu medizinisch unterstützter Fortpflanzung für alleinstehende Frauen und Lesben in eingetragener Partnerinnenschaft ermöglicht werden muss, ist klar (vgl. Bericht auf S. 20). Allerdings ist diese Forderung nicht weitreichend genug, denn medizinische Fortpflanzungshilfe steht auch einer heterosexuellen Lebensgemeinschaft offen und ist nicht an die Ehe gebunden, daher muss der Zugang zur künstlichen Befruchtung auch Lesben, die nur in Lebensgemeinschaft zusammenleben, ermöglicht werden. In Lebensgemeinschaft lebende Lesben waren hier also schon vor der Einführung der EP gegenüber verschiedengeschlechtlichen LebensgefährtInnen diskriminiert.
Eine entsprechende Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg hätte daher übrigens schon seit 2003 beste Erfolgsaussichten gehabt (vgl. auch LN 6/2009, S. 16 [„Dichtung und Wahrheit III“]). Denn in seinem bahnbrechenden Urteil vom Juli 2003 hat der EGMR ja bekanntlich in der von der HOSI Wien mitbetreuten Beschwerde Karner gegen Österreich ausdrücklich festgehalten, eine rechtliche Differenzierung aufgrund des Geschlechts bzw. der sexuellen Orientierung – und damit eine Ungleichbehandlung von verschieden- und gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften – stelle nur dann keine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) dar, wenn seitens des Gesetzgebers „schwerwiegende“ Gründe für eine solche Differenzierung ins Treffen geführt werden können (vgl. LN 4/2003, S. 6 ff). Die österreichische Bundesregierung hat jetzt Gelegenheit, den EGMR davon zu überzeugen, dass in diesem Fall solche „schwerwiegenden Gründe“ vorliegen, denn endlich hat sich ein Paar gefunden, das gegen diese rechtliche Diskriminierung Beschwerde beim EGMR einlegt. Es steht zu bezweifeln, dass es der Bundesregierung gelingen wird, entsprechende Argumente vorzubringen. Wir dürfen gespannt sein.
Jedenfalls ist auch in dieser Angelegenheit seitens der Lesben- und Schwulenbewegung mehr redliche und emanzipatorische Argumentation gefragt statt übertriebene betroffenheitspornografische Rhetorik, etwa die Gleichsetzung dieses fehlenden Zugangs zur Fortpflanzungshilfe mit einem allgemeinen Fortpflanzungsverbot für Lesben, das es natürlich nicht gibt (vgl. auch Que(e)rschuss in den LN 3/2011, S. 17).
Fremdkindadoption
Aus prinzipiellen Gründen muss natürlich die Möglichkeit der Fremdkindadoption durch gleichgeschlechtliche Paare erkämpft werden. Aber es sollte allen klar sein, dass dies in der Praxis für Österreich letztlich völlig bedeutungslos sein wird, weil es sich um eine symbolische Möglichkeit handeln wird. Österreich zählt – im Gegensatz etwa zu Großbritannien – zu jenen Ländern, wo es kaum einheimische Kinder zu adoptieren gibt. Für die paar Dutzend österreichischen Kinder, die pro Jahr adoptiert werden können, stehen hunderte bestsituierte Ehepaare auf den Wartelisten. Eine alleinerziehende Billa-Kassierin, die gerade keinen Partner hat, aber gerne ein Geschwisterchen für ihr leibliches Kind adoptieren möchte, hat da genauso wenig eine Chance gegen ein wohlhabendes Ehepaar, das drei Kindermädchen beschäftigen kann, wie ein gleichgeschlechtliches Paar gegen die massive Heterokonkurrenz.
Selbsterfüllende Stigmatisierung
Und da ist das Argument, schwule und lesbische Eltern seien genauso gute Eltern wie heterosexuelle, völlig irrelevant – abgesehen davon, dass ohnehin kaum jemand eine gegenteilige Ansicht ernsthaft vertritt, denn sonst müssten die Behörden ja den Eltern in bestehenden Regenbogenfamilien die Kinder – allein in Österreich etliche tausend! – von Amts wegen abnehmen und bei verschiedengeschlechtlichen Eltern unterbringen. Ja, wenn die Behörden wirklich der Überzeugung wären, Schwule und Lesben sind als Eltern ungeeignet, müssten sie sogar versuchen, alle verheirateten Schwulen und Lesben aufzuspüren, um die Kinder aus diesen Familien zu nehmen – immerhin ist auch heute noch in Österreich der „typische Schwule“ und die „typische Lesbe“ verheiratet und hat zwei Kinder. All das geschieht indes nicht, denn den Behörden ist klar, dass die sexuelle Orientierung keine Rolle dabei spielt, ob jemand eine gute Mutter oder ein guter Vater ist.
