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  2. Kurts Kommentar LN 3/1996

Keine Stimme für Heinz Miko!

Erschienen am 2. Juli 1996

Die SPÖ hat für die Wiener Gemeinderatswahlen einen offen schwulen Kandidaten aufgestellt: den braven Parteisoldaten HEINZ MIKO von der Arbeitsgemeinschaft SoHo – Sozialismus und Homosexualität. Allerdings an aussichtsloser, unwählbarer Stelle. Miko wird daher einen „Vorzugsstimmenwahlkampf“ führen; er hofft, damit vielleicht doch noch ein Mandat zu erringen. Die SPÖ hat offenkundig dazugelernt und inzwischen kapiert, daß Lesben und Schwule gerade im großstädtischen Bereich ein nicht zu vernachlässigendes WählerInnen-Potential darstellen. Aber natürlich traut sich die SPÖ immer noch nicht, einen offen schwulen Kandidaten oder eine offen lesbische Kandidatin an vorderster und wählbarer Stelle aufzustellen oder gar mit einem offensiven pro-homosexuellen Programm in den Wahlkampf zu gehen. Die Partei denkt sich offenbar im geheimen, schaden kann’s wohl nicht, und wenn der Miko ein paar tausend Stimmen von Lesben und Schwulen bringt, soll’s uns nur recht sein. Die SPÖ und mit ihr Heinz Miko meinen wohl, daß es immer noch bescheuerte Lesben und Schwule gibt, die diese Parte nach der Angstwahl 1995 und der nachfolgenden Enttäuschung darüber, wie sich diese Partei von der ÖVP wieder total über den Tisch ziehen ließ (nicht nur in Lesben- und Schwulenfragen, sondern auch beim Sparpaket etc. – ich sage nur: Hans-Christian Andersen!), wählen werden.

Mogelpackung

Heinz Miko ist eine Mogelpackung, anhand derer manifest wird, wie problematisch es ist, wenn eine Partei offen homosexuelle KandidatInnen aufstellt, um rosalila Stimmen zu ködern. Denn im Gegensatz zu den Grünen und Liberalen wirkt eine derartige Kandidatur bei der SPÖ völlig unglaubwürdig. Die vordergründige Stimmenfangabsicht ist nur zu offensichtlich. Während man den Grünen und den Liberalen ihr Engagement für schwul/lesbische Anliegen abnimmt und ihnen durchaus zutraut, diese auch in Regierungsverantwortung zu vertreten, weiß man einfach aufgrund des bisherigen Verhaltens der SPÖ, daß sie sich für unsere Anliegen niemals einen Hax’n ausreißen wird. Daher geht auch das Argument ins Leere, die Grünen und das LiF hätten leicht reden, weil sie ohnehin nicht in die Verlegenheit kommen werden, ihre Versprechen bei einer Regierungsbeteiligung umzusetzen. Bloß: Die SPÖ hat die letzten 25 Jahre bewiesen, daß sie nichts für die Gleichstellung homosexueller Frauen und Männer zu tun gedenkt.

Auch Heinz Miko weiß ganz genau, daß er in seiner Partei nicht viel in dieser Hinsicht bewegen kann. Selbst wenn er es in den Wiener Gemeinderat schaffen sollte – was kann er schon groß ohne Rückendeckung durch die Partei erreichen? Miko spricht ja ehrlicherweise auch davon, sich in erster Linie der innerparteilichen Überzeugungsarbeit widmen zu wollen. Okay, das soll er ruhig tun – und in 20 Jahren wiederkommen! Für diese Arbeit braucht er kein Mandat von Wiens Lesben und Schwulen!

