Nach der NR-Wahl 2017: Kein Grund zur Resignation – der Kampf geht weiter
Unter einer schwarz-blauen Regierung werde es nicht nur keine Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare und auch keine Verbesserung beim gesetzlichen Diskriminierungsschutz aufgrund der sexuellen Orientierung geben, es drohe darüber hinaus auch eine massive Einschränkung des Versammlungsrechts und damit das Aus für die Regenbogenparade, warnte die HOSI Wien vor der Nationalratswahl in einer Aussendung (vgl. S. 22).
Was die Öffnung der Ehe betrifft, muss man allerdings präzisieren: Es wird sicher keine Eheöffnung durch eine schwarz-blaue Regierung oder Parlamentsmehrheit geben, aber es besteht Hoffnung auf eine positive Entscheidung in dieser Frage seitens des Verfassungsgerichtshofs (vgl. S. 15). Und so könnte es in der Tat passieren, dass der VfGH einer Kurz-Strache-Regierung ein Ei legt. Insofern hat sich durch das Wahlergebnis am 15. Oktober überhaupt nichts geändert, was die Chancen und Möglichkeiten betrifft, unsere Forderungen durchzusetzen: Denn schon seit 1983 besteht im Nationalrat ununterbrochen eine rechte Mehrheit und hat die ÖVP erbitterten Widerstand gegen sämtliche homofreundlichen Gesetzesreformen geleistet und diesen in nur zwei (!) Ausnahmen aufgegeben: bei der Aufnahme von „sexueller Orientierung“ ins Opferfürsorgegesetz 2005 (siehe später) und bei der Verabschiedung des Gesetzes über die eingetragene Partnerschaft 2009 unter dem damaligen ÖVP-Obmann Josef Pröll. Alle anderen Reformen wurden gegen den erklärten Willen von ÖVP durch erfolgreiche Beschwerden an den VfGH bzw. den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bzw. in einem Fall durch eine EU-Regelung durchgesetzt. Daher wird es in dieser Hinsicht für uns auch in den nächsten fünf Jahren heißen: business as usual.
Was den angekündigten Totalangriff auf das Versammlungsrecht betrifft, wird es darum gehen, breite Allianzen in der gesamten Zivilgesellschaft zu schmieden, um ihn abzuwehren, und im Fall des Falles wieder den langen Marsch durch die Gerichtsinstanzen anzutreten. Eine andere noch „offene Forderung“, nämlich die offizielle Rehabilitierung und allfällige Entschädigung der homosexuellen Strafrechtsopfer nach 1945, wird wohl unter Schwarz-Blau weiterhin offenbleiben.
Erfahrung hilft
Die HOSI Wien existiert seit fast vier Jahrzehnten und kann daher auf ihren in diesen Jahren erworbenen politischen Erfahrungsschatz aufbauen. Sie hat auch die sieben dunklen Jahre der ersten schwarz-blauen Regierung (2000–2007) miterlebt. Das Gerede, das Wahlergebnis im Oktober 2017 sei historisch und eine Richtungsentscheidung gewesen, ist ja kompletter Unsinn: Wie gesagt, die rechte Mehrheit im Nationalrat haben wir seit 1983, jetzt kamen bloß noch einmal ein paar Prozent dazu – letztlich auch schon egal. Und an Schwarz-Blau erinnern wir uns noch sehr gut – ist ja erst zehn Jahre her. Mit Schrecken erinnern wir uns etwa an die Attacken auf die Grundrechte, etwa als die FPÖ durch eine wahre Klagsflut und mithilfe ihrer willigen Vollstrecker in der Justiz versuchte, unliebsame KritikerInnen, kritische Medien und NGOs mit Klagen und Gerichtsverfahren einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Österreich war in Sachen Meinungsfreiheit plötzlich „Dritte Welt“. Die Regierungen Schüssel I und II waren zudem die korruptesten in der Geschichte des Landes. Die Gerichte haben mit den Aufräumarbeiten bis heute noch alle Hände voll zu tun. Erst in der Woche vor der Nationalratswahl 2017 wurde wieder einer der führenden Protagonisten von damals – wie etliche vor ihm – zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
Trotzdem haben wir, sowohl als HOSI Wien als auch schwul/lesbische Community, diese Periode unbeschadet überstanden, ja man kann sogar sagen, wir sind eher gestärkter als geschwächter daraus hervorgegangen. Und auch die kommende schwarz-blaue Regierung wird in ein paar Jahren wieder Geschichte sein. Wie wusste schon Udo Jürgens zu singen: „Ja, immer, immer wieder geht die Sonne auf, denn Dunkelheit für immer gibt es nicht.“ Die Bundesregierungen kommen und gehen, die HOSI Wien bleibt.