Es bringt daher nichts, wenn von schwul-lesbischer Seite massiv gegen diese Phantom-Argumente agitiert wird. Da ist es Themenverfehlung, noch ein Dutzend internationale Studien zu präsentieren, dass Lesben und Schwule genauso gut als Eltern geeignet sind wie Heterosexuelle und dass von homosexuellen Eltern aufgezogene Kinder nicht häufiger schwul oder lesbisch werden als jene heterosexueller Eltern. Gegessen! Das kann man mittlerweile als bekannt voraussetzen. Und die paar Verbohrten wird es immer geben! Was man mit derartiger Agitation daher höchstens erreicht, ist, dass solche vermeintlich vorherrschenden Ansichten erst popularisiert und in den Köpfen der Menschen verfestigt werden. Ich bezeichne dieses Phänomen gerne als „selbsterfüllende Stigmatisierung“.
Bei der Adoption geht es nicht – was leider die meisten adoptierwilligen Lesben und Schwulen vergessen – darum, kinderlosen Erwachsenen ihren Kinderwunsch zu erfüllen, sondern für die zu adoptierenden Kinder ausschließlich zu deren Wohl die am besten geeigneten Eltern zu finden. Und daher kann sich niemand beschweren, wenn Personen wegen besonderer Faktoren, wie Klasse, sozialer Herkunft, Vermögen oder eben sexueller Orientierung gegenüber anderen bevorzugt werden.
Kinder heterosexueller Eltern haben nun einmal geringere Chancen wegen der sexuellen Orientierung ihrer Eltern gemobbt zu werden als Kinder mit homosexuellen Eltern. Natürlich kann man einwenden, Kinder sind grausam, und sie mobben andere auch wegen roter Haare, Fettleibigkeit oder Hautfarbe. Ja, stimmt, und natürlich darf man vor diesen Vorurteilen nicht kapitulieren – keine Frage! Aber warum sollte eine Adoptionsbehörde ein Kind zusätzlichen potentiellen negativen Erfahrungen aussetzen, wenn es ohnehin eine große Auswahl an anderen Adoptiveltern gibt, bei denen sich zumindest diese Problematik erst gar nicht stellt? Eine Entscheidung zugunsten heterosexueller Adoptiveltern kann man den Adoptionsbehörden daher kaum vorwerfen – immerhin geht es in der Tat ausschließlich um das Wohl des Kindes und um sonst nichts.
Suche Kind, zahle bar
Der Widerstand gegen die Fremdkindadoption durch Schwule und Lesben ist also, wie gesagt, viel banaler: Die Heteros wollen keine Konkurrenz, denn woher will man all die Kinder nehmen, wenn nicht – buchstäblich – stehlen? Womit wir bei der Auslandsadoption sind. Doch auch diese Option ist eine rein theoretische. Es gibt derzeit keine einzige Regierung der Welt (und schon gar nicht in den klassischen Herkunftsländern von Adoptivkindern), die Kinder zur Adoption durch homosexuelle Paare im Ausland zur Verfügung stellen würde. Außerdem ist die internationale Adoption in jüngster Zeit ohnehin ziemlich in Misskredit geraten. Noch in guter Erinnerung ist der Fall eines äthiopischen Mädchens, das als angebliche Waise von einem österreichischen Paar adoptiert wurde. Als das Kind genug deutsch gelernt hatte, um sich zu verständigen, erzählte es von seinen Eltern, die immer noch in Äthiopien lebten. Der Schwindel flog auf, das Mädchen wurde zu seinen Eltern zurückgebracht. Dieser Fall zeigt exemplarisch, dass hinter den vorgeblich humanitären Zielen meist handfeste wirtschaftliche Interessen stehen.
Wer die erschütternde WDR-Dokumentation Suche Kind, zahle bar – Die Adoptionslobby (sie lief am 12. April 2011 auch auf 3sat) gesehen hat, wird wohl größte Skepsis gegenüber Auslandsadoptionen haben. Am Beispiel Rumänien wird in dieser Doku gezeigt, welche mächtige politische Lobby mittlerweile hinter der internationalen Adoptionsindustrie steht, was aber kein Wunder ist: Sie ist ein Riesengeschäft. Einige Organisationen verdienten in Rumänien pro Kind bis zu 20.000 Dollar. Rumänien entwickelte sich ab 1989 zu einem Kinderexportland. Mehr als 30.000 rumänische Kinder wurden in der Folge ohne Einwilligung ihrer Eltern ins Ausland vermittelt.