Da Miko ganz genau über seine ziemlich begrenzten Möglichkeiten als potentieller schwuler SP-Gemeinderat Bescheid weiß, muß man seine Kandidatur daher als gemeinen Verrat an der schwul/lesbischen Sache qualifizieren. Und das muß man ihm zum Vorwurf machen, denn selbst wenn er es ehrlich meint und es ihm nicht bloß um seine persönliche Karriere geht, ist soviel Naivität und Verdrängung auch einem Möchte-gern-Politiker anzukreiden. Dafür, daß er sich von dieser Partei nicht lösen kann, gebührt ihm unser aller Mitleid, aber Mitleid ist keine politische Kategorie, wenn es darum geht, Schaden von der lesbisch/schwulen Sache abzuwenden. Aber wahrscheinlich gibt es ohnehin kaum noch Lesben und Schwule, die dieser SPÖ nochmals ihre Stimme geben wollen! Zu lang ist mittlerweile die Liste mit den Versäumnissen dieser Partei gegenüber Lesben und Schwulen.

Unfähige SPÖ

Den ZweiflerInnen seien hier nochmals einige Informationen in Erinnerung gebracht:

Seit 1970 stellt die SPÖ den Bundeskanzler, bis 1983 hatte sie die absolute Mehrheit im Parlament, 1993–94 hatte sie fast zwei Jahre die Möglichkeit, mit dem neugegründeten LiF und den Grünen die Paragraphen zu Fall zu bringen, aber da war ihr die Koalitionstreue zu einer untreuen ÖVP wichtiger (Wir erinnern uns: Die ÖVP dankte der SPÖ diese Treue am letzten Tag der 1994 endenden Legislaturperiode damit, daß sie mit der F gegen die SP stimmte, im übrigen nicht der einzige Akt koalitionärer Untreue durch die ÖVP).

Aufgrund des Verhaltens der ÖVP nach den Wahlen 1994 und speziell auch vor den Wahlen 1995 (Ablehnung einer Abstimmung über die Paragraphen in der Nationalratssondersitzung) mußte der SPÖ klar sein, daß nur eine Vereinbarung im Koalitionspakt die ÖVP zur Aufhebung der Paragraphen zwingen könnte. Aber natürlich war der SPÖ die Sache nicht wichtig genug, undenkbar für sie, die Koalitionsverhandlungen an dieser Frage scheitern zu lassen! Die SPÖ wähnte sich dann besonders schlau, die Frage zum koalitionsfreien Raum gemacht zu haben – und wollte das der Lesben- und Schwulenbewegung sogar als hart errungenen Sieg verkaufen. Dabei war der Hintergedanke wohl: Hauptsache, es gibt eine Abstimmung im Parlament. Wenn F und ÖVP sich gegen die Ampelparteien in dieser Frage durchsetzen, Pech für die Lesben und Schwulen eben, wir, die SPÖ, können dann nichts dafür und waschen unsere Hände in Unschuld. Wir haben eben keine Mehrheit für unseren Antrag gefunden! Daß sie aber von der viel trickreicheren ÖVP einmal mehr über den Tisch gezogen worden waren, dämmerte Kostelka & Co. aber wohl erst, als Khol im Frühjahr ÖVP-Pläne lancierte, die Lesben- und Schwulengesetze (vorausgesetzt, die F stimmen zu) zu verschärfen. Und da ja ein koalitionsfreier Raum für diese Frage vereinbart worden war, könnte die SPÖ nicht einmal die Koalitionsfrage stellen, was sie aber wohl ohnehin in dieser für sie so unwichtigen Angelegenheit nie getan hätte.

