Kommt die Eheöffnung durch ein VfGH-Erkenntnis?
Zwei Tage nach der Nationalratswahl, am 17. Oktober, gab der Verfassungsgerichtshof seine Entscheidung bekannt, überprüfen zu wollen, ob die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare verfassungsrechtlich geboten sei. Die HOSI Wien begrüßte natürlich diese Entscheidung. Obfrau LUI FIDELSBERGER gab sich in einer Medienaussendung am selben Tag optimistisch: „Wir gehen davon aus, dass der VfGH am Ende seiner Prüfung feststellen wird, dass das Bestehen zweier unterschiedlicher Rechtsinstitute – Ehe für verschiedengeschlechtliche Paare, eingetragene Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare – verfassungswidrig ist, und die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare anordnen wird.“ (Siehe dazu übrigens die Parallelen zu Taiwan im Bericht auf S. 29.)
Gleichzeitig forderte die HOSI Wien einmal mehr, „dass mit einer solchen Öffnung der Ehe unbedingt auch eine umfassende Reform und Modernisierung des Eherechts einhergehen muss“. „Das Gesetz über die eingetragene Partnerschaft (EP)“, so Obmann CHRISTIAN HÖGL, „ist ein Gesetz des 21. Jahrhunderts und erfüllt die Ansprüche an eine gleichberechtigte Partnerschaft besser als das Flickwerk der die Ehe betreffenden Bestimmungen im ABGB, die in ihren antiquierten, heute kurios anmutenden Formulierungen des 19. Jahrhunderts auch immer noch den Geist des Patriarchats verströmen. So wäre es ja geradezu verrückt, etwa die strengeren Scheidungsbestimmungen der Ehe – Scheidungsblockade von bis zu sechs Jahren (statt maximal bis zu drei Jahren jetzt bei der EP) – übernehmen zu müssen! Im Gegenteil: Auch die Scheidung aus Verschulden, ein Relikt aus den 1950er Jahren, das es kaum in einem anderen europäischen Land noch gibt und das bei der Einführung der eingetragenen Partnerschaft 2009 aus dem Eherecht übernommen wurde, sollte bei dieser Gelegenheit endlich abgeschafft werden.“
Klage in Straßburg gescheitert
Wir hoffen jedenfalls, dass der Verfassungsgerichtshof sich in seiner Entscheidung an der österreichischen Bundesverfassung und nicht an der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) orientieren wird, denn am 26. Oktober, also nur wenige Tage nach der vorhin erwähnten Ankündigung des VfGH, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg seine Entscheidung in der Beschwerde Ratzenböck & Seydl gegen Österreich (Nr. 28475/12) veröffentlicht, der zufolge das Bestehen zweier unterschiedlicher Rechtsinstitute – Ehe für verschiedengeschlechtliche Paare, eingetragene Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare – keine Verletzung der EMRK darstelle. Diese Beschwerde eines heterosexuellen Paares, das eine eingetragene Partnerschaft eingehen wollte, wurde damit abgewiesen.
In ihrer Begründung betonten die sieben RichterInnen der Kleinen Kammer des EGMR, dass es in Österreich keine „substanziellen Unterschiede“ mehr gebe zwischen den beiden Institutionen, die zudem seit dem EGMR-Urteil im Jahre 2010 in der Beschwerde Schalk & Kopf gegen Österreich (Nr. 30141/04) weiter harmonisiert worden seien (Randnr. 40). [Vgl. LN 3/2010, S. 19 f]
Bereits in mindestens drei weiteren Fällen aus Griechenland, Italien und Frankreich hat der EGMR seither entschieden, dass es durch die EMRK nicht geboten sei, die Ehe grundsätzlich für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen, solange ein ähnliches Rechtsinstitut zur Absicherung einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft bestehe; gebe es ein solches überhaupt nicht, liege allerdings eine Konventionsverletzung vor (vgl. diesbezüglich LN 5/2013, S. 36 ff, LN 4/2015, S. 23, und LN 3/2016, S. 38).
Da die Eheöffnung in Straßburg derzeit nicht zu gewinnen ist, bleibt also der VfGH als letzte Hoffnung angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Nationalrat.