Kleines Polit-Einmaleins
Es ist noch einmal gut gegangen – bei der Wien-Wahl im Oktober [2015]. Sehr beruhigend, dass wenigstens in dieser Stadt die Mehrheit vernünftig genug ist, keine Regierung, die bei aller objektiven Kritik eine durchaus positive Bilanz vorweisen kann, aus Protest (oder weil es die Boulevard-Medien trommeln) in die Wüste zu schicken. Die Mehrheit in Wien scheint eben diese Bilanz und die damit verbundene Lebensqualität nicht für irgendwelche Experimente mit ungewissem Ausgang aufs Spiel setzen zu wollen. Es ist aber auch nicht wirklich eine Alternative in Sicht. Die FPÖ wird wohl nie über viel mehr als 40 Prozent kommen, und mit einer im einstelligen Bereich zerbröselten ÖVP wird sich indes sonst keine Regierungsmehrheit ausgehen! Übrigens: Meine Freude über dieses ÖVP-Debakel war schier grenzenlos, was habe ich an diesem Abend des 11. Oktobers gejubelt!
Auf Bundesebene ist das anders. Dort gäbe es im Gegensatz zu Wien wenig Grund, der amtierenden Regierung nachzutrauern. Der Verlust welcher Errungenschaften des rot-schwarzen Einheitsbreis würde einen in Panik versetzen? Mir fällt jetzt ad-hoc keine ein, da müsste ich schon länger nachdenken.
Das größte Rätsel in diesem Zusammenhang ist und bleibt für mich, warum die Leute, die unbedingt einen Wandel wollen, in ihrer Verzweiflung ausgerechnet die FPÖ wählen. Da kann ja maximal erst wieder bloß Blau-Schwarz rauskommen, und das hatten wir ja schon sieben Jahre lang, die korrupteste Regierung ever! Aber nicht nur, dass Blau-Schwarz eh bereits einmal grandios gescheitert ist – was erwartet man von einer neuen Regierung(skonstellation), in der dann – wie in den letzten dreißig Jahren! – erst recht wieder die ÖVP sitzt?
Wehleidige FPÖ
Das ewige wehleidige Gewinsel der FPÖ, von der SPÖ ausgegrenzt zu werden, nervt nicht nur, es ist auch lächerlich. Diese beiden Parteien trennen – nicht nur in Homo-Fragen – ideologisch Welten, und ich hoffe, das bleibt so (außer die FPÖ vollzieht einen Kurswechsel um 180°). In Deutschland etwa beklagt sich Die Linke ja auch nicht ständig bitterlich darüber, dass die CSU nicht mit ihr gemeinsam regieren will!
Da auch auf Bundesebene nicht damit zu rechnen ist, dass die FPÖ jemals eine absolute Mehrheit erreichen wird, wird sich an diesen Grundgegebenheiten so lange nichts ändern, bis die WählerInnen endlich radikal strategisch anders wählen. Wenn sie etwas (wirklich) Neues und den vielbeschworenen Wandel wollten (woran ich in Wahrheit längst erhebliche Zweifel hege), müssten sie sich wohl oder übel dazu aufraffen, etwas Noch-nie-da-Gewesenes zu ermöglichen – und das ist auf Bundesebene Rot-Grün. Sonst wird die derzeitige lähmende Pattsituation fortbestehen und die Politikverdrossenheit noch weiter zunehmen.
Und so wie in der breiten Bevölkerung offenkundig nur sehr geringes politisches Grundverständnis vorhanden ist, verfügen auch viele Schwule und Lesben nicht einmal über rudimentäres Polit-Basiswissen. Ein bezeichnendes Beispiel dafür war die Aufregung letzten Juni, als die SPÖ im Nationalrat einen grünen Entschließungsantrag zur Ehe-Öffnung, ein kindisches Manöver rund um Vienna Pride, nicht unterstützte. Sofort hieß es da „Verrat in rot“, die SPÖ stimme gegen die eigenen Parteitagsbeschlüsse etc. Hallo? Wie primitiv ist denn das? Abgesehen davon, dass es auch mit den Stimmen der SPÖ keine Mehrheit für diesen Antrag gegeben hätte, sollte doch bekannt sein, dass ÖVP und SPÖ einen Koalitionspakt geschlossen haben, der nun einmal – der ÖVP sei Dank – keine Ehe-Öffnung vorsieht; und der festlegt, dass man nicht gegeneinander stimmt, was in erster Linie die SPÖ schützt, denn die ÖVP hätte ja eine Mehrheit mit der FPÖ. Wenn nun die SPÖ einen Präzedenzfall setzte und einmal mit der grünen und pinken Opposition stimmte (was aber, wie gesagt, ohnehin keine Mehrheit ergeben würde), dann täte sie sich wohl sehr schwer, der ÖVP Vorhaltungen zu machen, wenn diese dann ihrerseits gemeinsam mit der FPÖ die SPÖ überstimmte (was in dem Fall jedoch mehrheitsbildend wäre).
Solange die – auch schwulen und lesbischen – WählerInnen jedem noch so billigen Schmäh und Bluff auf den Leim gehen, sich derart manipulieren lassen und eben nicht einmal das Kleine Polit-Einmaleins beherrschen, wird wohl mein Ceterum censeo, mit dem ich früher diese Kolumne zu beenden pflegte, nicht obsolet werden: Im übrigen bin ich der Meinung, dass 29 Jahre ÖVP ununterbrochen in der Bundesregierung genug sind.