Richtungsweisend?
Aus grundsätzlichen Erwägungen heraus war ich ja immer schon mehr als skeptisch, nicht demokratisch gewählte HöchstrichterInnen über alles und jedes entscheiden zu lassen, wofür ja eigentlich das Parlament zuständig wäre. Ein Höchst- bzw. Verfassungsgericht sollte nur in wirklichen „Notfällen“ und Fragen grundsätzlicher Bedeutung angerufen werden (müssen), aber nicht wegen jedes Bindestrichs in Doppelnamen und jeder sonstigen Bagatelle, wie das leider mittlerweile der Fall ist.
Aber daran ist in Österreich, einer leider etwas unterentwickelten parlamentarischen Demokratie, wo sich die Regierungsparteien ständig gegenseitig blockieren und manche Parteien bewusst und vorsätzlich die Menschenrechte mit Füßen treten, natürlich in erster Linie die Politik selber schuld. Und so darf es uns nicht wundern, dass dieses demokratiepolitische Defizit von den Höchstgerichten – vermutlich auch gegen deren Willen – ausgeglichen werden muss. Entwickeltere Gesellschaften und gefestigte Demokratien mit langer Tradition, etwa Dänemark oder Schweden, kommen hingegen sogar ohne eigenen Verfassungsgerichtshof aus. Im (seltenen) Fall des Falles entscheidet dort das Höchstgericht, unserem Obersten Gerichtshof vergleichbar, aber ansonsten herrscht breite gesellschaftliche Übereinkunft darüber, dass (gesellschafts-)politische Fragen gefälligst das Parlament unter Beachtung der Verfassung und Menschenrechtskonventionen zu entscheiden hat. Es gibt daher auch kaum Beschwerden aus diesen Ländern bei den supranationalen Gerichten, wie etwa dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).
In jüngster Zeit haben nun auch die GegnerInnen schwul-lesbischer Gleichberechtigung die Höchstgerichte als Kampfarena politischer Auseinandersetzung entdeckt. Auch sie haben begonnen – wie zum Teil die Lesben- und Schwulenbewegung –, nationale Höchstgerichte und den EGMR in Straßburg mit zum Teil von vornherein zum Scheitern verurteilten Beschwerden einzudecken. Dies hat inzwischen Formen angenommen, die man fast schon als bewussten Missbrauch dieser Gerichte betrachten kann.
Am 15. Jänner 2013 veröffentlichte etwa der EGMR sein Urteil in mehreren derartigen, mutwillig eingebrachten (weil nicht zu gewinnenden) Beschwerden (Eweida und andere gegen das Vereinigte Königreich). Unter anderem hatte eine britische Standesbeamtin wegen Verletzung ihres Rechts auf Religionsfreiheit geklagt, nachdem sie gekündigt worden war, weil sie sich aus religiöser Überzeugung weigerte, gleichgeschlechtliche Paare zu trauen. Das für die Beschwerdeführerin negative Urteil des EGMR wurde von verschiedener Seite als „richtungsweisend“ gefeiert. Was soll daran „richtungsweisend“ sein? Hier liegt wohl ebenfalls ein fundamentales Missverständnis über die Funktionsweise einer Demokratie vor: Gesetze werden immer noch im Parlament gemacht, und BeamtInnen haben sie ohne Wenn und Aber zu vollziehen. Wer als Beamter aus politischer oder religiöser Überzeugung bestimmte Gesetze nicht vollziehen will oder kann, hat ganz einfach den falschen Beruf gewählt. Ein Staat, der sich selber ernst nimmt, kann jedenfalls aus prinzipiellen Überlegungen nicht gestatten, dass einzelne BeamtInnen aufgrund ihres Gewissens entscheiden, welche Gesetze sie vollziehen und welche nicht! Das würde ja der Willkür Tür und Tor eröffnen. Daher war die Entscheidung des EGMR in diesem Fall weder überraschend noch „richtungsweisend“, sondern völlig logisch und vorhersehbar. Das war sicherlich auch den KlägerInnen von vornherein bewusst, aber offenbar ging es ihnen nur um „Public Relations“ für ihre Sache, um sich dann als arme christliche MärtyrerInnen darstellen zu können.
