In dankbarer Erinnerung – Gudrun Hauer 1953–2015

Veröffentlicht am 11. Dezember 2015
Im November 2015 verstarb Gudrun Hauer, langjährige HOSI-Wien-Mitstreiterin und Co-Chefredakteurin der LAMBDA-Nachrichten. In einem Nachruf in den LN 5/2015 habe ich – gemeinsam mit anderen AutorInnen – ihre herausragende Arbeit und großen Verdienste in der lesbisch-schwulen Emanzipationsbewegung gewürdigt. Ergänzt wurden die Beiträge durch sehr persönlich gehaltene „Erinnerungssplitter“ – auch ich verfasste einen.
Gudrun Hauer
Gudrun Hauer

Am 4. November 2015 ist unsere Chefredakteurin Gudrun Hauer völlig überraschend nach kurzer schwerer Krankheit im 63. Lebensjahr viel zu früh verstorben. Ihr Name wird immer untrennbar mit den LAMBDA-Nachrichten verbunden bleiben. Seit 1981 hat Gudrun für diese Zeitschrift Texte geschrieben – anfangs noch als Gastautorin, da sie zu Beginn der 1980er Jahre in Salzburg lebte und studierte, wo sie sich bereits in der HOSI Salzburg engagierte. Nach ihrer Übersiedlung nach Wien stieß sie sofort zur LN-Redaktion, der sie seit 1984 angehört hat. In diesen mehr als drei Jahrzehnten verfasste sie unzählige Artikel und Beiträge. Ihre nicht nur journalistischen Schwerpunkte waren feministische Themen, Lesben- und Frauenrechte, Faschismus und Nationalsozialismus, aber auch Medienpolitik und die vielfältigen Aspekte der Innenpolitik ganz allgemein. Legendär sind auch die Hingabe und Sorgfalt, mit denen sie sich um das LN-Bücherressort bemühte. Und – es ist kaum zu glauben: In den letzten 25 Jahren stammte der Leitartikel jeder Ausgabe ausnahmslos aus Gudruns unbeugsamer Feder. 2005 wurde sie schließlich auch offiziell Chefredakteurin der Zeitschrift.

Gudrun war darüber hinaus an den meisten anderen wichtigen publizistischen Projekten der HOSI Wien beteiligt, nicht zuletzt als Mitherausgeberin von drei unserer Bücher: 1984 erschien Rosa Liebe unterm Roten Stern – Zur Lage der Lesben und Schwulen in Osteuropa, 1989 – zum 10. Geburtstag der HOSI Wien – Homosexualität in Österreich und 1996 Das Lambda-Lesebuch: Journalismus andersrum.

 

Vielfältiges Engagement

Gudrun war aber nicht nur leidenschaftliche Zeitungsmacherin und Publizistin – u. a. Chefredakteurin der an.schläge –, sondern seit 1983 auch eine vielfältig engagierte und verlässliche Aktivistin und Mitarbeiterin der HOSI Wien. 1985 war sie die erste Frau gewesen, die von der Generalversammlung in den Vorstand der HOSI Wien gewählt wurde. Zehnmal wurde sie als Schriftführerin wiedergewählt und gehörte in dieser Funktion elf Jahre dem Vorstand an. 1996 kandidierte sie dann nicht mehr für den Vorstand, zog sich aber keineswegs aus der ersten Reihe zurück, sondern unterstützte weiterhin die Vereinsarbeit durch ihr vielfältiges Engagement und ihre wissenschaftliche Expertise: So verfasste sie etwa für die HOSI Wien im Rahmen der Begutachtungsverfahren Stellungnahmen zu wichtigen Gesetzesentwürfen, insbesondere zu sehr komplexen Themen wie z. B. Gentechnik oder Fortpflanzungsmedizin.

