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Beitrag im Vienna-Pride-Magazin 2013

Blick über den Tellerrand – „United in Pride“ – auch international…

Veröffentlicht am 1. März 2013
In einem Beitrag für das Vienna Pride-Magazin 2013, herausgegeben vom Verein „CSD Vienna“, der damals den Vienna Pride und die Celebration nach der Regenbogenparade organisierte, schaute ich wieder einmal über den österreichischen Tellerrand. Das Motto von Vienna Pride und Regenbogenparade 2009 lautete „United in Pride“.

Während in „westlichen“ Ländern vieles – und rechtlich mitunter alles – erreicht wurde, stehen in vielen anderen Staaten bis heute Diskriminierung und Verfolgung auf der Tagesordnung. Solidarität mit den LGBT-Communitys in diesen Ländern ist daher auch heute immer noch besonders wichtig – unabhängig davon, ob man seine Urlauspläne lieber auf den internationalen Pride-Kalender abstimmt und Länder, in denen homosexuelle Handlungen mit Gefängnis- oder gar Todesstrafe bedroht sind, eher meiden will. Diese Solidarität will auch das Motto des diesjährigen Vienna Pride zum Ausdruck bringen.

Weltweit besteht immer noch ein Totalverbot homosexueller Handlungen in mehr als 70 Staaten, in einem halben Dutzend sind sie sogar mit Todesstrafe bedroht. Bei den meisten dieser Staaten handelt es sich um vor allem muslimisch geprägte Länder in Afrika und Asien. Lateinamerika hingegen hat in den letzten Jahren unglaubliche Fortschritte auf dem Gebiet der Entkriminalisierung gemacht und vor allem in Sachen Gleichstellung von Lesben, Schwulen und Transgender-Personen ziemlich aufgeholt, ob etwa durch Diskriminierungsschutz aufgrund sexueller Orientierung in der Verfassung Ecuadors oder die Öffnung der Ehe in Argentinien, um nur zwei Beispiele zu nennen, die diese Länder zumindest in diesen Dingen an die Weltspitze katapultiert haben.

Die strafrechtliche Lage spiegelt sich denn ziemlich eindeutig in punkto Pride-Paraden wider. In Afrika und Asien finden sie nur in einer Handvoll Länder statt. Auf dem afrikanischen Kontinent sind es sogar nur drei – in Südafrika, auf Mauritius und im Vorjahr erstmals in Uganda als Reaktion auf die Pläne der Regierung, sie strafrechtlichen Bestimmungen gegen Homosexualität noch zu verschärfen. Auch in Asien haben Pride-Paraden eher Seltenheitswert, wiewohl die strafrechtliche Lage nicht überall so trist ist wie in Afrika. In Südamerika finden dagegen einige der weltweit größten Paraden überhaupt statt, etwa in São Paulo – und sie haben mitunter eine weitaus längere Tradition als in so manchem europäischen Land – Österreich inklusive. In Mexiko-Stadt etwa findet heuer bereits die 35. jährliche Pride-Parade statt.

Man sieht also: Die Situation weltweit ist sehr vielfältig und lässt sich nicht verallgemeinern. Ein differenzierter Blick ist daher unbedingt nötig, um nicht auch in diesem Bereich Vorurteile und Stereotype zu produzieren. Dies gilt auch für Europa, das im globalen Vergleich eine sehr privilegierte Lage erreicht hat. Es ist der einzige Kontinent, der mittlerweile völlig frei von strafrechtlicher Diskriminierung ist. Darüber hinaus schützen viele Staaten durch entsprechende Antidiskriminierungsbestimmungen Lesben, Schwule und Transgender-Personen aktiv vor Benachteiligungen.

Allerdings zeigt Europa kein einheitliches Bild, wenn es um die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften geht. Hier gibt es eindeutig eine neue Nordwest-Südost-Trennlinie quer durch den Kontinent, die sich von Estland nach Italien zieht. In 21 europäischen Staaten, also fast der Hälfte, werden gleichgeschlechtliche Partnerschaften in irgendeiner Form anerkannt, darunter zur schreibenden Stunde in acht sogar durch Öffnung der Zivilehe, wobei mit Frankreich und Großbritannien demnächst zwei weitere folgen werden. Und auch was die gesellschaftliche Akzeptanz anbelangt, gibt es große Unterschiede in Europa. Und gerade da stellen die CSD- bzw. Gay-Pride-Paraden nach wie vor den berühmten Lackmustest für die demokratische Reife einer Gesellschaft dar.

