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EuGH-Entscheidung zu Asylfragen: FPÖ blamiert sich

Veröffentlicht am 6. Dezember 2013
Im November 2013 fällte der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine wichtige Entscheidung zur Anwendung der EU-Asylrichtlinie. Die FPÖ pudelte sich reflexartig auf und stellte einmal mehr ihre sagenhafte Inkompetenz unter Beweis. In den LN 5/2013 analysierte ich das Urteil der Luxemburger RichterInnen, die u. a. auch klarstellten: Das Bestehen eines Totalverbots stellt nicht automatisch einen Asylgrund dar. Ein solches Verbot darf nicht bloß totes Recht sein, sondern muss auch angewendet werden.

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg

Am 7. November 2013 veröffentlichte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) sein Urteil in einem sogenannten Vorabentscheidungsersuchen, das ihm der niederländische Staatsrat („Raad van State“) zur Prüfung vorgelegt hatte. Der EuGH mit Sitz in Luxemburg wird auf Antrag nationaler Gerichte der 28 EU-Mitgliedsstaaten tätig und nicht – wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit Sitz in Straßburg (er ist eine Einrichtung des Europarats) – aufgrund von individuellen Beschwerden von BürgerInnen der 47 Mitgliedsstaaten des Europarats. Der EuGH und der EGMR werden leider auch von den österreichischen Massen- und sogenannten Qualitätsmedien und vielen uninformierten PolitikerInnen regelmäßig verwechselt.

Die Urteile des EuGH im Rahmen solcher Vorabentscheidungsverfahren sind im eigentlichen Sinne keine endgültigen Urteile, sondern vielmehr Feststellungen darüber, wie bestehendes EU-Recht von den nationalen Gerichten anzuwenden ist. Die Verfahren vor den nationalen Gerichten werden also nur unterbrochen, um die für den jeweiligen Einzelfall relevanten offenen Fragen vom EuGH prüfen und beantworten zu lassen. Anhand der vom EuGH vorgenommenen Feststellungen bzw. gefällten Urteile wird das Verfahren dann vom betreffenden Gericht fortgesetzt und entschieden.

Im gegenständlichen Fall ersuchte der niederländische Staatsrat, der hier quasi als oberster Verwaltungsgerichtshof des Landes fungiert und in dritter Instanz mit drei Asylverfahren befasst worden war, den EuGH um Auslegungshilfe betreffend die Richtlinie 2004/83/EG über „Mindestnormen für die Anerkennung und den Status als Flüchtling oder den subsidiären Schutzstatus“ in diesen drei zu diesem Zweck verbundenen Rechtssachen (C 199/12, C 200/12 und C 201/12).

Die drei Verfahren betreffen drei homosexuelle Asylwerber aus Sierra Leone, Uganda bzw. dem Senegal – drei Ländern, wo ein Totalverbot der Homosexualität besteht. In zwei Fällen hatte das Berufungsgericht den Asylwerbern recht gegeben, wogegen der zuständige Minister Rechtsmittel ergriff, im Falle des Senegalesen berief dieser gegen die für ihn negative Entscheidung des Berufungsgerichts, weshalb alle drei Verfahren schließlich vor dem Staatsrat landeten.

Der Raad van State hat klargestellt, dass in den drei Ausgangsverfahren in der Rechtsmittelinstanz weder die sexuelle Orientierung der Antragsteller bestritten noch in Zweifel gezogen worden sei, dass der Minister zutreffenderweise habe annehmen dürfen, dass die Asylantragsbegründungen nicht glaubhaft seien. Ferner hat das Gericht ausgeführt, der Minister habe insbesondere geltend gemacht, dass zwar von den Antragstellern nicht erwartet werde, dass sie ihre sexuelle Orientierung in ihren jeweiligen Herkunftsländern verbärgen, doch bedeute dies nicht, dass es ihnen freistehen müsse, sie in gleicher Weise öffentlich auszuleben wie in den Niederlanden. Der Raad van State hat außerdem festgestellt, dass zwischen den Beteiligten Streit darüber besteht, inwieweit das Ausleben der homosexuellen Orientierung durch die Richtlinie geschützt werde.

Unter diesen Umständen hat der Staatsrat entschieden, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Bilden Ausländer mit einer homosexuellen Ausrichtung eine bestimmte soziale Gruppe im Sinne der Richtlinie?

2. Falls Frage 1 zu bejahen ist: Welche homosexuellen Handlungen fallen in den Geltungsbereich der Richtlinie, und kann dies, wenn wegen dieser Handlungen eine Verfolgung stattfindet und die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind, zur Zuerkennung des Flüchtlingsstatus führen? Diese Frage umfasst nachfolgende Teilfragen:

a) Kann von homosexuellen Ausländern erwartet werden, dass sie ihre sexuelle Ausrichtung in ihrem jeweiligen Heimatland vor jedermann geheimhalten, um eine Verfolgung zu vermeiden?

b) Falls die vorstehende Teilfrage zu verneinen ist: Kann von einem homosexuellen Ausländer erwartet werden, dass er sich beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung in seinem Heimatland zurückhält, um eine Verfolgung zu vermeiden, und wenn ja, in welchem Maße? Kann insoweit von Homosexuellen mehr Zurückhaltung als von Heterosexuellen erwartet werden?

3. Stellt allein schon die Tatsache, dass homosexuelle Handlungen in diesen Ländern unter Strafe gestellt und mit einer Freiheitsstrafe bedroht sind, eine Verfolgungshandlung im Sinne der Richtlinie dar? Falls nein: Unter welchen Umständen ist dies dann der Fall?