Eine der wichtigsten Erfahrungen, wenn nicht überhaupt die wichtigste, die wir aus diesen finsteren Jahren gezogen haben, ist, dass es weder der HOSI Wien als Verein noch unserer Sache nicht im geringsten geschadet hat, dass wir damals im Jahre 2000 – übrigens als einzige österreichische Lesben- und Schwulenorganisation – eindeutig Stellung bezogen und keine Sekunde gezögert haben, uns der Widerstandsbewegung gegen Schwarz-Blau anzuschließen. Es hat überhaupt keine negativen Folgen gehabt, Farbe zu bekennen, uns nicht zu verbiegen und zu arrangieren und den ÖVP- und FPÖ-Mächtigen nicht in den Arsch zu kriechen. Es geht ja dabei nicht nur um unsere Anliegen, sondern auch um Solidarität mit anderen Minderheiten und gesellschaftlichen Gruppen, die durch die Politik einer rechten Regierung sehr wohl unter die Räder kommen, und um das allgemeine soziale und gesellschaftliche Klima im Land – also um Solidarität ganz im Sinne unseres offiziellen Leitbildes, in dem es heißt:
Die HOSI Wien versteht sich als Teil der Zivilgesellschaft, die für eine gerechtere Welt und gegen Ausbeutung, Armut, Unterdrückung und Gewalt kämpft. Sie ist daher sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene solidarisch mit allen Gruppen und Initiativen, die sich gegen Sexismus, Heterosexismus, Transphobie, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und verwandte Ausgrenzungsphänomene wenden und diese bekämpfen.
Treppenwitz der Geschichte
Apropos Geschichtsbewusstsein und Geschichte kennen: Die HOSI Wien ist dank ihres langjährigen Bestehens auch zu einer Art kollektivem Gedächtnis der Bewegung geworden, in dem alles gespeichert ist, was ÖVP und FPÖ in Sachen Lesben- und Schwulenrechte getan bzw. nicht getan haben. Uns kann daher ein Sebastian Kurz mit seiner plumpen Veränderungspropaganda überhaupt nicht beeindrucken.
Wir haben es indes stets als besonderen Treppenwitz der Geschichte empfunden, dass ausgerechnet unter dem extrem homophoben Bundeskanzler Wolfgang Schüssel während der ersten schwarz-blauen Ära drei unserer wichtigsten Forderungen umgesetzt wurden bzw. umgesetzt werden mussten, für die wir zuvor in allen drei Fällen über 20 Jahre lobbyiert und gekämpft hatten: 2002 hob der VfGH die letzte strafrechtliche Sonderbestimmung (§ 209) als verfassungswidrig auf, 2004 traten die Antidiskriminierungsbestimmungen in Kraft, durch die erstmals Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung vor Ungleichbehandlung (allerdings nur im Bereich Beschäftigung und Beruf) geschützt werden. Diese Bestimmungen gehen bekanntlich auf eine im November 2000 (nicht zuletzt nach dem Schock der FPÖ-Regierungsbeteiligung in Wien) eilig erlassene EU-Richtlinie zurück, die Österreich umsetzen musste.
Die dritte langjährige Forderung, die in dieser Ära verwirklicht wurde, war die vorhin erwähnte Berücksichtigung der Rosa-Winkel-Häftlinge im Opferfürsorgegesetz (OFG). Diesen Erfolg kann sich indes verdientermaßen die HOSI Wien auf die Fahnen heften, denn im „Gedankenjahr 2005“ (60 Jahre Kriegsende) verschärften wir unsere Kampagne für eine entsprechende Novellierung des OFG. In den ersten sechs Monaten 2005 schickten wir ein gutes Dutzend Medienaussendungen raus. Wir kritisierten die ÖVP für ihre ablehnende Haltung äußerst scharf, ihr Abgeordneter Walter Tancsits verklagte uns dafür sogar. Wir gewannen den Prozess 2007 schließlich in zweiter Instanz – da war der schwarz-blaue Spuk schon wieder vorbei. Wegen ihrer Weigerung, die homosexuellen NS-Opfer im OFG anzuerkennen, erstattete die HOSI Wien im März 2005 bei der Staatsanwaltschaft Wien gegen alle 79 ÖVP-Abgeordneten Anzeige wegen Verstoßes nach dem NS-Verbotsgesetz („gröbliche Verharmlosung, Gutheißen und Versuch der Rechtfertigung nationalsozialistischer Verbrechen gegen die Menschlichkeit“). Bei der jährlichen Befreiungsfeier im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen war unser Protestauftritt in jenem Jahr besonders spektakulär. Keine Frage: Die HOSI Wien war der ÖVP dann dermaßen lästig, dass sie schließlich einlenkte und das OFG im Juli 2005 entsprechend novellierte.
