Sind die Grünen noch zu retten?

Veröffentlicht am 23. Juli 2025

Für großes Aufsehen sorgte FAIKA EL-NAGASHI, als sie am 12. Juni 2025 nach mehr als zehnjährigem Engagement bei den Grünen – als Bezirksrätin, als Wiener Landtagsabgeordnete und Gemeinderätin und zuletzt als Nationalratsabgeordnete – ihren Austritt aus der Partei bekanntgab.

Diesem Schritt vorangegangen war jahrelanges parteiinternes Mobbing wegen ihrer genderkritischen Positionen (vgl. auch Blog-Beitrag vom 28. Oktober 2022). Zuletzt eskalierte die Sache durch persönliche Angriffe der grünen Studierenden-Organisation GRAS, die in Social-Media-Postings ihren Gewalt- und Vernichtungsphantasien freien Lauf ließ, wogegen die grüne Parteiführung nur halbherzig vorging. Statt die GRAS-Leute aus der Partei auszuschließen, gab es einen gegen El-Nagashi gerichteten Antrag auf Parteiausschluss.

In ihrer Stellungnahme dazu kritisiert El-Nagashi diese Haltung: Der Umgang der Parteiführung mit den Kampagnen gegen sie und andere kritische Feministinnen lasse sie daran zweifeln, mit ihrem Engagement – trotz inhaltlicher Differenzen – bei den Grünen noch gut aufgehoben zu sein. Denn: Der Ausschlussantrag steht nicht für sich. Er reiht sich ein in den Versuch, feministische Positionen zu delegitimieren, indem man sie als „rechts“ markiert. Und er ist Teil eines jahrelangen Mobbings mit dem Ziel, die einen zum Schweigen zu bringen und den anderen ein Exempel zu liefern. Ich erwarte keine Zustimmung. Aber ich erwarte eine demokratische Kultur, die Dissens aushält.

Am 26. Mai 2025 fassten die Grünen Wien zwar dann einstimmig den Beschluss, den Antrag auf Aberkennung ihrer Mitgliedschaft abzulehnen, aber für El-Nagashi änderte sich damit nichts Grundlegendes. Die Entfremdung zur Partei, die sich in der „Trans-Frage“ wie eine religiöse Sekte verhält, war zu groß geworden, und so entschloss sich El-Nagashi, den Grünen den Rücken zu kehren. Ihr Parteiaustritt sorgte für hohe Wellen, sogar über die Landesgrenzen hinaus. Nicht nur die österreichischen Medien berichteten – ausführlich z. B. der KURIER am 22. Juni oder Die Presse am 9. Juli –, sondern auch ausländische wie Cicero (12. 6.), wo El-Nagashi ihre Beweggründe ausführlich schildert, die Berliner Zeitung (21. 6.), Die Welt (30. 6.) oder die Neue Zürcher Zeitung (12. 7.).

Exempel statuieren

Zudem war El-Nagashi nicht die einzige, der wegen inhaltlichen „Abweichlertums“ in der „Trans-Frage“ der Ketzerprozess in Form eines Parteiausschlussverfahrens gemacht wurde. Valerie Lenk, Transperson bei den grünen Frauen, hatte auch gegen Parteikollegin Barbara Boll einen Antrag auf Parteiausschluss eingebracht. Boll ist ebenfalls langjähriges Mitglied und langjährige Funktionärin bei den Grünen gewesen – mit Unterbrechungen fast 30 Jahre lang Bezirksrätin, ein paar Jahre Klubobfrau im 3. Bezirk, ein paar Jahre stellvertretende Klubobfrau im 22. Bezirk und seit fünf Jahren auch Vertrauensrätin.

Boll war als Psychotherapeutin und Feministin nie dem grünen Trans-Glauben verfallen und vertritt im Prinzip dieselben Positionen wie El-Nagashi. Doch während die Landesleitung der Wiener Grünen den Ausschlussantrag gegen El-Nagashi ablehnte, stimmte sie für Bolls Ausschluss. El-Nagashi war für die Partei offenbar zu „prominent“, um an ihr das gewünschte Exempel zu statuieren; dafür eignete sich Boll besser.