In den letzten Jahren wurde dies besonders in vielen der neuen Demokratien Ost- und Südosteuropas deutlich: Dem rechtlichen Fortschritt – in vielen Fällen durch Europarat und EU aufgezwungen – hinkt das menschenrechtliche Bewusstsein in der Politik und Öffentlichkeit oft hinterdrein. Wiewohl die Durchführung von Pride-Paraden unter das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit fällt, meinen viele in diesen Ländern, es könne im Falle von CSD-Veranstaltungen unter Berufung auf das gesunde Volksempfinden einer Mehrheit der Bevölkerung außer Kraft gesetzt werden. Ein grobes Missverständnis in Hinblick darauf, was Menschenrechte eigentlich bedeuten.

 

Errungenschaften verteidigen

Diese Entwicklungen in dieser Region sollten durchaus als Warnung ernstgenommen werden. Sie zeigen, dass einmal erreichte Errungenschaften nicht automatisch auf Dauer garantiert sind, sondern mitunter immer wieder aufs neue verteidigt werden müssen. Das ist nicht nur eine Lehre für Lesben, Schwule und Transgender-Personen, die oft genug der Ansicht sind, man habe alles erreicht, man müsse nicht mehr kämpfen, und sich zufrieden zurücklehnen, sondern auch für die an und für sich positiv eingestellten Medien und die Öffentlichkeit, die ebenfalls meinen, die Sache sei doch erledigt und alles doch ohnehin bestens.

In etlichen Ländern war es ein harter Kampf, die Abhaltung von Paraden durchzusetzen, etwa in Polen, Lettland, Kroatien oder Rumänien – und dies gelang hauptsächlich durch Druck seitens der EU und des Europarats. In anderen Ländern ignorieren die Regierungen und die Politik jedoch weiterhin die Verpflichtungen, die ihnen aus der Europäischen Menschenrechtskonvention erwachsen. Und teilweise unterstützen die Behörden – offen oder verdeckt – nichtstaatliche Akteure, die geplante Paraden verhindern oder aufmischen, etwa in Russland, Moldawien oder Belarus.

Und so entstehen immer wieder neue kleine „Stonewalls“, die die Bewegung auf lange Sicht stärken, manchmal aber leider auch nachhaltig traumatisieren können. Von den gewalttätigen Übergriffen auf die erste Parade in Belgrad 2001 hat sich die serbische Bewegung bis heute noch nicht völlig erholt.

Die schmerzliche Erfahrung, wie schnell eine etabliert geglaubte Errungenschaft kippen kann, mussten die ParadenorganisatorInnen in Budapest machen. Seit 1997 hat in der ungarischen Hauptstadt alljährlich eine CSD-Parade stattgefunden – zehnmal völlig friedlich. 2007 gab es dann erstmals vereinzelt gewalttätige Attacken, doch 2008 musste ein Großaufgebot der Polizei die Parade vor dem aggressiven und gewaltbereiten Mob schützen und so ein Blutbad verhindern. Seit nunmehr 2009 findet die jährliche Parade leider quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt – von der Polizei großräumig abgesperrt wir ein G-8-Gipfel.

 

Nicht politisch genug?

Die KritikerInnen von Paraden – gerade in den eigenen Reihen – sollten daher eine der wichtigen Funktionen von Paraden bedenken: Sichtbarkeit zu schaffen. Dass diese so eminent wichtig ist, zeigt sich ja daran, dass sie unseren homophoben GegnerInnen ein so großer Dorn im Auge ist, dass sie uns am liebsten wieder in den Schrank zurückdrängen möchten; mitunter eben auch mit Gewalt. Daher werden ohne jeden Zweifel die CSD-Paraden noch lange ihre Existenzberechtigung beibehalten. Wir sollten in dem Zusammenhang den Begriff der „politischen“ Demo nicht zu eng sehen. Selbst wenn eine Parade ein fröhlicher, ja karnevalesker Umzug ohne konkrete politische Botschaften ist und die TeilnehmerInnen wie ZuseherInnen in erster Linie viel Spaß haben und ein Fest feiern, so ist und bleibt sie in erster Linie eine imposante Manifestation für unsere Anerkennung und unsere Rechte. Und überhaupt: Tausende Menschen, die offen lesbisch und schwul auf die Straße gehen, zehntausende Menschen, die sich mit unseren Anliegen solidarisieren – das ist nicht nur sehr beeindruckend, sondern das ist höchst politisch. Was könnte es Politischeres geben als diese massive Sichtbarkeit?

Und einen Aspekt sollte man ebenfalls nicht vergessen: Früher haben wir uns immer beklagt, keine Vorbilder zu haben. Die Paraden bieten für jede neue Generation solche Vorbilder. Sie können zum persönlichen Coming-out motivieren oder zu politischem Engagement. Das ist eine Erfahrung, die nicht nur viele AktivistInnen in der Vergangenheit gemacht haben, sondern wohl auch viele in der Zukunft noch machen werden.