Heute vormittag überreichte Ernst Woller, Erster Präsident des Wiener Landtags, im Rahmen einer Feier im Wiener Rathaus das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien an DIETER SCHMUTZER. Diese Ehrung gilt Dieters Verdiensten als Erwachsenenbildner und Mundartforscher. Als Mitbegründer und langjähriger ehrenamtlicher Mitarbeiter der Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien – und damit als Urgestein der österreichischen Schwulen- und Lesbenbewegung – sowie als Pionier im Kampf gegen HIV und AIDS in Österreich hat Dieter Herausragendes geleistet. Mit der Verleihung des Goldenen Verdienstzeichens wird auch sein aufklärerisches und volksbildnerisches Wirken und Engagement auf diesen Gebieten gewürdigt. Die Laudatio hielt Rotraud Perner.
Dieter, Jahrgang 1953, studierte Germanistik und Theaterwissenschaften an der Universität Wien, wo er 1981 promovierte. Beste Voraussetzungen, um 1993 mit Wienerisch g’redt ein Standardwerk über die Geschichte der Wiener Mundartdichtung zu veröffentlichen – herausgegeben im Wiener Verlag Der Apfel – und von Anfang an (ab 1982) bei den HOSIsters, der Theatergruppe der HOSI Wien, mitzuwirken.
In der Lesben- und Schwulenbewegung kennt man Dieter vor allem als frühen und langjährigen Aktivisten und Mitarbeiter der HOSI Wien. Schon auf der Gründungsversammlung im Jänner 1980 wurde er zum Vereinssekretär bestellt. Diese Funktion hatte er bis 1991 inne, als er schließlich die Obmannschaft übernahm. Dieter war drei Jahre lang Obmann und zog sich 1994 aus allen Vereinsfunktionen zurück, blieb der HOSI Wien jedoch bei einzelnen Aktivitäten und vor allem als HOSIster noch viele Jahre verbunden. Seinen Abschied von der Gugg-Bühne nahm er erst 2015 mit der HOSIsters-Produktion Gigantinnen.
In den ersten fünfzehn Jahren war Dieter praktisch aus keiner wichtigen Vereinsaktivität wegzudenken. Ob politisches Lobbying oder Aufklärungs- und Medienarbeit nach außen; ob LAMBDA-Nachrichten, wo er regelmäßig auch seine „Seitenhiebe“ austeilte, und andere Publikationen, wie die Bücher Rosa Liebe unterm roten Stern (1984), Homosexualität in Österreich (1989) oder Das Lambda-Lesebuch. Journalismus andersrum (1996); ob Auslandsarbeit und internationale Konferenzen, wie die ersten beiden Weltkonferenzen 1983 und 1989 sowie die Osteuropakonferenz 1993, die von der HOSI Wien für die International Lesbian and Gay Association (ILGA) ausgerichtet wurden; ob Vorbereitungen von und/oder Teilnahme an hunderten Diskussionsveranstaltungen, Vorträgen, Festen sowie Moderationen (wie der Feiern zu den runden HOSI-Wien-Jubiläen – 20 Jahre, 25 Jahre, 30 Jahre sowie 35 Jahre – siehe auch meine Zusammenfassung zum 40er) – Dieter war in all diese Aktivitäten wesentlich involviert. Daher verwundert es nicht, dass sein Name auch auf meinem Website – neben jenem von CHRISTIAN HÖGL, der von 1996 bis 2018 Langzeit-Obmann der HOSI Wien war – am häufigsten auftaucht.
Dieter war also schon in der HOSI Wien ein Volks- und Erwachsenenbildner, auch wenn wir das damals nicht so wahrgenommen hatten.
In seinem Brotberuf war Volks- und Erwachsenenbildung hingegen eindeutig Teil der Stellenbeschreibung: Von 1982 bis 1987 war Dieter „Pädagogischer Assistent“ in der Wiener Urania, einer der Wiener Volkshochschulen.