Was für ein erbärmliches und verheerendes Armutszeugnis haben sich die Grünen da ausgestellt! Es mutet wie eine Mischung aus mittelalterlichem Hexenprozess und stalinistischer Säuberung an. Aber so agieren Sekten halt. Und trotzdem verwundert und verstört es mich zutiefst, dass sich viele in der Partei feig wegducken. Ich hätte erwartet, dass sich zumindest das eine oder andere grüne Urgestein – wie Ulrike Lunacek, Marco Schreuder, Jennifer Kickert oder Peter Kraus – in dieser Angelegenheit zu Wort meldet (wobei: von Schreuder ist vielleicht doch eher nur opportunistisches Mitläufertum zu erwarten). Eigentlich hätten sie das schon viel früher in diesem nun schon mehrere Jahre schwelenden Konflikt tun müssen. Jedenfalls könnten sie es sich dank ihres parteiinternen Standing leisten, ohne gleich der Häresie bezichtigt zu werden. Dass alle hundertprozentig die aktuellen Trans-Dogmen in der grünen Partei unterstützen, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Aber vielleicht irre mich ja auch, wer weiß.

„Misgendering“

Lenk ließ es jedoch nicht beim Antrag auf Parteiausschluss bewenden, sondern erstattete am 7. April 2025 gegen Boll auch Strafanzeige wegen Verhetzung (§ 283 StGB) sowie wegen Beleidigung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer im § 283 Abs. 1 bezeichneten Gruppe (§§ 115 i. V. m. 117 Abs. 3). Wohl nach dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung. Obwohl selber nicht unbedingt zimperlich (siehe erwähnte Stellungnahme El-Nagashis) – offenbar ist im Zuge der Transition die toxische Männlichkeit auch bei Lenk nicht zur Gänze verschwunden –, inkriminiert Lenk Äußerungen Bolls, die zum Teil relativ harmlos und zum Teil einfach Fakten sind:

Lenk ist vierfacher Vater. – Nichts dagegen, dass manche Leute Lenk jetzt als vierfache Mutter ansehen, wiewohl er die Kinder vermutlich gezeugt, jedenfalls nicht geboren hat (es würde mich interessieren, wie die Kinder das sehen), aber dies jetzt vom Rest der Menschheit unter Strafandrohung einfordern zu wollen ist mehr als übergriffig.

Wenn Boll in Zusammenhang mit der Klassifikation von Transsexualität durch die WHO meint: Im ICD-11 wird Trans zwar „Genderinkongruenz“ genannt, wandert aber in die Kategorie „Conditions related to sexual health“ und befindet sich dort in der illustren Gesellschaft von Exhibitionismus, Voyeurismus, Pädophilie, Sadismus und Frotteurismus, dann mag dies für manche polemisch formuliert sein, aber die Aussage ist einfach Faktum.

Oder: Transmenschen haben dasselbe Recht wie andere Menschen, die an einer psychischen Störung leiden: das Recht auf bestmögliche psychotherapeutische Versorgung. Ohne mich als Laie jetzt in die medizinische Fachdiskussion einmischen zu wollen – Boll ist ja Psychotherapeutin –, frage ich mich ja auch mitunter: Woher wissen die Leute so genau, dass sie im falschen Körper sind? Und nicht doch in der falschen Psyche – oder wo immer sie ihre Geschlechtsidentität verorten?

Wie auch immer. Ich habe hier nur drei Beispiele angeführt, um die vermeintliche Schwere der „Verbrechen“ Bolls und das behauptete Ausmaß ihrer Verhetzung zu illustrieren. Wobei: Das größte Verbrechen, das Boll zur Last gelegt wird, ist das „Misgendern“, also die Verwendung falscher Pronomen. Boll hatte in einem Tweet, den sie einen Tag später gleich wieder löschte, für Lenk an zwei Stellen männliche Fürwörter verwendet.

ZARA auf Abwegen

Zur großen Frustration mancher Leute ist Misgendering noch kein Straftatbestand in Österreich. Lenk kam sich wohl besonders schlau vor, die Sache wegen Verhetzung vor den Kadi bringen zu wollen. In offenbar grenzenloser Hybris hat Lenk übersehen, dass das niemals funktionieren kann. Vermutlich war das Ganze zusätzlich als Einschüchterungsversuch gedacht, als Signal an die Umwelt: Nehmt euch in Acht, wer es wagt, sich trans- oder genderkritisch zu äußern, wird zumindest angezeigt – egal, wie aussichtslos die Sache ist. Ihr müsst euch damit herumschlagen, es kostet euch auf jeden Fall eure kostbare Zeit, Nerven und eventuell Rechtsberatung. Und in der Tat musste Boll bei der Landespolizeidirektion Wien zur Beschuldigtenvernehmung antanzen und dort ihre und die Zeit der Behörde verschwenden.