In seinem Urteil traf der EuGH dann zu diesen Fragen drei Feststellungen. In der ersten Feststellung bestätigte der EuGH, dass besagte Richtlinie 2004/83/EG dahingehend auszulegen ist, dass das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen gegen Homosexuelle „die Feststellung erlaubt, dass diese Personen als eine bestimmte soziale Gruppe anzusehen sind“. Diese Klarstellung erscheint indes nur als einleitende Fleißaufgabe, denn die entsprechende Formulierung in der Richtlinie lässt diesbezüglich eigentlich gar keine Zweifel aufkommen: „Je nach den Gegebenheiten im Herkunftsland kann als eine soziale Gruppe auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Ausrichtung gründet.“ (Vgl. auch LN 4/2005, S. 20.)

 

Inkompetente Hetzer

Die Umsetzungsfrist für diese Richtlinie endete im Oktober 2006 – seither gilt diese Richtlinie in der ganzen EU mit Ausnahme Dänemarks, das sich im Vertrag von Amsterdam ein Opt-out für den gesamten Bereich des sogenannten „Raums der Freiheit, Sicherheit und des Rechts“ (also für die gesamte Justizzusammenarbeit) ausbedungen hat. In Österreich galt diese Anerkennung als Angehörige einer sozialen Gruppe bereits seit 1991, denn schon damals wurde – nicht zuletzt dank des Lobbying der HOSI Wien – in den Erläuterungen zum Asylgesetz festgehalten, dass verfolgte Lesben und Schwule unter einen der fünf in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Verfolgungsgründe fallen können, nämlich unter „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ (vgl. LN 1/1992, S. 14 f, und LN 2/2013, S. 14 ff)

Die umgehende Kritik von FPÖ-Politikern an diesem EuGH-Urteil – so forderte Generalsekretär und Sicherheitssprecher NAbg. Harald Vilimsky in einer Aussendung am 7. November: „Homosexualität darf kein Asylgrund werden!“ – hat einmal mehr gezeigt, wie uninformiert und inkompetent diese Partei ist. Da hat sie wieder einiges verschlafen, denn die Grundlage dafür, dass Homosexualität einen Asylgrund darstellen kann, ist ja nicht das jetzige EuGH-Urteil, sondern die bereits vor fast zehn Jahren beschlossene EU-Richtlinie. Leider haben Österreichs Medien und die anderen Parteien diesem Unsinn nichts entgegenzusetzen, weil sie genauso uninformiert sind wie die Hetzer der FPÖ.

Und die zweite Feststellung des EuGH in diesem Urteil müsste die FPÖ eigentlich freuen: Die Richtlinie 2004/83 sei, so der EuGH, dahingehend auszulegen, „dass der bloße Umstand, dass homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, als solcher keine Verfolgungshandlung darstellt. Dagegen ist eine Freiheitsstrafe, mit der homosexuelle Handlungen bedroht sind und die im Herkunftsland, das eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird, als unverhältnismäßige oder diskriminierende Bestrafung zu betrachten und stellt somit eine Verfolgungshandlung dar.“

 

Totalverbot ≠ automatisch Asyl

In seinen Vorbemerkungen zu dieser Frage führt der EuGH ergänzend aus (Randnummern 58–60): „Daher haben die nationalen Behörden (…) im Rahmen ihrer Prüfung der Ereignisse und Umstände (…) alle das Herkunftsland betreffenden relevanten Tatsachen einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften dieses Landes und der Weise, in der sie angewandt werden, zu prüfen. Im Rahmen dieser Prüfung müssen diese Behörden insbesondere ermitteln, ob im Herkunftsland des Antragstellers die in diesen Rechtsvorschriften vorgesehene Freiheitsstrafe in der Praxis verhängt wird. Im Licht dieser Hinweise haben die nationalen Behörden zu entscheiden, ob der Antragsteller tatsächlich Grund zur Befürchtung hatte, nach der Rückkehr in sein Herkunftsland (…) verfolgt zu werden.“

Mit anderen Worten: Das Bestehen eines Totalverbots stellt nicht automatisch einen Asylgrund dar. Ein solches Verbot darf nicht bloß totes Recht sein, sondern muss auch angewendet werden. Aber auch das ist nichts wirklich Neues. Jedenfalls bedeutet das EuGH-Urteil noch nicht automatisch, dass den drei Asylwerbern nun Asyl zu gewähren ist. Vielmehr müssen die niederländischen Behörden diese umfassende Prüfung nachholen und danach diese Entscheidung treffen.

 

Kein Zurück in den Schrank

Die einzig echte Neuerung in diesem Urteil findet sich in der dritten und letzten Feststellung des EuGH: „Bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft können die zuständigen Behörden von dem Asylbewerber nicht erwarten, dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheimhält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden.“

Mit anderen Worten: Niemandem kann zugemutet werden, sich zu verstecken und seine Homosexualität „diskret im Privaten“ auszuleben. Damit ist auch der Argumentation einer „innerstaatlichen Fluchtalternative“ („Gehen Sie halt woanders hin und tun Sie dort so, als wären sie nicht schwul!“), wie sie auch von österreichischen Asylbehörden mitunter – und vor allem gegenüber schwulen Asylwerbern aus Nigeria und Pakistan – vorgebracht wird, die rechtliche Grundlage entzogen.

Die Urteile des EuGH stehen auf dessen Website curia.europe.eu in allen Amtssprachen der EU zum Download bereit.