Keine Stimme für die SPÖVP-Koalition

Verschärfend für Wien kommt hinzu, daß sich die Wiener Landes-SP bereits für eine Koalition mit der ÖVP entschieden hat. (Daran, daß die SPÖ ihre absolute Mehrheit in Wien verlieren wird, ist wohl nicht zu zweifeln.) Das heißt: Die Wiener SPÖ zieht eine Koalition mit der reaktionären anti-homosexuellen Kerzerlschluckerpartie Schüssels und Khols einer fortschrittlichen pro-lesbisch/schwulen Koalition mit den Grünen und/oder den Liberalen vor. Letztere wäre ja auch eine ideologische und inhaltliche Herausforderung, an der diese versteinerte SP, der es ja nur mehr um die Erhaltung der eigenen Macht und Pfründe geht, erklärterweise kein Interesse hat. Jede Stimme für Heinz Miko ist daher eine Stimme für die ÖVP, für eine große Koalition in Wien! Und daß die nicht besser sein wird als auf Bundesebene – davon kann man wohl ausgehen! Oder glaubt wirklich jemand, die SPÖ wird sich in Wien weniger willig von der ÖVP am Nasenring durch die Politarena ziehen lassen, wenn es nicht um ihre eigenen Anliegen geht? Die Anliegen Dritter wird die SP auch in Wien stets bereitwillig auf dem Altar des Koalitionsfriedens opfern – darauf können wir jetzt schon Gift nehmen! Eine SPÖ, die sich freiwillig – also ohne arithmetischen Sachzwang durch das Wahlergebnis – mit dieser ÖVP, die auch in Wien jede Verbesserung der Lebenssituation homosexueller Frauen und Männer konsequent torpedieren wird, ins Bett legen will, muß für Lesben und Schwule unwählbar sein.

Bei der Gemeinderatswahl die Grünen oder das LiF zu wählen ist für Lesben und Schwule ein doppeltes Muß: Erstens müssen diese beiden Parteien möglichst gestärkt werden, um ihren Regierungsanspruch zu untermauern (obwohl die SPÖ sicherlich keine Hemmungen haben wird, auch mit einer Wiener ÖVP-Miniaturausgabe, die nur mehr viert- oder gar fünftstärkste Partei ist, zu koalieren, sollten deren Mandate ausreichen, die SP-Mehrheit im Gemeinderat abzusichern). Zweitens muß der SPÖ die Rechnung für ihre Bundespolitik in Sachen Homosexualität präsentiert werden. Und als Nebeneffekt wäre es sicherlich gut, die ÖVP in Wien in die Bedeutungslosigkeit zu atomisieren. Ein geeigneter Denkzettel für die Bundes-ÖVP, die dann wohl begreifen müßte, daß mit anti-homosexueller Haß- und Hetzpolitik zumindest in den Städten – und die sind ja auch bei Bundeswahlen entscheidend – kein Staat zu machen ist. Liebe FreundInnen, wählt aber nicht nur selbst grün oder liberal, sondern überzeugt und mobilisiert auch alle eure Hetero-FreundInnen, Familienangehörigen und Bekannten. Sie sollen sich – wenigstens einmal – auch politisch für euch einsetzen und für eure Rechte wählen!

Homophobe Wiener SP

Zum möglichen Einwand, die Wiener Wahl habe mit der Abschaffung der Paragraphen nichts zu tun, wäre festzuhalten, daß sich auch die Wiener SPÖ bisher nicht gerade als lesben- und schwulenfreundlich geriert hat. Alles, was Lesben und Schwule in Wien erreicht haben, haben sie gegen den Widerstand der SPÖ und ihrer Stadtregierung durchsetzen müssen, nichts wurde ihnen von der SPÖ „geschenkt“. Das fing schon 1980 an, als der damalige Kulturstadtrat Zilk die HOSI-Info-Bude bei den Festwochen alternativ (vorübergehend) schließen ließ. Wir setzten bekanntlich die Wiederaufstellung durch massive Proteste durch. Auch die Rosa Lila Villa wurde besetzt und nicht freiwillig von der Stadt Wien zur Verfügung gestellt. Und wir erinnern uns alle nur zu gut daran, daß uns Bürgermeister Zilk 1988 bei der Enthüllung des Hrdlicka-Denkmals die Polizei auf den Hals hetzte, um uns mit unserem Transparent „1000e homosexuelle KZ-Opfer warten auf Rehabilitierung“ vom Albertina-Platz zu vertreiben. Auch als größter Hausherr der Republik handhabt die Stadt Wien das Mietrecht lesben- und schwulenfeindlich und hat in der Vergangenheit hinterbliebene Lebensgefährten von an AIDS verstorbenen Gemeindemietern aus den gemeinsamen Wohnungen geworfen (vgl. LN 4/1992, S 16), obwohl das Mietrecht eine derartige Vorgangsweise gar nicht zwingend vorschreibt! Daß die Wiener Stadtverwaltung Subventionsanträge für schwul/lesbische Projekte ablehnt, ihre Plakatierfirma GEWISTA konsequent die Affichierung lesbisch/schwuler Plakate ablehnt und daß Bürgermeister Michael Häupl und Stadträtin Grete Laska sich seit November 1994 trotz mehrfacher Urgenz weigern, VertreterInnen der HOSI Wien zu einem Gespräch zu empfangen, sind nur weitere anekdotische Steinchen, die das durch und durch homophobe Mosaik der Wiener SPÖ vervollkommnen.

