Österreichische AIDS-Hilfe
Wiewohl ich keine Vereinsfunktion in der Österreichischen AIDS-Hilfe (ÖAH) innehatte, war ich von Anfang an am Aufbau der ÖAH beteiligt, zuerst als ehrenamtlicher Mitarbeiter, dann als Werkvertragsnehmer und schließlich als Angestellter des Vereins bis zur Zerschlagung bzw. Auflösung der ÖAH per Ende Juni 1991. Zentrale Akteure aus dem HOSI-Wien-Umfeld beim Aufbau der ÖAH waren REINHARDT BRANDSTÄTTER, HENNING DOPSCH und DIETER SCHMUTZER.
Zu meinen Aufgabenbereichen zählte die Leitung der Abteilung „Internationale Koordination“, zudem war ich Sekretär/Assistent der Geschäftsführung und des Vorstands. In dieser Funktion koordinierte und bereitete ich deren offizielle Termine und ihre Öffentlichkeitsarbeit vor. Weiters unterstützte ich die Abteilung „Public Relations und Medienarbeit“ und half beim Erstellen und Verfassen von Informationsmaterialien, Beiträgen für Bücher und Zeitschriften und bei der redaktionellen Betreuung und beim Lektorat der vereinseigenen Publikationen, wie etwa den beiden Publikationen, die zum Zwei- sowie Fünf-Jahres-Jubiläum 1987 bzw. 1990 von der ÖAH herausgegeben wurden. Darin wurden die Gründungsgeschichte und die vielfältigen Tätigkeitsbereiche der ÖAH detailreich präsentiert und dokumentiert.
Meine Arbeit in der ÖAH bot die Möglichkeit, die Aktivitäten des bei der HOSI Wien angesiedelten Eastern Europe Information Pool (EEIP) – ein Projekt im Namen und Auftrag der International Lesbian and Gay Association (ILGA) – im AIDS-Bereich zu ergänzen:
Als ich etwa Anfang Juni 1986 in Budapest (das damals noch hinter dem Eisernen Vorhang lag) mit Schwulenaktivisten zusammentraf, wurde eine sehr spezielle Kooperation vereinbart: Ein schwuler Arzt sollte von testwilligen Schwulen – unter Beachtung der entsprechenden ÖAH-Richtlinien (ausführliche Beratung vor Blutabnahme und bei Befundausfolgung) – Blutproben nehmen. Diese sollten dann nach Wien gebracht und über die ÖAH-Beratungsstelle anonym auf HIV-Antikörper getestet werden. Auf der Rückfahrt nach Wien schmuggelte ich bereits die ersten Blutproben im Seitenkoffer meines Motorrads über die Grenze (vgl. dazu meinen Blog-Beitrag vom 23. November 2023). In der Folge wurden die Blutproben meist von Mitarbeitern der staatlichen ungarischen Fluggesellschaft Malév nach Wien gebracht und in der ÖAH-Beratungsstelle abgegeben. Diese Kooperation wurde aber bald obsolet, da in Budapest (wie auch in Prag) Initiativen und Beratungsangebote entstanden, die sich an den Arbeitsgrundsätzen und -methoden der ÖAH orientierten: Ab Oktober 1988 bot die AIDS-segély (AIDS-Hilfe) anonyme HIV-Testung an (vgl. LN 1/1989, S. 62 f).
Die ÖAH war auch häufig Ziel offizieller Delegationen, engagierter AIDS-HelferInnen und auch von Medien aus Osteuropa. Sie versorgte zudem mehrere Institutionen in der Region regelmäßig mit Kopien von Beiträgen über AIDS in internationalen Fachzeitschriften. So wurden jeden Monat hunderte Kopien u. a. an die HIV-Beratungsstelle des Instituts für Sexuologie an der Karlsuniversität Prag oder die AIDS-Station des László-Krankenhauses in Budapest geschickt. Auch anderes Informationsmaterial, wie Broschüren und Plakate oder Videokassetten, aber auch Kondome wurden sowohl offiziellen Institutionen als auch inoffiziellen Homosexuellengruppen zur Verfügung gestellt. Ausführlich berichtete ich über diese „Internationale Zusammenarbeit“ in der erwähnten Festschrift 5 Jahre Österreichische AIDS-Hilfe 1985–1990 (S. 248 ff).