Mehr als gruselig wird die Sache allerdings durch den Umstand, dass Lenk bei der Anzeige durch den Verein ZARA – Zivilcourage & Anti-Rassismus-Arbeit unterstützt wurde. Dieser übermittelte der Staatsanwaltschaft Wien ebenfalls eine Sachverhaltsdarstellung wegen Verhetzung.

Und ich frage mich: Welcher Teufel (m/w/d) (© Heinz Sichrovsky) hat ZARA geritten, dass der Verein bei diesen inquisitorischen Anwandlungen und einem privaten Rachefeldzug gegen eine Kritikerin mitmacht? Seit dem entsprechenden Wirken von Faika El-Nagashi und den Aktivistinnen der Europäischen Gesellschaft für Geschlechtergerechtigkeit Österreich (EGGÖ) sollte in der NGO-Szene (und bei den Parteien) klar sein: Die Zeit von „No debate!“ ist endgültig vorbei, genderkritische Stimmen lassen sich nicht mehr mundtot machen. Einschüchterungen, weder durch eine Fatwa noch durch SLAPP-Klagen, funktionieren nicht mehr.

„No debate!“ ist endgültig vorbei

An dieser Stelle muss ich daher an Dieter Schindlauer und Barbara Liegl, zwei verdiente Urgesteine im Kampf gegen Diskriminierung und nach wie vor ZARA-Vorstandsmitglieder, die Frage richten, ob sie diese Anzeige gegen Boll persönlich unterstützen. Ich bin geneigt, anzunehmen, dass sie sich um die Tagesgeschäfte bei ZARA nicht im Detail kümmern – sollten sie aber vielleicht. So oder so – ich bin einigermaßen entsetzt: Wann ist ZARA so falsch abgebogen, dass der Verein jetzt so ang’rennt ist?

Die gesamte Vorgangsweise ist unprofessionell und peinlich. Es musste doch ZARA klar gewesen sein, dass kein Gericht der Welt in diesen Anschuldigungen eine Verhetzung sehen würde. Oder gibt es bei ZARA keine juristische Expertise mehr? Wozu wirklich das Ganze? Um den eigenen Ruf zu beschädigen? Damit ZARA in Zukunft nicht mehr ernst genommen wird? Oder hat ZARA zu viele Ressourcen, sodass man sie für derartige aussichtslose Verfahren beim Fenster hinausschmeißen kann? Ich versteh’s einfach nicht. Es ist so schade!

Jedenfalls hatte Barbara Boll am 30. April einen eineinhalbstündigen Termin in der Polizeiinspektion Sonnenallee. Ihre Vernehmung als Beschuldigte hatte vermutlich einen gewissen Schmunzelfaktor auf beiden Seiten. Für Revierinspektor Florian Pamperl-Braunsteiner war es bestimmt eine willkommene und interessante Abwechslung in seinem ansonsten sicher eher tristen und unerfreulichen Polizeialltag. Jedenfalls hatte Boll Gelegenheit, ihre Sicht der Dinge darzulegen. Die Niederschrift der Vernehmung findet sich hier.

Mit Schreiben vom 17. Mai 2025 teilte die Staatsanwaltschaft Wien Boll dann mit, dass das Verfahren eingestellt worden ist: Die Einstellung erfolgte gemäß § 190 StPO, weil die dem Ermittlungsverfahren zu Grunde liegende Tat nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht ist (…). Eine Beschimpfung oder ein Aufstacheln zu Hass iSd objektiven Tatbestandes des 283 StGB liegt nicht vor.

Gut, wäre das auch geklärt. Dank des grünen Experten für Frauenrechte und ZARA wissen wir jetzt definitiv, dass weder korrektes Zitieren aus dem WHO-Manual noch das Verwenden „inkorrekter“ Fürwörter eine Straftat ist. Man soll ja immer auch die guten und positiven Seiten sehen.

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