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Späte Geste für Homosexuelle

Veröffentlicht am 1. Dezember 2023
Die Regierung will ein Zeichen der Rehabilitierung setzen. Nach Jahren der Blockade hat die ÖVP offenbar erkannt, dass die eigene Position aus der Zeit gefallen ist. Ob sie zu einem generellen Umdenken bereit ist, darf bezweifelt werden.

Justizministerin Alma Zadić gelang ein wichtiger Coup: Sie überredete die ÖVP, der Rehabilitierung und Entschädigung der aufgrund anti-homosexueller Sonderparagrafen strafrechtlich Verfolgten zuzustimmen.

Auf Initiative von Justizministerin Alma Zadić (Grüne) will die Bundesregierung jene Menschen rehabilitieren und entschädigen, die aufgrund der strafrechtlichen Sonderbestimmungen gegen Homosexuelle in der Zweiten Republik verfolgt wurden. Dafür ist es höchste Zeit.

Bereits 2002 – nach Aufhebung des § 209 StGB (höheres Mindestalter für schwule Beziehungen) durch den Verfassungsgerichtshof (VfGH) – hatte die Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien einen detaillierten Forderungskatalog für die Aufarbeitung der strafrechtlichen Verfolgung Homosexueller vorgelegt – und stieß damit bei der ÖVP auf taube Ohren. Nun haben die Grünen den unerwarteten Gesinnungswandel der ÖVP erfolgreich eingesackt. Dank gebührt Udo Landbauer und der FPÖ. Den Weg dahin ebnete ausgerechnet die „Aufarbeitung“ der Corona-Maßnahmen in Niederösterreich.

„Die Rückzahlung der Strafen gilt nur für jene Gesetze, die der Verfassungsgerichtshof aufgehoben hat. Das halte ich auch wirklich für gerecht.“ Und: „… dort, wo rechtliche Fehler passiert sind, müssen wir diese Fehler einsehen zu diesen Fehlern stehen und das auch aufarbeiten.“ Das sind Zitate der Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, als es darum ging, ihrem Koalitionspartner FPÖ Zugeständnisse zu machen.

Freilich hätte die Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer des § 209 StGB schon 2002 von der schwarz-blauen Bundesregierung in Angriff genommen wurden müssen. Immerhin ging es damals nicht bloß um Verwaltungs- und Geldstrafen, sondern um Gefängnisstrafen.

 

Unsägliche Geschichte

Diese späte Geste reiht sich nahtlos in die unsägliche Geschichte der Strafrechtsreform ein, die sich wegen des Widerstands der ÖVP ebenfalls über mehr als 20 Jahre hinzog. Zu den erbittertsten Reformgegnern zählten Wolfgang Schüssel und Andreas Khol. Selbst zwei Wochen vor der – absehbaren – Aufhebung des § 209 durch den VfGH sagte Kanzler Schüssel, angesprochen auf Österreichs diesbezügliche Schlusslichtposition in Europa: „Wenn wir das letzte Land wären, wäre es mir auch gleich.“

Auch der Verfassungsgerichtshof hat sich in dieser Causa keineswegs mit Ruhm bekleckert: Erst im fünften Anlauf hat er sich dazu aufgerafft, den § 209 als verfassungswidrig einzustufen. Davor hatte er vier Beschwerden ab- oder zurückgewiesen, die erste 1987. In diesen 15 Jahren kam es noch zu 250 Verurteilungen, für die der VfGH die Mitschuld trägt.

 

Nur gerecht

Nur gerecht ist, dass die Opfer des Totalverbots gleichgeschlechtlicher Sexualität (§ 129 I b StG) ebenfalls rehabilitiert und entschädigt werden, wiewohl dieses 1971 vom Nationalrat „aus eigenen Stücken“ abgeschafft wurde. Wenn Strafbestimmungen novelliert oder aufgehoben werden, um die Rechtsordnung dem gesellschaftlichen Wandel anzupassen, erwartet man in der Regel nicht, dass die bis dahin nach diesen Bestimmungen Verurteilten rehabilitiert werden. Für jene – vorwiegend Frauen –, die zum Beispiel wegen Ehebruchs oder vor der Fristenlösung wegen des Verbots des Schwangerschaftsabbruchs zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden, gab es nach Abschaffung dieser Verbote keinerlei Wiedergutmachung.

Im Fall des § 129 kann man jedoch argumentieren, dass dank der ÖVP dem gesellschaftlichen Wandel erst ziemlich spät entsprochen wurde. Bereits 1964 sowie 1966 sahen entsprechende Entwürfe eine Abschaffung des Totalverbots vor; sie kamen aber nie zur Abstimmung. Die ÖVP-Alleinregierung präsentierte 1968 hingegen einen neuen Entwurf, der den Fortbestand des Totalverbots vorsah. Erst während der SPÖ-Alleinregierung unter Bruno Kreisky fiel dieser Paragraf schließlich.

 

Großes Leid

Apropos spät: Im Fall des § 129 gibt es zumindest noch lebende Betroffene. Bei der Wiedergutmachung für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus ist es der ÖVP ja gelungen, deren Aufnahme ins Opferfürsorgegesetz so lange (bis 2005) zu verhindern, bis auch die letzten KZ-Überlebenden in dieser Gruppe verstorben waren.

Dass die Opfer dieser verbohrten ÖVP-Politik nun rehabilitiert und entschädigt werden, ist eine absolute Krönung und eine große Genugtuung. Auch wenn von jenen, die so großes Leid über so viele Menschen gebracht haben, wohl kaum ein Wort des Bedauerns oder der Entschuldigung zu erwarten ist.

 

Anmerkung: Eine leicht abgewandelte Fassung dieses Kommentars habe ich auch als Blog-Beitrag veröffentlicht.

Link zum Original-Beitrag: https://www.derstandard.at/story/3000000197722/sp228te-geste-f252r-homosexuelle