Immer wieder wurde ich zu Veranstaltungen in Osteuropa eingeladen, und gelegentlich referierte und publizierte ich über AIDS in dieser Region. Im Dezember 1986 nahm ich etwa an einer Podiumsdiskussion in Laibach im Rahmen einer AIDS-Aufklärungswoche teil (vgl. LN 1/1987, S. 35).
Auf der Tagung Homosexual Identity During, Before and After HIV, die im Vorfeld der IV. Welt-AIDS-Konferenz in Stockholm im Juni 1988 auf einem Fährschiff stattfand, das zwischen Stockholm, Mariehamn (Åland) und Turku hin- und herfuhr, hielt ich einen Vortrag über AIDS und die aufkeimende Homosexuellenbewegung in Osteuropa (vgl. LN 3/1988, S. 49 ff).
1991 war ich insgesamt viermal in Prag, um mich u. a. mit der tschechoslowakischen AIDS-Hilfe-Organisation Společnost AIDS Pomoc (SAP) zu treffen und auszutauschen.
Für die Ausgabe Nr. 15 (Mai 1991) der vom Londoner PANOS Institute herausgegebenen Zeitschrift WorldAIDS verfassten AART HENDRIKS aus den Niederlanden und ich einen längeren Beitrag über AIDS in Osteuropa. PANOS organisierte aus diesem Anlass eine Pressekonferenz in Budapest, auf der ich referierte.
Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation
Ein wichtiger Bestandteil der internationalen Arbeit war die Zusammenarbeit mit dem WHO-Europabüro in Kopenhagen, zu dessen AIDS-Beauftragter 1988 die damalige Präsidentin der ÖAH, Brigitte Gredler, bestellt worden war. Die WHO wollte der großen Bedeutung der Arbeit nichtstaatlicher AIDS-Organisationen im Kampf gegen die neue Krankheit Rechnung tragen und diese Arbeit unterstützen.
Zu diesem Zweck organisierte das WHO-Europabüro Anfang März 1989 gemeinsam mit der ÖAH eine internationale Tagung über AIDS Service Organisations and Their Role in HIV/AIDS Policy and Programmes in Wien (vgl. LN 2/1989, S. 29). Dabei wurde eine gemeinsame Erklärung über die Anliegen, Ziele und Probleme sowie über die zukünftige Zusammenarbeit zwischen AIDS-Service-Organisationen (kurz: ASOs) und WHO verabschiedet (Dokument WHO/GPA/-INF/89.10). Bei diesem Meeting wurde zudem der Grundstein für die spätere Gründung von ICASO und EuroCASO, dem internationalen und dem europäischen Dachverband von nichtstaatlichen AIDS-Hilfe-Organisationen, gelegt. Die ÖAH übernahm vorerst die Funktion einer Koordinationsstelle für die europäischen „AIDS service organisations (ASOs)“. Auf einem informellen Folgetreffen im Vorfeld der Welt-AIDS-Konferenz in Montreal im Juni 1989 wurde ein Organisationskomitee für die Gründung des International Council of AIDS Service Organizations ins Leben gerufen. Die ÖAH wurde dabei zur Vertreterin der europäischen ASOs bestellt.
Vom 31. August bis 1. September 1989 waren mein ÖAH-Kollege Dieter Schmutzer und ich zu Arbeitsgesprächen im WHO-Europabüro in Kopenhagen zu Gast, um weitere Kooperationen zu erörtern. Unsere GesprächspartnerInnen waren u. a. Brigitte Gredler und Henning Mikkelsen, der im Juli 1989 auf der 11. ILGA-Weltkonferenz in Wien zum ersten Mal in der Geschichte der WHO als Vertreter dieser Organisation direkt zur internationalen Lesben- und Schwulen-Community gesprochen hatte (vgl. LN 4/1989, S. 14 ff). Es war der Beginn einer langjährigen Kooperation, die nach dem Ende der ÖAH im Rahmen von EuroCASO und ILGA weitergeführt wurde.