Gudrun vertrat die HOSI Wien in vielen Zusammenhängen, ob bei Podiumsdiskussionen, auf Pressekonferenzen und gegenüber den Medien; ob beim politischen Lobbying oder in akademischen und wissenschaftlichen Kontexten oder bei Kooperationen und der Vernetzung mit anderen NGOs, speziell im feministischen Bereich – beispielsweise brachte sie sich im Namen der HOSI Wien sehr stark bei der nationalen Vorbereitung für die Weltfrauenkonferenzen der UNO ein. Und selbst wenn die Politologin und Historikerin in erster Linie in ihrer Eigenschaft als Wissenschaftlerin Vorträge auf Tagungen und Veranstaltungen im In- und Ausland hielt oder in den Medien auftrat, ja selbst im Rahmen ihrer Lehrverpflichtung an der Universität – immer schwang dabei Gudruns Rolle als Aktivistin der HOSI Wien bzw. der Lesben- und Schwulenbewegung mit. Wie breitgefächert das Spektrum ihres Engagements und ihres Wirkens war, wurde nicht zuletzt in den Ansprachen bei der Trauerfeier am 16. November deutlich – wir drucken sie im Anschluss ab, weil sie beispielhaft Gudruns vielfältige Verdienste würdigen.

Die genannten Themen Lesben- und Frauenrechte, Faschismus und Nationalsozialismus trieben Gudrun klarerweise auch als Aktivistin an. Und so prägte sie nicht unwesentlich die politischen Haltungen der HOSI Wien, etwa in Sachen Anti-Faschismus und Gleichberechtigung der Geschlechter. Als radikale Feministin der alten Schule eckte sie dabei mitunter vereinsintern bei so manchen Männern an. Als eines der „Urgesteine“ der HOSI Wien verkörperte Gudrun wie kaum jemand anderer unverrückbare und unverhandelbare Grundpositionen und Grundwerte – wie die Unantastbarkeit der Menschenwürde und den Kampf gegen ökonomische und sonstige Ausbeutung von Menschen –, ohne sich dabei den wechselnden Moden und Konjunkturen des Zeitgeistes zu unterwerfen.

In den mehr als drei Jahrzehnten ihres Engagements war Gudrun nicht nur eine ideologisch gefestigte, sondern auch eine verlässliche und loyale Mitstreiterin, die immer wieder einsprang, wenn Not am Mann oder – wie meist eher – an der Frau war. Und da spielte es keine Rolle, ob sie eine „offizielle“ Vereinsfunktion hatte oder nicht. Sie war die Gudrun Hauer, die aufgrund ihrer Erfahrung, ihrer Routine und ihrer Fachkompetenz den Verein kurzfristig aus dem Stand bei jeder Gelegenheit vertreten konnte, wenn wieder einmal alle anderen verhindert waren. Und es machte ihr auch Spaß, keine Frage. Und in der Tat vertrat Gudrun die HOSI Wien bei den denkwürdigsten und wichtigsten Gesprächsterminen in der Vereinsgeschichte: am 23. September 1992, als mit Franz Vranitzky zum ersten Mal in der Geschichte ein Bundeskanzler der Republik VertreterInnen der Lesben- und Schwulenbewegung zu einem offiziellen Gespräch empfing. Auch beim ersten offiziellen Zusammentreffen eines Bundespräsidenten mit Homo-AktivistInnen war Gudrun dabei – als Heinz Fischer am 15. Februar 2005 eine Delegation der HOSI Wien in der Hofburg empfing.

Weitere herausragende Begegnungen waren im Oktober 1990 jene mit Frauenstaatssekretärin Johanna Dohnal oder im Dezember desselben Jahres mit der Dritten Nationalratspräsidentin Heide Schmidt (damals noch FPÖ) – und dann am 24. August 1993 noch einmal, als Schmidt bereits Chefin des neugegründeten Liberalen Forums (LiF) war. Am 12. August 2004 vertrat Gudrun die HOSI Wien auch beim Gespräch bei der damaligen Justizministerin Karin Miklautsch (FPÖ) – diese war ja bekanntlich das einzige Mitglied der schwarz-blauen und später schwarz-orangen Bundesregierung, das VertreterInnen der Lesben- und Schwulenbewegung in jenen sieben dunklen Jahren von 2000 bis 2006 empfing!

