Gedenken und demonstrieren
Das Gedenken und Demonstrieren war der HOSI Wien quasi in die Wiege gelegt worden, wie ich in meinem Text über die Anfänge des Vereins erwähne: Immerhin erfolgte sein allererstes öffentliches Auftreten im Rahmen der Teilnahme an einer großen antifaschistischen Demonstration durch die Wiener Innenstadt am 26. April 1980 – dank riesiger Transparente unübersehbar (vgl. Sektion Zeitreise). Zum Text auf einem der Spruchbänder – „300.000 Homosexuelle in Nazi-KZs gemordet“ – sei an dieser Stelle angemerkt, dass uns damals die Dimensionen der Verfolgung nicht so wirklich klar waren. Erst mit der einsetzenden wissenschaftlichen Forschung änderte sich das. Der Text auf dem Transparent stimmte zwar inhaltlich, wenn man von einem Anteil von 5 % Homosexuellen an der Gesamtbevölkerung und von 6 Millionen in den Konzentrationslagern ermordeten Menschen ausgeht (aufgrund dieser Rechnung kam offenbar die evangelische Kirche Österreichs zu dieser Zahl, die meines Wissens von ihr in Umlauf gebracht worden war), aber natürlich ist diese Zahl irreführend. Wegen ihrer homosexuellen Orientierung wurden – wie man später erforschte – weit weniger Menschen ermordet (man geht von rund 16.000 aus). Siehe dazu auch meinen Beitrag für die Publikation des Gedenkprojekts Erinnern für die Zukunft (Wien 2009). Daher war auch der anfangs mitunter gebrauchte Ausdruck „Homocaust“ eine arge Verfehlung.
Am 26. Oktober 1980 wiederum nahm die HOSI Wien zum ersten Mal an einer Gedenkfeier im ehemaligen KZ Mauthausen teil (vgl. Bericht von RUDOLF KATZER in den LN 3–4/1980, S. 6), wie ich ebenfalls an anderer Stelle auf diesem Website erwähne.
Gedenken und demonstrieren
(Text aus den LN Nr. 88, dem Sonderheft zur Ausstellung „Aus dem Leben“, erschienen am 14. Juni 2001 – hier auch als PDF zum Download)
Am 9. Dezember 1984 enthüllten die Homosexuellen Initiativen Österreichs im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen einen Gedenkstein für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus. Der Stein in Form eines gleichseitigen Dreiecks von 120 cm Seitenlänge aus skandinavischem Granit wurde neben anderen Gedenksteinen an der Innenmauer des KZ-Geländes angebracht. Er war weltweit das erste Denkmal für Homosexuelle überhaupt.1
Seither hat jedes Jahr im Rahmen der jährlich stattfindenden Befreiungsfeier am ersten Sonntag im Mai eine kleine Gedenkfeier mit Blumen- bzw. Kranzniederlegung vor dem Gedenkstein stattgefunden. Mitunter nahmen daran auch prominente PolitikerInnen teil, wie 1998 Parlamentspräsident Heinz Fischer oder 2000 SPÖ-Abgeordnete Barbara Prammer.2
Zum Internationalen Menschenrechtstag am 10. Dezember organisiert die HOSI Linz ebenfalls regelmäßig eine Gedenkfeier mit Kranzniederlegung. Ein Besuch in Mauthausen ist auch Fixpunkt im Programm von Tagungen der International Lesbian and Gay Association in Österreich gewesen (Wien 1989, Linz 1998).
Daß andere Opfer-VertreterInnen Berührungsängste mit Lesben und Schwulen hatten und haben, sollte die HOSI Wien bei mehreren Gelegenheiten erfahren. Bezeichnend dafür ist folgende Anekdote: Die Errichter des nächstfolgenden Gedenksteins – er wurde den albanischen StaatsbürgerInnen, die in Mauthausen umkamen, vom albanischen Volk gewidmet – ließen Platz für einen Stein aus und brachten ihn in weitem Abstand von unserem an. Die entstandene Lücke wurde später von den PfadfinderInnen gefüllt, die offenbar keine Berührungsängste hatten.
