Religionen wittern Morgenluft – Kirchen in die Schranken weisen!
Rechtsanwalt Wolfgang Renzl, HOSI-Wien-Generalsekretär Kurt Krickler und Eytan Reif von der Initiative „Religion ist Privatsache“ bei der gutbesuchten Pressekonferenz im „Gugg“ am 26. November 2012. Sie übten heftige Kritik an der Gründung des König-Abdullah-Zentrums für interreligiösen und interkulturellen Dialog (KAICIID) in Wien.
FOTO: CHRISTIAN HÖGL
In den letzten LN (S. 6 ff) haben wir die beängstigenden Tendenzen angesprochen, wie Kirchen und Religionen weltweit in letzter Zeit Morgenluft wittern und immer aggressiver versuchen, ihren Einfluss auf Staaten und Gesellschaft wieder stärker durchzusetzen. Damals ging es um die Beschneidungsdebatte; in den letzten zwei Monaten gab es weitere Ereignisse und Anlässe, die diesen traurigen Befund bestätigen. Auf internationaler Ebene gelang es etwa der Russischen Föderation, am 27. September 2012 im UNO-Menschenrechtsrat in Genf eine Mehrheit für die von ihr eingebrachte und von der russisch-orthodoxen Kirche „inspirierte“ Entschließung „über traditionelle Wert und Menschenrechte“ zu finden. Die verabschiedete Resolution ist zwar nicht bindend und enthält auch (noch) keine Formulierungen, mit denen die unveräußerlichen universellen und individuellen Menschenrechte zugunsten des Konzepts „traditioneller Werte“ oder kultureller Gruppenrechte direkt relativiert und unterminiert würden, aber der Umstand, dass man „traditionelle Werte“ in den Menschenrechtsdiskurs überhaupt einschleusen will, ist natürlich alarmierend, weil ein erster Schritt einer gezielten längerfristigen Strategie. Natürlich müssen jene, die dieses Konzept verfolgen, eine Salamitaktik anwenden. Die Verabschiedung dieser Resolution zeigt jedenfalls deutlich, wohin die Reise in der UNO gehen soll.
Auch in Österreich schlägt die ÖVP unter Michael Spindeleggers Obmannschaft einen Retrokurs ein und hat sich wie in guten alten Zeiten wieder zur völligen Marionette der römisch-katholischen Kirche gemacht, die unverhohlen die ÖVP-Parteilinie in wesentlichen Fragen bestimmt und den ÖVP-MinisterInnen vorgibt, was sie zu tun haben, wie jüngst das Beispiel der Novellierung des Gleichbehandlungsrechts einmal mehr deutlich vor Augen geführt hat (siehe Bericht auf S. 14).
Die HOSI Wien sieht in diesem wachsenden Einfluss der Kirchen und Religionen auf die Politik die größte Bedrohung für unsere Errungenschaften und Menschenrechte. Daher haben wir in den letzten Monaten begonnen, diesen anti-aufklärerischen und klerikal-reaktionären Tendenzen seitens sämtlicher Religionsgemeinschaften verstärkt entgegenzutreten.
In einem an Unterrichtsministerin Claudia Schmied gerichteten Schreiben forderte die HOSI Wien am 14. September 2012, der russisch-orthodoxen Kirche (ROK) in Österreich den Status einer staatlich anerkannten Religionsgemeinschaft abzuerkennen. Wir unterstützen in diesem Zusammenhang vollinhaltlich den diesbezüglichen Antrag, den die Initiative „Religion ist Privatsache“ im August 2012 eingebracht hatte. [Vgl. Aussendung der HOSI Wien vom 14. 9. 2012].
„Mit zunehmender Besorgnis beobachten wir“, heißt es in diesem Schreiben, „wie gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaften in Österreich immer lautstarker und massiver Grund- und Menschenrechte in Frage stellen, unterminieren und auch nicht davor zurückschrecken, den Rechtsstaat zu erpressen, wie etwa in der aktuellen Beschneidungsdebatte.“ Besonders verwerflich ist in dieser Hinsicht die politische Einmischung der russisch-orthodoxen Kirche, die heute leider in Russland quasi wieder mitregiert und die Politik Wladimir Putins und seiner Regierung unterstützt, die Rechte von Lesben und Schwulen drastisch einzuschränken, etwa durch jüngst beschlossene Gesetze, welche die „Propagierung“ von Homosexualität unter Strafe stellen und die auch konsequent gegen Homo-AktivistInnen eingesetzt und angewendet werden.
