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Bundespräsidentenwahl 1986: Besuch bei Kurt Steyrer & Wahlkampf-Flugblatt

Veröffentlicht am 27. Juni 1986
Die Bundespräsidentenwahl 1986 war ein riesiger politischer Aufreger. Beim ersten Wahlgang am 4. Mai 1986 erreichte keine/r der KandidatInnen eine absolute Mehrheit. Die Stichwahl am 8. Juni 1986 zwischen Kurt Waldheim (1918–2007), ÖVP, und Kurt Steyrer (1920–2007), SPÖ, entschied ersterer für sich. Während Freda Meissner-Blau (1927–2015) den LN ein Interview gab und Steyrer Vertreter der HOSI Wien empfing, ignorierte Waldheim sie völlig. Ich berichtete darüber in den LN 3/1986.

Kurt Steyrer

Kurt Steyrer mit Bruno Kreisky

Faksimile aus der „Wochenpresse“ # 23 vom 3. Juni 1986 – zum Vollbild wie immer draufklicken!

Kurz nach Erscheinen der letzten Ausgabe der LN [2/1986, vgl. S. 23] erreichte die HOSI Wien doch noch ein Schreiben Kurt Steyrers, in dem ihr ein Gesprächstermin angeboten wurde. Am 14. April besuchten also Obmann REINHARDT BRANDSTÄTTER und der Autor dieser Zeilen den Präsidentschaftskandidaten.

Steyrer betonte, daß er gegen jede Diskriminierung von Homosexuellen sei, daß es für ihn [Anm.: als Gesundheitsminister 1981–85] keine Frage gewesen sei, seinerzeit die Gründung der Österreichischen AIDS-Hilfe zu befürworten und zu unterstützen. Er würde nach § 209 StGB Verurteilte auf Vorschlag des Justizministeriums natürlich begnadigen. Er beklagte sich dann bitter bei uns, wie sehr er selbst unter dem intoleranten Klima in diesem Land leide. Nie sei es so wenig liberal gewesen wie gerade jetzt. Das verspüre er auch bei seinen Wahlreisen, vor allem im Westen, wo die frommen Menschen in ihm fast einen Gott-sei-bei-uns sehen, weil er aus der Kirche ausgetreten sei. Er könne daher auch keine öffentlichen Äußerungen zur Diskriminierung von Homosexuellen machen, denn das würde ihm schaden – und unserer Sache auch. Im Falle seiner Wahl würde er uns aber zu einem neuerlichen Gespräch empfangen, um dieses Thema näher zu erörtern. Nun ja, dazu wird es ja jetzt leider nicht kommen.

 

Wahlkampf-Flugblatt

Nach dem ersten Wahlgang beschloß die HOSI Wien, ein Flugblatt für den zweiten Urnengang am 8. Juni zu produzieren, mit dem wir von einer Stimmabgabe für Kurt Waldheim abrieten und empfahlen, das kleinere Übel Kurt Steyrer zu wählen. Alle HOSIs Österreichs und die Rosa Lila Villa haben das Flugblatt unterzeichnet.

Für diejenigen, die das Flugblatt nicht kennen, drucken wir die Information darüber aus der Wochenpresse Nr. 23 vom 3. Juni 1986 in Faksimile [obenstehend] ab. Vgl. auch unseren Leidartikel auf Seite 3!

In der Wiener Szene, so war zu vernehmen, stieß unser Flugblatt auf Kritik. Wir sind jedenfalls der Meinung, Minderheitenhetze dürfe sich nicht bezahlt machen. Und wir waren entsetzt über die Wahlkampfstrategie der ÖVP, die sich – völlig desperat über ihre vielen Niederlagen – an einen Waldheimsieg um jeden Preis klammerte und sich erfolgreich als neonazistische und antisemitische Partei zu profilieren wußte und mit kaum verhohlener Minderheitenhatz auf Stimmenfang ging. Mit den Stimmen aller alten und jungen Nazi ist der ÖVP der Sieg bei den nächsten Nationalratswahlen jedenfalls gewiß. Der ÖVP ist es zu verdanken, daß diese Eiterbeulen der österreichischen Seele wieder aufgebrochen sind. Uns dies wieder vor Augen geführt zu haben – dafür gebührt der ÖVP in der Tat unser aller Dank. Wir hätten sonst womöglich noch vergessen, daß diese Eiterbeulen latent immer noch vorhanden sind, und uns in falscher Sicherheit gewähnt.

Was machten indes viele Schwule und Lesben? Sie wählten auch Waldheim! Sind sie wirklich so unsensibel, daß sie nicht sehen, daß die Minderheiten austauschbar sind? Daß nächstesmal vielleicht die Homosexuellen für einen Wahlsieg dem gesunden Volksempfinden geopfert werden? Waldheim hat sich in sein Schlamassl selbst hineingelogen und hineinmanövriert. Mitleid und „Solidarität“ mit ihm waren und sind wirklich völlig fehl am Platz. Und schon gar nicht von seiten der Schwulen und Lesben.