Lichterkette gegen rechts
Aufgrund unserer Erfahrungen, grundlegenden Haltungen und Prinzipien ist es daher auch jetzt für uns keine Frage, gegen Schwarz-Blau aufzutreten. Doch es ist weder Panikmache noch Alarmismus, was uns dabei antreibt, sondern es sind schlicht und einfach die Fakten über die Ideologie vieler FPÖler, die in der österreichischen Öffentlichkeit ganz verschwiegen oder verharmlost wird. Etwa Straches Neonazi-Vergangenheit, die in den Mainstreammedien bestenfalls als Jugendsünde abgehandelt wird. Am 9. November warf die Angelobung von 20 „völkisch korporierten“ FPÖ-Abgeordneten im Nationalrat ein grelles Schlaglicht auf die geistig-politische Heimat vieler FPÖ-Politiker, und nach Ende der Koalitionsverhandlungen droht auch den Bundesministerien eine Unterwanderung durch deutschnationale Burschenschafter, denen ein Bekenntnis zur österreichischen Nation höchstens als das sprichwörtliche Lippenbekenntnis über die Lippen kommt. Diesen Entwicklungen kann auch eine Organisation wie die HOSI Wien nicht tatenlos zusehen, unabhängig von der homophoben Bilanz, die ÖVP und FPÖ aufzuweisen haben.
Und so war es für uns keine Frage, die SOS-Mitmensch-Initiative „Unsere Ministerien nicht in die Hände von Rechtsextremen!“ zu unterstützen. Die HOSI Wien rief dazu auf, am 15. November 2017 an der Lichterkette um das Wiener Regierungsviertel teilzunehmen und damit ein starkes Zeichen gegen rechts zu setzen. Unter den rund 10.000 TeilnehmerInnen war eine starke HOSI-Wien-Abordnung mit Regenbogenfahnen vertreten.
Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch, resümierte: „Die Lichterkette war der Anfang vom Ende der Schockstarre, die viele nach der Wahl erfasst hat. Immer mehr erkennen, dass jetzt der Moment ist, wo gegen den drohenden Machtgewinn rechtsextremer und neonazinaher Politikerkreise die Stimme erhoben werden muss. Das Tabu, über die nachweislichen antisemitischen, rassistischen und neonazinahen Verstrickungen der FPÖ-Parteiführung öffentlich zu reden, bricht mehr und mehr auf.“ SOS Mitmensch ruft ÖVP-Obmann Sebastian Kurz und Bundespräsident Alexander van der Bellen dazu auf, ausschließlich vertrauenswürdige Personen, die nicht das geringste mit rechtsextremen Verbindungen am Hut haben, in die machtvollsten politischen Ämter der Republik zu berufen. Ministerien an Personen zu übergeben, die nachweislich extremistischen und teilweise sogar verfassungsfeindlichen Kreisen nahestehen, sei inakzeptabel.
Tatsächlich gibt es große Unterschiede zwischen dem FPÖ-Personal von 2000 und heute. Handelte es sich bei Jörg Haiders Buberlpartie vor 17 Jahren eher um karrieregeile, gierige Goldgräber, die an die Futtertröge drängten, um sich die Taschen vollzustopfen, hat in Straches Windschatten wieder eine ideologisch stramm rechts bis braun „gefestigte“ Riege die Oberhand in der FPÖ gewonnen. Die ideologiebefreite Goldgräberstimmung scheint diesmal eher unter der Jungschnösel-Partie der ÖVP zu herrschen, wiewohl es auch von dort erzkonservative und reaktionäre Abgeordnete, wie die notorische Abtreibungsgegnerin Gudrun Kugler (vgl. LN 4/2017, S. 5 f) in den Nationalrat gespült hat.
Wer sich ausführlich über die rechtsextremen und neonazistischen Verbindungen der FPÖ bzw. über die Korruptionsskandale der Schüssel-Ära informieren möchte, dem seien folgende seriöse Quellen empfohlen:
Falter, # 44/17 vom 1.11.2017
http://empoerteuch.at/2017/10/24/strache-vom-neonazi-zum-innenminister/
Hans-Henning Scharsach: Strache im braunen Sumpf, Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 2012.
Hans-Henning Scharsach: Stille Machtergreifung. Hofer, Strache und die Burschenschaften. Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 2017.
Ashwien Sankholkar: Der geplünderte Staat und seine Profiteure. Residenz-Verlag, Salzburg 2017.