Eine EU-Beamtin deckte den Skandal auf, wurde aber aus ihrer Position gemobbt. Selbst der ehemalige EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen gestand zerknirscht ein, dass die EU zu lange tatenlos zugeschaut hatte. Schließlich wurde aber der EU-Beitritt Rumäniens mit einem Verbot von Auslandsadoptionen junktimiert. In der Folge entschied sich das Land 2004 für ein generelles Verbot von Auslandsadoptionen, wogegen die Adoptionsorganisationen, vor allem jene aus den USA, regelrecht Sturm liefen. Die Adoptionslobby versuchte sogar, durch einen Antrag über den Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments Rumänien unter Druck zu setzen und die Aufhebung des Adoptionsverbots zu erzwingen. Doch der Antrag wurde abgelehnt (mehr dazu auf: www.dradio.de/dlf/sendungen/europaheute/1167624/). Die Adoptionsindustrie ist daraufhin nach Südostasien weitergezogen und macht jetzt ihre Geschäfte vornehmlich in Bangladesch und Vietnam.
Reine Symbolik
Dass die Debatte um die Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare ziemlich müßig ist und die Durchsetzung dieser Forderung rein symbolischer Natur wäre, zeigt übrigens das Beispiel Schwedens und anderer Länder, wo die Fremdkindadoption durch gleichgeschlechtliche Paare theoretisch möglich ist. In Schweden ist die Fremdkindadoption durch gleichgeschlechtliche Paare sogar seit zehn Jahren (2002) erlaubt: Bis heute konnte jedoch kein einziges (!) Kind von einem lesbischen oder schwulen Paar adoptiert werden, obgleich mehrere Paare von den schwedischen Behörden bereits als Adoptiveltern ausgewählt worden sind – also quasi die Lizenz zum Adoptieren erhalten haben. Schweden hat aber wie Österreich kaum einheimische Kinder, die zu adoptieren wären, und wie gesagt: Kein Land, das mit Schweden auf bilateraler Ebene eine Adoptionszusammenarbeit unterhält, wäre bereit, ein Kind zur Adoption an ein gleichgeschlechtliches Paar nach Schweden zu geben (vgl. LN 4/2004, S. 9).
Man braucht sich also überhaupt keiner Illusion hingeben, dass nach dem allfälligen Ende des Adoptionsverbots in Österreich jedes Lesben- und Schwulenpaar, das ein Kind adoptieren möchte, dies auch tun könnte. Im Gegenteil: In der Praxis wird sich überhaupt nichts ändern – es wird zu keinen Adoptionen kommen. Daher wäre es eine falsche Prioritätensetzung, jetzt besonders viel Energie und Lobbyingaufwand in die Durchsetzung dieser Forderung zu investieren. Da reicht es wirklich, auf eine rot-grüne Mehrheit im Nationalrat zu warten, die dann diese rein symbolische und prinzipielle Gleichstellung erledigt.
Lesben und Schwule sollten übrigens besser keine EP eingehen, wenn sie ihre – minimale – Chance wahren möchten, eventuell als Einzelperson ein Kind aus dem Ausland adoptieren zu können, wozu mitunter die Regierung eines Herkunftslandes eher zustimmen würde als zu einer Adoption durch ein gleichgeschlechtliches Paar. Dasselbe gilt ja für eine inländische Adoption, die eingetragenen PartnerInnen nicht erlaubt ist, während sie für Einzelpersonen eine zumindest theoretische und gesetzlich vorgesehene Möglichkeit darstellt.
Allerdings hat der Umstand, dass trotz theoretischer Möglichkeit der Adoption nach zehn Jahren noch immer keine einzige stattgefunden hat, innerhalb der schwedischen LSBT-Bewegung eine Diskussion um die Leihmutterschaft ausgelöst. Ebenso in Belgien, wo die Situation ähnlich wie in Schweden ist. Zur Leihmutterschaft später.
Stiefkindadoption
Von größerer praktischer Bedeutung ist auf alle Fälle die Stiefkindadoption. Aber auch da scheinen sehr viele Lesben und Schwule falsche Vorstellungen zu haben. Stiefkindadoption macht sicher Sinn, wenn das Kind durch künstliche Befruchtung gezeugt wurde und quasi keinen offiziellen biologischen Vater hat, wenn der zweite biologische Elternteil verstorben ist oder wenn das Kind durch „Samenraub“ entstanden ist, also höchstens die leibliche Mutter weiß, wer der Vater ist, sie dies aber den Behörden (und eventuell auch dem „Erzeuger“) gegenüber verschweigt.