Ein unrühmlicher Höhepunkt dieser unheiligen Allianz zwischen russisch-orthodoxer Kirche und dem Putin-Regime ist ja die Verfolgung der Aktivistinnen von Pussy Riot nach Art der Inquisition. In jüngster Zeit hat die russisch-orthodoxe Kirche – und das ist auf keinen Fall widerstandslos hinzunehmen – ihre antidemokratischen und menschenrechtsfeindlichen Aktivitäten auch ins Ausland verlagert (vgl. LN 4/2012, S. 24).
Keine staatliche Unterstützung
Wir halten dies für äußerst bedenkliche Entwicklungen. Natürlich soll das Recht auf freie Meinungsäußerung auch für Religionsgemeinschaften und ihre Vertreter gelten, und wir fordern hier auch gar keine Einschränkungen: Wenn sie Homosexualität als Sünde verurteilen, nehmen wir gerne den demokratischen Meinungs- und Ideenstreit mit ihnen auf. Aber es kann nicht angehen, dass solche homophoben und antidemokratischen Haltungen durch die staatliche Anerkennung dieser Bekenntnisgemeinschaft, mit der zusätzlich viele – unserer Meinung nach völlig ungerechtfertigte – Privilegien einhergehen, auch noch den Segen des Staates erhalten und damit indirekt vom Staat gutgeheißen werden. Dies widerspricht auch fundamental dem Prinzip der Trennung von Kirche und Staat, auf dem Österreich eigentlich aufgebaut sein sollte.
In Beantwortung unseres Schreibens ließ uns Claudia Schmied am 4. Oktober mitteilen, dass eine derartige Aufhebung im Gesetz nicht vorgesehen sei. Dies bedeutet, dass die russisch-orthodoxe Kirche (ROK) nur durch entsprechende Änderung bzw. Abschaffung des „Bundesgesetzes über äußere Rechtsverhältnisse der griechisch-orientalischen Kirche in Österreich“ ihren Status als gesetzlich anerkannte Kirche in Österreich verlieren kann. Der Gesetzgeber hat offenbar alles getan, um eine demokratische Kontrolle dieser Kirchen oder gar eine Aberkennung ihres offiziellen Status zu verunmöglichen. Deshalb haben sich die beiden Initiativen entschlossen, als ersten Schritt die anti-demokratischen und im Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention stehenden Aktivitäten dreier orthodoxer Kirchen in einer ausführlichen Sachverhaltsdarstellung dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) anzuzeigen, und dieses ersucht, entsprechende Überprüfungen durchzuführen. Darüber informierten wir auch die Öffentlichkeit in einer Medienaussendung am 10. Oktober 2012.
Gerade was die ROK betrifft, scheinen uns alle Kriterien erfüllt zu sein, die im Sinne des § 278a StGB eine kriminelle Organisation definieren, weshalb wir das BTV auch aufgefordert haben, dies im Lichte der strafrechtlich relevanten Aktivitäten der ROK näher zu überprüfen. Laut § 278a StGB ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren zu bestrafen, wer „eine auf längere Zeit angelegte unternehmensähnliche Verbindung“ gründet, „die, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen (…), ausgerichtet ist, und dadurch (…) erheblichen Einfluss auf Politik (…) anstrebt und die andere (…) einzuschüchtern (…) sucht.“
Seit dem Vorjahr ist es in Österreich aufgrund des novellierten § 283 StGB eine Straftat, die mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu ahnden ist, wenn jemand für eine breite Öffentlichkeit wahrnehmbar u. a. gegen eine aufgrund ihrer sexuellen Orientierung definierte Gruppe von Personen zu Gewalt auffordert, aufreizt, hetzt oder sie in einer die Menschenwürde verletzenden Weise beschimpft. Und genau das tun die orthodoxen Kirchen Russlands, Serbiens und Bulgariens, deren Vertreter regelmäßig das Verbot der Regenbogenparaden in diesen Ländern fordern bzw. im Fall Bulgariens dieses Jahr sogar zur Gewalt gegen die ParadenteilnehmerInnen in Sofia aufgerufen haben, begründete die HOSI Wien die Befassung des Verfassungsschutzes. Die orthodoxen Kirchen in diesen Staaten fordern also, Lesben, Schwulen und Transgenderpersonen grundlegende Menschenrechte wie das Recht auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung nicht zu gewähren.