Also: keine Stimme für Heinz Miko, keine Stimme für die SPÖ und damit keine Stimme für die SPÖVP-Koalition in Wien!

Kurts Kommentar LN 3/1996

Nachträgliche Anmerkungen

 

Zu Heinz Miko und weiteren Überlegungen zur Wien-Wahl siehe auch meinen Kommentar in den LN 4/1996. Sie ist die letzte Ausgabe vor der Wien-Wahl.

Mit der Angstwahl 1995 ist die Nationalratswahl 1995 gemeint. Am 22. April 1995 wurde Erhard Busek von Wolfgang Schüssel als ÖVP-Bundesparteiobmann abgelöst. Nach Buseks Rücktritt als Vizekanzler wurde Schüssel am 4. Mai 1995 Vizekanzler und Außenminister in der Bundesregierung Vranitzky IV. Buseks Absetzung war übrigens die Folge einer Kampagne durch Hans Dichand, dem damaligen Herausgeber der Neuen Kronenzeitung.

Wenige Monate später, im Oktober 1995, ließ Schüssel die Koalition platzen. Nur 14 Monate nach der letzten Nationalratswahl vom 9. Oktober 1994 fanden am 17. Dezember 1995 Neuwahlen statt. Sie brachten allerdings nicht den von Schüssel beabsichtigten Erfolg: Die ÖVP stagnierte bei ihren 52 Mandaten, während die SPÖ sechs dazugewann und auf 71 kam – leider auf Kosten der Grünen, die vier Mandate verloren, weshalb ULRIKE LUNACEK damals den Einzug in den Nationalrat verpasste. Ausführliche Informationen über die Nationalratswahl 1995 finden sich in den LN 1/1996, S. 11 ff.

Was die Mandatsverteilung nach Blöcken (siehe auch die „nachträgliche Erläuterungen“ zu meinem Kommentar in den LN 4/1994) betrifft, so wanderte das vom rechten Block 1994 gegenüber 1990 dazugewonnene Mandat wieder an den „linken“ Block zurück.: 1990: 93 zu 90; 1994: 94 zu 89; 1995: 93 zu 90.

Über den skurrilen Vorschlag der ÖVP, die strafrechtlichen Bestimmungen gegen Homosexuelle zu verschärfen, statt sie ersatzlos zu streichen, berichteten die LN in der Ausgabe 3/1996, S. 15 ff. Die ÖVP wollte die Schutzaltersgrenze für lesbische Beziehungen von 14 auf 16 Jahre hinaufsetzen. Die HOSI Wien richtete in dieser Sache u. a. am 30. April 1996 einen offenen Brief an alle ÖVP-Abgeordneten.

Ausführliche Hintergrundberichte zur Wien-Wahl finden sich in den LN 3/1996, S. 10 ff, sowie 4/1996, S. 16 ff.