Wenn der zweite biologische Elternteil noch lebt, sich vom anderen bloß getrennt oder scheiden lassen hat, dann wäre eine Stiefkindadoption durch den/die neue/n Partner/in der Mutter bzw. des Vaters wohl eher selten. Das kommt ja heute auch in heterosexuell ausgerichteten Patchwork-Familien kaum vor – und das hat ja seine Gründe. Vor allem müsste ja der zweite biologische Elternteil einer Adoption durch die/den neue/n Partner/in der/des Ex zustimmen. Und warum sollte er/sie das tun? Höchstens, um sich der eigenen Unterhaltsverpflichtungen zu entledigen.
Und oft geht ja die neue Beziehung wieder in die Brüche, und was hat man dann davon, Adoptivmutter oder Adoptivvater eines Kindes zu sein, das nicht von einem selbst stammt und das die/der Ex als leiblicher Elternteil in die nächste Beziehung mitnimmt?
Eine Stiefkindadoption sollte man sich daher sowohl als nicht biologischer Elternteil sehr gut und gründlich überlegen (und eben die realistische Möglichkeit bedenken, dass die Beziehung nicht hält und man dann Elternteil eines fremden Kindes ist, dass der leibliche Elternteil höchstwahrscheinlich in die nächste Beziehung mitnimmt), aber auch der biologische Elternteil sollte die statistische 50-prozentige Chance eines Scheiterns der Beziehung nicht verdrängen – und in diesem Fall dann froh sein, dass er sich auf jeden Fall etwaige Sorgerechtsstreitereien mit der/dem Ex erspart, wenn diese/r eben nicht adoptiert hat. Aber vermutlich denken die Leute in ihrer romantischen Verliebtheit nicht so rational und können sich gar nicht vorstellen, dass ausgerechnet und gerade ihre Beziehung scheitern und in Rosenkrieg und Kampf um die Obsorge über das Kind nach der Trennung ausarten könnte. Mitunter muss man dem Gesetzgeber dankbar sein, dass er den BürgerInnen nicht gestattet, sich ins Elend zu stürzen.
Leihmutterschaft
Wie vorhin erwähnt, hat die Erkenntnis, dass auch die gesetzliche Möglichkeit, als gleichgeschlechtliches Paar theoretisch ein Kind adoptieren zu können, keine praktischen Auswirkungen hat, den Ruf nach Alternativen laut werden lassen – und eine wäre die Leihmutterschaft, die jedoch in vielen europäischen Staaten, darunter auch in Österreich, verboten ist.
Hier gibt es natürliche viele Pro- und Kontra-Argumente, auch zum Beispiel aus feministischer Sicht (das Monatsmagazin an.schläge etwa widmete dem Thema einen Schwerpunkt in seiner Oktober-Ausgabe), aber letztlich lässt sich selbst mit noch so akademischen und altruistischen Argumenten nicht verschleiern und zudecken: In unserer ur-kapitalistischen Weltordnung läuft auch Leihmutterschaft einmal mehr auf die totale Ausbeutung von Armen durch Reiche hinaus – in einer Linie mit der Lohnsklaverei in China zum Zwecke der Erzeugung von Billigwaren für die reiche Welt, mit dem oft euphemistisch als „Sexarbeit“ bezeichneten Menschenhandel, mit dem mittlerweile schwunghaften weltweiten Organhandel, dem bereits erwähnten Handel mit Adoptivkindern und ähnlichen Phänomenen.
Es ist eine Illusion, dass die Frauen in Indien, die aus ihrer wirtschaftlicher Notlage heraus für die Reichen im Norden Kinder gebären, endlich das nötige Einkommen erhielten, um ihre Armut hinter sich zu lassen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Genauso wenig, wie dies für die vielen Menschen in den armen Ländern eingetreten ist, die eine ihrer Nieren verkauft haben. Daran verdienen tun allein die Vermittlungsagenturen. Manche der Argumente für die Leihmutterschaft sind ähnlich zynisch wie jene der pädophilen Sex-Touristen, die sich damit rechtfertigen, dass durch ihre Zuwendungen an die von ihnen sexuell ausgebeuteten Kinder ja ganze Familien in Thailand, Kambodscha oder sonstwo ein besseres Leben führen könnten.