Russland mehrfach verurteilt
Besonders erschwerend ist das im Fall der Wiederholungstäterin ROK, zumal Russland 2011 bereits in drei Fällen wegen der Untersagung der Gay-Pride-Parade in Moskau vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verurteilt worden ist (Beschwerden Nr. 4916/07, 25924/08, 14599/09).
Jüngst gab es eine weitere Entscheidung gegen Russland: Der UNO-Ausschuss für Menschenrechte entschied am 19. November 2012 in der Beschwerde Irina Fedotowa gegen die Russische Föderation, dass das Verbot sogenannter „Homo-Progaganda“ in Russland die Menschenrechte der Beschwerdeführerin auf Meinungsfreiheit und Nichtdiskriminierung verletzt, wie sie durch die Artikel 19 bzw. 26 des UNO-Paktes für bürgerliche und politische Rechte garantiert werden. In Russland hatte Fedetowa bis zum Verfassungsgericht gekämpft, der jedoch das Propaganda-Verbot als verfassungskonform qualifizierte. Der Ausschuss bestätigte zudem einmal mehr, dass das Diskriminierungsverbot im Artikel 26 auch Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung umfasse, wiewohl dieses Merkmal darin nicht explizit aufgelistet wird.
Solidarität mit der LSBT-Bewegung
Für die HOSI Wien ist es daher in erster Linie auch ein Akt der Solidarität mit der LSBT-Bewegung in diesen Ländern, immer wieder auf die verfassungswidrigen, antidemokratischen, menschenrechtsfeindlichen homophoben Angriffe und Aktivitäten dieser orthodoxen Kirchen hinzuweisen. Deren österreichische Ableger sind von ihrer jeweiligen Mutterkirche völlig abhängig, daher müssen sich auch die österreichischen Behörden für diese Aktivitäten interessieren. Und da die ROK jüngst begonnen hat, auch im Ausland homophobe Aktivitäten zu setzen, müssen wir auch in Österreich wachsam sein und den Anfängen wehren. Jedenfalls ist es unerträglich und nicht hinnehmbar, dass diese homophoben und antidemokratischen Kirchen in Österreich unerhörte Privilegien genießen.
Ethikunterricht für alle
Ganz im Sinne der Bekämpfung und Zurückdrängung des viel zu großen Einflusses von Kirchen und Religionen auf Staat und Gesellschaft, der für jedes demokratische Gemeinwesen schädlich ist, unterstützt die HOSI Wien auch die Initiative für einen Ethikunterricht an den Schulen für alle. Anlässlich der Vorstellung der Plattform „Ethik für ALLE“ am 19. September 2012 in Wien stellte die HOSI Wien in einer Aussendung fest: „Wir finden es wichtig, dass der Ethikunterricht für alle und keinesfalls nur für jene SchülerInnen verpflichtend wird, die sich vom Religionsunterricht abgemeldet haben. Vielmehr soll der Religionsunterricht freiwillig sein, zu dem sich Interessierte zusätzlich zum Ethikunterricht anmelden können.“
HOSI-Wien-Obmann CHRISTIAN HÖGL meinte in diesem Zusammenhang, er erwarte sich von einem für alle Schüler und Schülerinnen verpflichtenden Ethikunterricht die Vermittlung „allgemein vertretbarer Werte, wie Respekt für und Toleranz gegenüber allen Menschen, und zwar ungeachtet ihrer Weltanschauung, ethnischen Herkunft oder sexuellen Orientierung“. Ein „Entweder-Oder“-Modell, das derzeit auch im Kern des Schulversuchs Ethikunterricht zu finden ist, lehne er jedoch strikt ab, da dieses es Religionsgemeinschaften ermögliche, sich „in Augenhöhe gegenüber dem Staat zu positionieren und zwar auch dann, wenn sie traditionell Menschenhass und die Ausgrenzung Andersdenkender gepredigt und praktiziert haben“. Högl verwies in diesem Zusammenhang auch darauf, dass es gerade religiös erzogenen Menschen oft besonders schwerfalle, ihre Homosexualität zu akzeptieren, und sie aufgrund ihres Glaubens in schwere Gewissenskonflikte gerieten, die in manchen Fällen sogar im Suizid endeten. Ein verpflichtender Ethikunterricht könne hier kompensatorisch wirken.
Religiösen Dialog mit Mörderregimen?
