„Blaue Briefe“ gegen § 209 StGB
Strafrechtsreform
Im Kampf gegen § 209 StGB legte die HOSI Wien auch einen Fokus darauf, internationale Organisationen dazu zu bewegen, die Aufrechterhaltung dieser menschenrechtswidrigen Strafbestimmung zu verurteilen und damit quasi „Blaue Briefe“ an Österreichs Parlament, Regierung und Verfassungsgerichtshof zu schicken. Hier folgt eine chronologische Auflistung von Aufforderungen internationaler Organisationen und Gremien an Österreich, § 209 abzuschaffen.
27. November 1996: ÖVP und FPÖ stimmen eine Gesetzesvorlage zur Streichung des § 209 StGB nieder.
8. April 1997: Das Europäische Parlament verabschiedet seinen Bericht und seine Entschließung über die Achtung der Menschenrechte in der Europäischen Union für das Jahr 1995 (Dokument A4-0112/97), dem ersten Jahr der Mitgliedschaft Österreichs in der EU. In Ziffer 140 der Entschließung fordert das EP Österreich auf, das unterschiedliche Mindestalter für schwule Beziehungen aufzuheben (vgl. LN 3/1997, S. 10 ff, sowie Aussendungen der HOSI Wien vom 7. April und 9. April).
1. Juli 1997: In der Beschwerde Nr. 25186/94 Euan Sutherland gegen das Vereinigte Königreich stellt die Europäische Menschenrechtskommission in Straßburg fest, dass keinerlei objektive und vernünftige Rechtfertigung für die Beibehaltung eines höheren Mindestalters für homosexuelle als für heterosexuelle Handlungen bestehe (Randnummer 66 der Entscheidung), und schließt, dass im vorliegenden Fall eine Verletzung des Artikels 8 in Verbindung mit Artikel 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention vorliege (Randnummer 67). Gegner einer Reform der ähnlichen Bestimmung im § 209 bringen das formale Argument vor, diese Entscheidung betreffe das österreichische Gesetz nicht, da es sich um eine britische Beschwerde handle, und dass sie vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht bestätigt worden sei – die britische Regierung akzeptierte die Entscheidung der Kommission und hat sie daher nicht vor den Gerichtshof gebracht (vgl. Bericht in den LN 1/1998). Anmerkung: Damals, vor der Reform der Gremien des Europarats, war die Menschenrechtskommission dem Gerichtshof quasi vorgelagert.
17. Februar 1998: Das Europäische Parlament verabschiedet seinen Bericht und seine Entschließung über die Achtung der Menschenrechte in der Europäischen Union für das Jahr 1996 (Dokument A4-0034/98). In Ziffer 69 der Entschließung fordert das EP Österreich abermals auf, § 209 aufzuheben (vgl. LN 2/1998, S. 13 f, sowie Aussendungen der HOSI Wien vom 16. Februar und vom 17. Februar).
17. Juli 1998: In voller Kenntnis der Entscheidung der Europäischen Menschenrechtskommission und der zwei EP-Entschließungen vom 8. April 1997 und 17. Februar 1998 stimmen ÖVP und FPÖ im Nationalrat neuerlich eine Gesetzesvorlage zur Aufhebung des § 209 nieder (vgl. Aussendung der HOSI Wien vom 18. Juli).
17. September 1998: Das Europäische Parlament verabschiedet eine Entschließung zur Gleichberechtigung von Homosexuellen und Lesben in der Europäischen Union (Dokument B4-0824 und 0852/98). „In der Erwägung, dass EU-Mitgliedstaaten wie Österreich aus Gründen der Glaubwürdigkeit gegenüber den Beitrittsstaaten, wenn sie von ihnen die Achtung der Menschenrechte fordern, ihre eigenen diskriminierenden Bestimmungen gegenüber Lesben und Schwulen aufheben müssen, insbesondere Bestimmungen über das Mündigkeitsalter“ (Erwägung C) und „im Bedauern darüber, dass es das österreichische Parlament am 17. Juli 1998 abgelehnt hat, die Aufhebung des Paragraphen 209, der ein höheres Mündigkeitsalter für homosexuelle Männer vorsieht, zu beschließen, und damit bewusst sowohl den Beschluss im Fall Sutherland als auch die vom Europäischen Parlament in seinen vorstehend erwähnten Entschließungen vom 8. April 1997 und 17. Februar 1998 nachdrücklich an Österreich gerichteten Anforderungen ignoriert hat“ (Erwägung G), fordert das Europäische Parlament in dieser Entschließung „die österreichische Regierung und das österreichische Parlament auf, Paragraph 209 des Strafgesetzbuchs unverzüglich aufzuheben und alle Personen, die aufgrund dieses Artikels Gefängnisstrafen verbüßen, unverzüglich zu begnadigen und freizulassen“ (Ziffer 1). Vgl. Aussendung der HOSI Wien vom 18. September sowie LN 4/1998, S. 7 ff.