Im Oktober 1989 organisierten das WHO-Europabüro und die ÖAH in Wien ein weiteres, diesmal europäisches Treffen, das First Regional Workshop for AIDS Service Organisations in Europe on Collaboration and Networking Activities. Bei dieser Gelegenheit wurde beschlossen, auch einen European Council of AIDS Service Organisations (ECASO, später EuroCASO) zu gründen. Zu diesem Zweck wurde ein siebenköpfiges Personenkomitee bestellt, in dem die ÖAH ebenfalls durch mich vertreten war. Ein Jahr später, im Oktober 1990, war die ÖAH Gastgeberin des Second Regional Workshop for AIDS Service Organisations in Europe ( ASOs into the 1990s: People’s Needs and the Best Response) in Wien. Bei dieser Gelegenheit wurde auch die EuroCASO-Charter, sozusagen die Statuten, angenommen. Die ÖAH, die schon bisher informell als EuroCASO-Sekretariat fungiert hatte, wurde offiziell als solches bestimmt.
Im November 1990 wurde die ÖAH mit Zustimmung des Bundeskanzleramts zum WHO Information and Reference Centre for AIDS Service Organisations. Der Plan, die ÖAH zum offiziellen WHO Collaborating Centre for AIDS Service Organisations zu machen, konnte dann allerdings nicht mehr umgesetzt werden. Die WHO nutzte diese Kooperation indes nicht nur zur Aufwertung der Arbeit nichtstaatlicher AIDS-Hilfen, sondern auch jener von Schwulen- und Lesbenorganisationen, die in manchen Ländern die Hauptarbeit in der HIV-Prävention und bei den AIDS-Aktivitäten leisteten. Speziell für Ost- und Südosteuropa war diese Unterstützung sehr wichtig. Meine Mehrfachfunktionen in der ÖAH, der HOSI Wien und der ILGA waren hier besonders hilfreich, um entsprechende Weichen zu stellen.
Durch meine ÖAH-Tätigkeit arbeitete ich auch an einem weiteren WHO-Projekt mit, der „Healthy Cities“-Initiative, die 1986 vom WHO-Europabüro gestartet wurde und der sich die Stadt Wien sehr früh angeschlossen hatte. Alsbald begann man sich in dieser Initiative mit dem Thema AIDS zu beschäftigen. Beim 4. Jahressymposium der Healthy Cities im ungarischen Fünfkirchen (Pécs) im September 1989 leitete ich als Temporary Adviser der WHO den AIDS-Arbeitskreis und präsentierte das Wiener Beispiel: AIDS Care – Building Alliances – for example Vienna. Später wurde auch an einem Multi-City Action Plan AIDS gearbeitet. Weitere Healthy-Cities-Aktivitäten führten mich nach Düsseldorf (1990) und Liverpool (1991). In nostalgischer Reminiszenz nahm ich im Mai 1995 an der AIDS-Enquete teil, als die Healthy Cities zu ihrem AIDS-Aktionsplan in Wien tagten (vgl. LN 2/1995, S. 19, und 3/1995, S. 37).
Die ÖAH nahm schließlich im Juni 1991 ein ziemlich unschönes Ende, das sich über ein Jahr lang hingezogen hatte, worüber ich und andere ausführlich in mehreren Ausgaben der LAMBDA-Nachrichten berichtet haben: # 3/1990, S. 27 ff + S. 75; # 4/1990, S. 9 ff; # 1/1991, S. 5 ff + S. 32 ff; # 2/1991, S. 23 ff; # 3/1991, S. 23 ff; # 1/1992, S. 42 ff + S. 47 ff; # 4/1992, S. 18 ff.
Im November 1985 wurde in Wien die erste Beratungsstelle der ÖAH offiziell eröffnet. V. l. n. r.: Helga Halbich, Gunter Liebeswar, Verena Baustädter, Reinhardt Brandstätter, Judith Hutterer, Nina Arzberger, Otto Presslich, Ingried Erlacher und Henning Dopsch. An der Wand die von Lore Heuermann als Leihgaben zur Verfügung gestellten Kunstwerke.
FOTO: HUBERT SCHATZL