Diesen PR-Stellvertreter-Krieg haben sie sich offenbar von der Lesben- und Schwulenbewegung abgeschaut. Auch hier gibt es die besagten bedenklichen Entwicklungen. Was der Bewegung allerdings die ständigen (vorhersehbaren) höchstgerichtlichen Abfuhren bringen sollen, ist mir schleierhaft!
Am 19. Februar, wenn diese LN-Ausgabe bereits in Druck sein wird, steht wieder so eine vermeintlich „richtungsweisende“ Entscheidung an: Der EGMR wird sein Urteil in der Beschwerde Nr. 19010/07 (X und andere gegen Österreich) veröffentlichen. Ein lesbisches Paar und der leibliche Sohn einer der beiden Frauen haben Österreich verklagt, weil die Partnerin den Buben nicht als Co-Mutter adoptieren könne, ohne dass die leibliche Mutter auf ihre Elternrechte verzichtet (das österreichische Adoptionsrecht sieht nur die gemeinsame Adoption durch Personen verschiedenen Geschlechts vor). Auch in diesem Fall ist nicht zu erwarten, dass der EGMR entscheiden wird, dass diese gesetzliche Regelung die Menschenrechtskonvention verletzt, zumal die Umstände dieses Falls mehr als fragwürdig sind. Wiewohl die leibliche Mutter das alleinige Sorgerecht für den unehelich geborenen Sohn hat, gibt es offenbar einen leiblichen Vater, der über ein Besuchsrecht verfügt und womöglich gar nichts vom Adoptionsantrag der „Stiefmutter“ seines Sohnes weiß. Doch er müsste in jedem Fall die Zustimmung zur Adoption geben – auch als unehelicher Vater ohne Sorgerecht! Es scheint in diesem Fall auch menschlich bedenklich zu sein, dass die Mutter als Erziehungsberechtigte einfach auch im Namen ihres Sohnes klagt.
Selbst wenn die grundsätzliche Frage einer gleichgeschlechtlichen (Stiefkind-)Adoption wider Erwarten positiv entschieden würde, hätte dies daher für das konkrete lesbische Paar keine Folgen, falls der Vater sich weigert, seinen Sohn überhaupt zur Adoption freizugeben. Es wäre ja auch in jedem gleichgelagerten heterosexuellen Fall nicht möglich, dass ein Stiefvater gegen den Willen des leiblichen Vaters ein Kind seiner Partnerin oder Ehefrau adoptieren kann. Dies wäre wohl auch deshalb höchst problematisch, denn das würde Paaren die Möglichkeit eröffnen, ihre etwaigen Sorgerechtsstreitigkeiten dann auch noch übers Adoptionsrecht fortzusetzen. Und das kann’s ja wohl nicht sein. Und auch das leibliche Kind kann keinen Elternteil dazu zwingen, es zur Adoption freizugeben!
Sollte dieser Fall also „negativ“ ausgehen, sollte das kein Grund für Urteilsschelte oder Frustration sein: Es war dann eben einfach kein geeigneter Fall, eine Grundsatzentscheidung herbeizuführen. Bei solchen plan- und sinnlosen aktionistischen PR-Klagen sind eben Enttäuschungen vorprogrammiert. Wir sollten uns daher auf den politischen Weg rückbesinnen und uns eben ein Parlament wählen, dass diese Frage in unserem Sinne erledigt. Und dazu haben wir ja dieses Jahr wieder Gelegenheit.
Im übrigen bin ich der Meinung, dass 29 Jahre rechte Mehrheit im Nationalrat und 26 Jahre ÖVP in der Bundesregierung genug sind.
Que(e)rschuss LN 1/2013
Nachträgliche Anmerkung
Hier war ich zu pessimistisch und lag mit meiner Einschätzung falsch. Der EGMR in Straßburg gab den BeschwerdeführerInnen recht und bestätigte im Grunde seine bereits 2003 durch das Urteil in der Beschwerde Karner gegen Österreich etablierte Rechtsprechung, wonach eine rechtliche Unterscheidung zwischen verschieden- und gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) darstellt (vgl. LN 2/2013, S. 9 ff).