Ein weiterer Höhe- – oder besser: – Tiefpunkt in Sachen Neo-Durchdringung der Politik mit Religion ist die offizielle Beteiligung Österreichs an der Gründung des König-Abdullah-Zentrums für interreligiösen und interkulturellen Dialog (KAICIID) in Wien, woran u. a. die HOSI Wien heftige Kritik übte. Am 26. November hielt sie gemeinsam mit der Initiative „Religion ist Privatsache“ eine Pressekonferenz im Gugg ab, auf der Rechtsanwalt Wolfgang Renzl auch eine Anzeige bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft wegen Amtsmissbrauchs in Zusammenhang mit der Errichtung des Zentrums präsentierte.
Der Autor dieser Zeilen wies bei der Gelegenheit auf die katastrophale Menschenrechtslage im Königreich Saudi-Arabien hin: „Das Land ist ein mittelalterlicher Gottesstaat, eine Diktatur, in der ausschließlich die Scharia gilt; es ist neben dem Vatikan der einzige Staat der Welt, der die UNO-Menschenrechtskonvention nicht ratifiziert hat. Die Menschenrechte von Frauen, Kindern, religiösen und anderen Minderheiten, nicht zuletzt von Lesben und Schwulen, werden mit Füßen getreten. Außerdem ist Saudi-Arabien einer von sieben Staaten weltweit – allesamt übrigens islamisch geprägt –, in denen auf homosexuelle Handlungen die Todesstrafe steht. Für uns ist es völlig unverständlich und eine monströse Vorstellung, dass die Republik Österreich gemeinsam mit diesem Staat eine internationale Organisation aus der Taufe gehoben hat, die noch dazu in den ersten drei Jahren von diesem finanziert wird. Der Umstand, dass im Direktorium der Organisation ein schiitischer Vertreter aus dem Iran sitzt, wo seit der Machtübernahme der Ayatollahs 1979 nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen rund 4000 Lesben und Schwule hingerichtet worden sind, macht die Sache keineswegs besser.“
Wir haben ja grundsätzlich nichts gegen interreligiösen Dialog, aber den sollen sich die Religionsgemeinschaften als Nichtregierungsorganisationen doch bitte selber organisieren. Außerdem hätte man wenigstens auf rudimentäre Vorleistungen der Saudis bestehen können: Österreich hätte wohl auch kein entsprechendes Übereinkommen mit dem Vatikan geschlossen, wenn dort noch Inquisition und Hexenverbrennung an der Tagesordnung wären. Warum stören Bundesregierung und Nationalrat ähnliche Phänomene (Todesstrafe für den Abfall vom Glauben oder für Ehebruch) im Falle Saudi-Arabiens nicht? Der staatliche Segen ist auch deshalb ein äußerst problematisches Signal, weil den Religionsgemeinschaften damit wieder eine privilegierte Sonderstellung eingeräumt wird, die ihnen nicht zukommt, zumindest nicht in Österreich, wo ja – im Gegensatz zu Saudi-Arabien – eigentlich die Trennung von Kirche und Staat vorgesehen ist. Die HOSI Wien stört dieser staatliche Sanctus auch deshalb, weil sich unter den Zielen des KAICIID u. E. ausdrücklich religionsmissionarische Aktivitäten finden. So heißt es im Artikel II des Gründungsübereinkommens, das Zentrum wolle „ein verantwortungsvolles Ausleben der religiösen und spirituellen Dimension (…) der Gesellschaft“ sowie „den Respekt und die Erhaltung (…) religiöser Symbole fördern“. Dies ist nun wirklich keine Aufgabe, die ein säkularer Staat in dieser Form zu unterstützen hat.
Ein mehr als trauriges Kapitel stellt der Umstand dar, dass Ex-ÖVP-Justizministerin Claudia Bandion-Ortner auf der Pay-Roll der Saudis steht und sich mit deren Blutgeld ihr Gehalt als Vize-Generalsekretärin des KAICIID bezahlen lässt. Das ist wirklich ein absoluter moralischer Tiefpunkt und macht einen einfach nur sprachlos. In der schwarz-blauen Regierungsära bezeichnete André Heller diese Figuren so treffend als „seelenhygienisch heruntergekommene Politemporkömmlinge“ – dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen!
Nachträgliche Anmerkung:
Die erwähnte Beschwerde von Irina Fedotowa gegen die Russische Föderation richtete sich gegen ein regionales Verbot sogenannter „Homo-Progaganda“, und zwar jenes in der Region Rjasan. Das föderationsweite Propaganda-Verbot wurde erst im Juni 2013 beschlossen (vgl. LN 3/2013, S. 33) und später (2017) in Straßburg erfolgreich bekämpft: Beschwerde Nr. 67667/09 – Bajew u. a. gegen Russland (vgl. LN 3/2017, S. 22 ff).