Was wäre auch ein fairer Preis für neun Monate Schwangerschaft und ein gesundes Baby: der Gegenwert eines Mittelklassewagens – oder doch eher eines gehobenen Luxusmodells der Marke Audi oder BMW? Wenn man das Gebären als Dienstleistung und ein Baby als Ware betrachtet, dann richtet sich der Preis in unserer kapitalistischen Welt selbstverständlich nach Angebot und Nachfrage. Und das Angebot wird angesichts der vielen hundert Millionen Armen in aller Welt immer größer sein als die Nachfrage. Ein weiterer Grund also, dafür zu sorgen, dass die Armen im Süden auch wirklich arm bleiben? Denn müsste man einen fairen Preis zahlen, könnten es sich ohnehin nur wieder die Reichen wie Elton John oder Sex and the City-Star Sarah Jessica Parker leisten…
Was passieren kann, wenn Schwule – ob naiv und unwissend oder bewusst in Kenntnis der Rechtslage – die Dienste von Leihmüttern im Ausland in Anspruch nehmen, war in den letzten Monaten in vielen Medien zu lesen. Vergangenes Frühjahr berichteten sie etwa über ein schwules Paar aus Belgien, das zwei Jahre darum kämpfen musste, ihren von einer Leihmutter in der Ukraine ausgetragenen Sohn nach Belgien zu holen. Das französische Homo-Magazin Têtu berichtete in seiner September-Ausgabe über einen ähnlichen Fall in Frankreich. Ein französisches Schwulenpaar ließ sich in Indien Zwillinge gebären, konnte sie aber nicht sofort nach Frankreich mitnehmen, weil die französischen Behörden die Einreise der Kinder vorerst nicht genehmigten. Erst nach Monaten gaben sie „ausnahmsweise“ die Erlaubnis. Mit ihrer harten Haltung wollen die Behörden Nachahmungstäter abschrecken, das in Frankreich bestehende Verbot der Leihmutterschaft im Ausland umgehen zu wollen.
Mit ähnlichen Schwierigkeiten müssten auch schwule Österreicher rechnen, sollten sie im Ausland die Dienste einer Leihmutter in Anspruch nehmen. Laut internationalem Personenstandsrecht haben unehelich geborene Kinder automatisch die Staatsbürgerschaft der Mutter. Will der (biologische) Vater sein Kind in seine Heimat holen, muss er für sein Kind, das eben nicht automatisch österreichischer Staatsangehöriger ist, zuerst einmal eine Niederlassungsbewilligung beantragen. Nach indischem Recht allerdings gilt die Leihmutter nicht als tatsächliche Mutter, das Kind bekommt also keine indische Staatsbürgerschaft, Indien stellt ihm auch kein Reisedokument aus. Das staatenlose Baby kann daher gar nicht reisen. Auf diese Rechtslage wird sogar auf dem Website des Außenministeriums hingewiesen.
Ich persönlich fände es jedenfalls fatal, würde sich ausgerechnet die Lesben- und Schwulenbewegung als Speerspitze für die Legalisierung der Leihmutterschaft und damit für die hemmungslose Ausbeutung von Frauen in der dritten Welt gerieren.
Nachträgliche Anmerkungen:
Die Rechtslage sollte sich einen Monat nach Erscheinen dieses Beitrags aufgrund eines Urteils des Verfassungsgerichtshofs vom Jänner 2012 ändern. Der Fall betraf ein heterosexuelles Paar. Insbesondere wenn zumindest einer der beiden Auftragselternteile auch leiblicher Elternteil ist, kann das von einer Leihmutter im Ausland geborene Kind legal nach Österreich gebracht werden. Der erwähnte Hinweis auf den Websites des Außenministeriums bzw. der österreichischen Botschaften wurde inzwischen entfernt.
In einem italienischen Fall hat später der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einer Beschwerde eines heterosexuellen Paares nicht stattgegeben, das gegen die Entscheidung der italienischen Behörden, ihm ein von einer russischen Leihmutter ausgetragenes Kind abzunehmen, vorgegangen war. Keiner der Elternteile war biologischer Elternteil. Die italienischen Behörden wollten mit ihrer Vorgangsweise das Verbot der Leihmutterschaft durchsetzen (vgl. LN 1/2017, S. 29).
Die HOSI Wien hat übrigens die Petition der Initiative „Stoppt Leihmutterschaft!“ für ein weltweites Verbot der Leihmutterschaft unterzeichnet: https://www.stoppt-leihmutterschaft.at/