Abartigkeit hat kein Recht auf Forderung
Weniger harmlos waren die Erfahrungen, die die TeilnehmerInnen der HOSI Wien und HOSI Linz am 5. Mai 1985 bei den Feierlichkeiten anläßlich des 40. Jahrestags der Befreiung Mauthausens machten.3 Da es sich um ein rundes Jubiläum handelte, waren besonders viele TeilnehmerInnen gekommen, rund 25.000 aus ganz Europa. Die beiden mitgebrachten Transparente – 1000e homosexuelle KZ-Opfer warten auf Rehabilitierung; 40 Jahre 2. Republik – 40 Jahre Schwulen- und Lesbenunterdrückung – stießen indes auf wenig Gegenliebe bei den Verantwortlichen. Ein heftiger Disput mit einem Vorstandsmitglied der Lagergemeinschaft entspann sich, im Zuge dessen der Mann meinte: „Abartigkeit hat kein Recht auf Forderungen.“ Weitaus positiver waren jedoch viele Reaktionen anderer TeilnehmerInnen, die uns unterstützten. Am Schluß der Veranstaltung kam es zu einer berührenden Szene: Eine Frau kam auf einen jungen Mann aus der HOSI-Gruppe zu, nahm ihr rot-weiß-blaues Mauthausen-Halstuch ab und band es ihm um den Hals: „Für euren Mut, hier öffentlich aufzutreten!“
Daß das offizielle Österreich nicht gerne daran erinnert wird, daß Schwule und Lesben vom Nazi-Regime verfolgt und von jeder Wiedergutmachung ausgeschlossen wurden, mußten AktivistInnen der HOSI Wien und der Rosa Lila Villa auch bei der feierlichen Enthüllung des Denkmals gegen Krieg und Faschismus von Alfred Hrdlicka am 24. November 1988 am Wiener Albertina-Platz erleben.4 Wieder waren einige mit dem Transparent 1000e homosexuelle KZ-Opfer warten auf Rehabilitierung unterwegs, um ihre Anliegen an diese Versammlung engagierter AntifaschistInnen heranzutragen. Doch leider hat man die Rechnung ohne die Polizei und jene Person gemacht, die den Auftrag gab, den HOSI- und Villa-Leuten das Transparent zu entreißen – wer dies war, konnte nie eruiert werden. Jedenfalls passierte genau das: Das Transparent wurde den HOSI- und Villa-AktivistInnen gewaltsam entrissen, obwohl sie nicht störten – nur durch ihre bloße Anwesenheit und den Text auf dem Transparent. Die Umstehenden sollten sich indes solidarisieren, einige schrieben sogar Leserbriefe an Tageszeitungen, um ihrer Empörung über das Vorgehen der Polizei Luft zu machen. Gegen diese Polizeiaktion gingen Gudrun Hauer und Alfred Guggenheim von der HOSI Wien durch alle Gerichtsinstanzen in Österreich und legten schließlich Beschwerde bei der Europäischen Menschenrechtskommission in Straßburg ein – leider vergeblich. Aber das ist eine andere Geschichte…5
Aber auch die Albertinaplatz-Geschichte hatte noch eine Fortsetzung: Am 21. Juni 1991 wurde der letzte Teil des Hrdlicka-Denkmals feierlich enthüllt.6 Natürlich mobilisierte die HOSI Wien für dieses Ereignis und war stark vertreten. Und ein neues, textlich leicht verändertes Transparent hatte sie auch mit: 1000e homosexuelle NS-Opfer warten auf Rehabilitierung. Diesmal gab es keinen von der Polizei provozierten Zwischenfall, Bürgermeister Helmut Zilk erwähnte in seiner Ansprache sogar die Homosexuellen bei der Aufzählung der Opfergruppen! Im November 1988 hatten alle RednerInnen die homosexuellen NS-Opfer noch totgeschwiegen. Man ist also doch lernfähig.
Fußnoten:
1 Vgl. LAMBDA-Nachrichten 1/1985, S. 6 ff.
2 Vgl. LAMBDA-Nachrichten 3/1998, S. 26, bzw. 3/2000, S. 24.
3 Vgl. LAMBDA-Nachrichten 3/1995, S. 9 f.
4 Vgl. LAMBDA-Nachrichten 1/1989, S. 18 ff.
5 Sie kann nachgelesen werden in folgenden Ausgaben der LAMBDA-Nachrichten: 1/1989, S. 18 ff; 2/1989, S. 9; 4/1989, S. 28 f; 1/1990, S. 8; 2/1990, S. 8 f; 1/1991, S. 11 f; 3/1991, S. 19; 1/1992, S. 18; 1/1994, S. 10 f.
6 Vgl. LAMBDA-Nachrichten 3/1991, S. 19.
Nachträgliche Anmerkung: Die Teilnahme von AktivistInnen der LSBT-Bewegung an der alljährlich in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen (meist am ersten oder zweiten Sonntag im Mai) stattfindenden Befreiungsfeier ist bis heute ungebrochene Tradition.