Ende 1987 heuerte Dieter schließlich in der Geschäftsführung der Österreichischen AIDS-Hilfe (ÖAH) an. Dieter hatte 1985 zwar ehrenamtlich an der Erstellung von Konzept und Statuten der ÖAH mitgearbeitet, seinen Job in der Urania wollte er damals jedoch nicht aufgeben. Seine Aufgabenbereiche in der ÖAH umfassten einmal mehr Aufklärung, Information und Fortbildung. Er organisierte wieder hunderte Veranstaltungen, betreute die Aufklärungskampagnen, die Erstellung von Informationsmaterialien und die Medienarbeit – im Detail nachzulesen im 300 Seiten starken Tätigkeitsbericht über die ersten 5 Jahre Österreichische AIDS-Hilfe. 1985–1990, dessen Redaktionsteam Dieter ebenfalls angehörte.
Nach dem Ende der ÖAH im Juni 1991 war Dieter noch einige Zeit ehrenamtlich im Österreichischen AIDS-Informations- und Dokumentationszentrum (ÖAIDZ) engagiert, u. a. als Mitherausgeber von AIDS. Ein lexikalisches Handbuch (Verlag Der Apfel, Wien 1991).
In diese Zeit fiel auch eine andere wichtige volksbildnerische Tätigkeit: Von 1989 bis 1994 arbeitete Dieter bei der legendären Ö3-Sex-Hotline mit. Zudem war Dieter von 1992 bis 1999 Vorstandsmitglied (Schriftführer) der Österreichischen Gesellschaft für Sexualforschung (ÖGS), danach bis 2022 Rechnungsprüfer des Vereins, der sich 2015 in Österreichische Gesellschaft für Sexualwissenschaften umbenannte und für den Dieter überdies als Referent und Vortragender im Einsatz war.
Das Künstlerische kam gleichfalls nie zu kurz: Ab 1989 wirkte Dieter als einer von vier „Doktoren“ im gleichnamigen Ensemble Quatuor Doctores mit, das mit literarisch-musikalischen Textcollagen politisches Kabarett machte. Wie man sich diese schrägen „kabarettistisch-politisch-moralisch-didaktischen Nonsense-Programme“ mit „rational aufklärerischem Inhalt“ vorstellen muss, lässt sich anhand einer Ankündigung für ein Programm aus 2012 hier nachlesen.
Mitte der 1990er Jahre machte sich Dieter selbständig, und zwar auf dem Gebiet der Lebens- und Sexualberatung und -pädagogik. Ein entsprechendes Diplom hatte er 1995 erworben. Ein Jahr später eröffnete er seine eigene Praxis für Lebens- und Sozialberatung in Wien, 2005 gründete er schließlich das Institut für Lebensgestaltung. In diesem Rahmen bot er diverse Fortbildungen an; er wirkte überdies als Supervisor und Trainer für zahlreiche Einrichtungen und Institutionen, vorwiegend im sozialen Bereich, als Lehrender in verschiedenen Ausbildungslehrgängen sowie als Lehrbeauftragter u. a. an der Universität Klagenfurt und an der Pädagogischen Hochschule in Linz.
Inklusion war Dieter dabei ein besonders wichtiges Thema und Anliegen. Und so hat er zahlreiche Projekte, Workshops und Seminare zum Thema Behinderung organisiert. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang Dieters Engagement für den Kulturverein Ich bin O.K.
Ab dem Jahr 2000 wurde Dieter häufig als Experte in die Barbara-Karlich-Show des ORF eingeladen, wo er seinem volksbildnerischen Anspruch einmal mehr gerecht wurde. Die Palette der Themen, die er in diesem Sendungsformat abdeckte, reichte weit über Sexualität hinaus und umfasste aufgrund seines Schwerpunkts Inklusion u. a. Behinderung oder „Außenseitertum“.
Im Oktober 2022 ging Dieter nach einem langen und intensiven Berufsleben in den verdienten Ruhestand und schloss sein Institut. Verdient ist indes nicht nur der Ruhestand, sondern auch die nunmehrige Ehrung seines jahrzehntelangen Wirkens und Engagements.
Herzliche Gratulation, lieber Dieter, du hast das Goldene Verdienstzeichen mehr als verdient!
Ausführliche Informationen finden sich auf Dieters Homepage.