 

Kämpferisch

Gudrun war aber nicht nur die akademische Theoretikerin und die taffe Lobbyistin, sondern auch die furchtlose aktionistische Kämpferin, die selten eine Demo ausließ. Das fing in den frühen 1980er Jahren bei den großen Friedensdemos und den 1.-Mai-Aufmärschen an, ging mit Antifa-Kundgebungen, dem unvergesslichen Lichtermeer gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus 1993 bis zu den Donnerstags-Demos gegen Schwarz-Blau Anfang der Nullerjahre weiter. Und natürlich versäumte Gudrun kaum eine Regenbogenparade.

Legendär und allen, die damals dabei waren, in Erinnerung geblieben, ist auf jeden Fall Gudruns „Auftritt“ bei der Feier anlässlich der Enthüllung des von Alfred Hrdlicka am Wiener Albertinaplatz geschaffenen Denkmals gegen Krieg und Faschismus am 24. November 1988: Eine Gruppe von Lesben und Schwulen entrollte ein Transparent mit der Aufschrift 1000e homosexuelle KZ-Opfer warten auf Rehabilitierung, um friedlich – und ohne zu stören – auf diesen Umstand aufmerksam zu machen. Als Polizisten auf die Gruppe zustürmten, um ihr das Transparent zu entreißen, begann Gudrun zu brüllen: „Nieder mit dem Faschismus!“, „Gleiche Rechte für Lesben und Schwule!“ (vgl. LN 1/1989, S. 18 ff). Gemeinsam mit ALFRED GUGGENHEIM ging sie danach rechtlich gegen diesen skandalösen und medial vielbeachteten Polizeiübergriff vor, weil sie darin eine Verletzung ihres Grundrechts auf freie Meinungsäußerung sah. Die Beschwerde kam bis vor die Europäische Menschenrechtskommission, die sie jedoch – fünf Jahre nach dem Vorfall – schließlich als unzulässig abwies (vgl. LN 1/1994, S. 10 f). Straßburg war damals weit reaktionärer und systemerhaltender als heute.

Gudrun hat sich ihr ganzes Erwachsenenleben für Gleichberechtigung und gegen Ausgrenzung und gegen politischen wie religiösen Obskurantismus eingesetzt und unermüdlich gegen Vorurteile und Diskriminierung gekämpft. Sie war dabei unbeugsam, konsequent, und, ja, in grundsätzlichen Dingen auch kompromisslos. Ihre Biografie ist geprägt von einem umfassenden gesellschaftspolitischen Engagement für eine bessere Welt. Es ist eine Biografie, wie sie in dieser in jeder Hinsicht ganzheitlichen und umfassenden Form äußerst selten ist. Gudrun war ein außergewöhnlicher Mensch.

„Mit Gudrun Hauer verliert die HOSI Wien eine ihrer für die Vereinsgeschichte prägendsten Persönlichkeiten“, hat Obmann CHRISTIAN HÖGL anlässlich von Gudruns Ableben so treffend erklärt. – Wir werden ihre großen Verdienste um die HOSI Wien und die österreichische Lesben- und Schwulenbewegung stets in ehrender Erinnerung halten.

Mein persönlich gehaltener Erinnerungssplitter

Liebe Gudrun!

Es ist immer noch so unwirklich. Bist Du tatsächlich gegangen? Muss ich diese Zeitung jetzt wirklich ohne Dich machen? Ich bin immer noch vollkommen sprachlos. Ja, mir fehlen die Worte! Gleich nach der schrecklichen Nachricht gingen mir so viele Gedanken durch den Kopf, die es wert gewesen wären, aufzuschreiben, aber ich konnte sie damals vor lauter Trauer und Traurigkeit nicht einfangen. Jetzt sind sie scheinbar verflogen, einer etwas konfusen Leere gewichen. Und im zeitlichen Abstand scheut man dann auch vor zu sentimentalen oder zu pathetischen Worten zurück, und vor allem vor allzu selbstbezogener, egozentrischer Reflexion über den so endgültigen Abschied von einer Person, mit der man 30 Jahre eng befreundet war.