5. November 1998: Nach seiner Befassung mit dem dritten von Österreich gemäß Artikel 40 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vorgelegten periodischen Bericht stellt der UNO-Ausschuss für Menschenrechte in seinen abschließenden Bemerkungen fest, dass § 209 eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung darstellt. Der Ausschuss verlangt die Änderung des Gesetzes zum Zwecke der Beseitigung solcher diskriminierender Bestimmungen (Randnummer 13). Vgl. LN 1/1999, S. 6 f.
17. Dezember 1998: Das Europäische Parlament verabschiedet seinen Bericht und seine Entschließung über die Achtung der Menschenrechte in der Europäischen Union für das Jahr 1997 (Dokument A4-0468/98). In Ziffer 53 der Entschließung wiederholt das EP die Forderung an Österreich, § 209 aufzuheben. Die Entschließung stellt eine peinliche „Krönung“ des EU-Vorsitzes Österreichs dar: Es ist wohl das erste Mal, dass ein EU-Vorsitzland gleich zweimal während seiner Präsidentschaft vom Europa-Parlament wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen gerügt wird (vgl. Aussendung der HOSI Wien vom 18. Dezember 1998 und LN 1/1999, S. 8 f).
16. März 2000: Das Europäische Parlament verabschiedet seinen Bericht und seine Entschließung über die Achtung der Menschenrechte in der Europäischen Union für die Jahre 1998-99 (Dokument A5-0050/2000). In Ziffer 60 der Entschließung fordert das EP Österreich einmal mehr auf, § 209 aufzuheben und alle nach dieser Bestimmung inhaftierten Personen freizulassen (vgl. LN 2/2000, S. 20 ff).
7. April 2000: Auf einer Pressekonferenz anlässlich der offiziellen Eröffnung der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Wien erklärte Nicole Fontaine, Präsidentin des Europäischen Parlaments, auf eine Journalistenfrage, dass die unterschiedliche Mindestaltersgrenze in der Tat eine Menschenrechtsverletzung darstelle und Österreich daher gegen den EU-Vertrag verstoße. Dies müsse der österreichischen Bundesregierung klargemacht werden, dies sei keine Einmischung in innere Angelegenheiten, sondern hier gehe es um die Achtung der Menschenrechte (vgl. Aussendung der HOSI Wien sowie LN 2/2000, S. 6 ff).
26. September 2000: Die Parlamentarische Versammlung des Europarats verabschiedet Empfehlung # 1474 (2000) über die Situation von Lesben und Schwulen in den Mitgliedsstaaten des Europarats und fordert die Mitgliedsstaaten u. a. auf, „dieselbe Mindestaltersgrenze für homo- und heterosexuelle Handlungen anzuwenden“ (Ziffer 11 iii d) – vgl. Aussendung der HOSI Wien sowie LN 4/2000, S. 29.
23. Februar 2001: Die schwedische Ministerin für Asyl- und Einwanderungsfragen, Maj-Inger Klingvall, erklärt in Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage, dass Schweden Asylanträge von österreichischen Staatsbürgern, die wegen § 209 verfolgt werden, annehmen und prüfen würde (vgl. Aussendung der HOSI Wien vom 8. März 2001 sowie LN 2/2001, S. 11 ff).
28. Februar 2001: Amnesty International adoptiert einen wegen Verstoßes gegen § 209 verhafteten Mann als Gewissensgefangenen (vgl. Presseaussendung des Internationalen Sekretariats AI Index EUR 13/001/2001). Dies ist seit Jahrzehnten der erste von AI adoptierte politische Gefangene Österreichs (vgl. LN 2/2001, S. 16 ff).
Mai 2001: In ihrem Jahresbericht 2001 verurteilt Amnesty International § 209 als Menschenrechtsverletzung im Kapitel über Österreich. Auch die Internationale Helsinki-Föderation für Menschenrechte kritisiert § 209 in ihrem Jahresbericht.
5. Juli 2001: Das Europäische Parlament verabschiedet seinen Bericht und seine Entschließung über die Achtung der Menschenrechte in der Europäischen Union für das Jahr 2000 (Dokument A5-0223/2001). In Ziffer 80 der Entschließung fordert das EP Österreich (zum 6. Mal) auf, § 209 aufzuheben und (zum dritten Mal) alle nach dieser Bestimmung inhaftierten Personen freizulassen (vgl. Aussendung der HOSI Wien vom 5. Juli 2001 sowie LN 3/2001, S. 28 ff).