Später habe ich versucht, mich mit klassischer Musik in die „passende“ Stimmung zu versetzen: Requien, Maria-Callas-Arien, Joseph Haydns wunderbare Septem ultima verba – umsonst, die Schreibblockade ist geblieben. Inzwischen sind mir viele andere zuvorgekommen und haben im Internet, im Kondolenzbuch, bei der Trauerfeier für Dich, in E-Mails an die HOSI Wien und zur Veröffentlichung in dieser LN-Ausgabe vieles in Worte gefasst, was ich Dir und uns Hinterbliebenen ebenfalls sagen wollte.

Am meisten hadere ich damit, dass Du so früh gehen musstest. Ausgerechnet jetzt, wo Du mit Ulli so glücklich warst, die Pension genießen hättest können. Und weil Du noch so furchtbar neugierig auf die Welt, das Leben und die Zukunft gewesen bist. Du hattest noch so viele Pläne, und bald zu sterben zählte definitiv nicht dazu! Auch die Diagnose warf Dich nicht aus der Bahn. Du warst guten Mutes, den Krebs zu besiegen – mit links! Das war kein selbstbetrügerischer Zweckoptimismus oder Wunschdenken, sondern rationale Einschätzung. Keiner von uns hat damit gerechnet, dass der Krebs so aggressiv ist, dass Dir nach der Diagnose nur mehr ein Monat bleiben würde. Vielleicht haben Dir die ÄrztInnen nicht reinen Wein eingeschenkt, wer weiß? Für den 5. November, den Tag nach Deinem Tod, war ja eigentlich der Beginn der Chemotherapie vorgesehen gewesen. Nein, der Zeitpunkt, zu dem Du aus dem Leben gerissen wurdest, war in jeder Hinsicht nicht stimmig! Es ist so unglaublich ungerecht, und das macht auch mich zornig.

Manchmal beneide ich die Leute, die an ein Leben nach dem Tod glauben können. Ja, entschuldige, ich hör’ schon wieder auf damit! Für unsereins muss es Trost genug sein – und ist es ja auch –, sich an die gemeinsame Zeit zu erinnern, an die vielen gemeinsamen Aktionen und Projekte, an die Gespräche und Diskussionen und den intellektuellen Austausch – ja, und ich merke schon, wie mir bei dem Gedanken daran bereits warm ums Herz wird. Und es gibt ja so vieles, was mich ständig an Dich erinnern wird – nicht zuletzt diese Zeitung, für die Du alles stehen und liegen gelassen hast. Auch bei der Produktion der letzten Ausgabe Mitte September: Du hast Dich krank gefühlt, aber ich habe Dich überredet, trotzdem noch alle Seiten des fertigen Layouts korrekturzulesen. Du wolltest aber nicht aus dem Haus gehen, so hat sie Dir Christian mit einem Botentaxi vorbeigeschickt, und ich habe die korrekturgelesenen Ausdrucke dann bei Dir abgeholt. Am nächsten Tag ging die Zeitung in Druck, und Du gingst zum Arzt, der Dich gleich ins Spital überwiesen hat, das Du dann nur mehr zwischendurch für wenige Tage verlassen konntest…

Ja, was bleibt, sind die Erinnerungen. Und die vielen gewichtigen Spuren, die Du auf dieser Welt hinterlassen hast. Ich danke Dir aus ganzem Herzen für Dein Engagement und alles, was Du für „die Sache“ getan hast, für Deine Loyalität, Deine Aufrichtigkeit und vor allem – für Deine Freundschaft. Du warst ein außergewöhnlicher Mensch, an den mich zu erinnern ich nie aufhören werde…

Großes, viel zu kurzes privates Glück: Gudrun Hauer heiratete ULRIKE STÜTZ am 4. Juni 2010.
Großes, viel zu kurzes privates Glück: Gudrun Hauer heiratete ULRIKE STÜTZ am 4. Juni 2010. FOTO: ARMIN PFAUSER
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