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  2. Kurts Kommentar LN 4/1996

Wählen wir der SPÖ passende Koalitionspartner!

Erschienen am 7. Oktober 1996

Einige, insbesondere der SPÖ nahestehende Schwule waren über meinen Kommentar in den letzten LN ziemlich erbost. Andere rümpften wieder über den Stil die Nase oder meinten, hier ginge es wieder einmal um eine persönliche G’schicht‘. Letztere kann ich beruhigen. Mein Aufruf, HEINZ MIKO nicht zu wählen, hatte nichts mit ihm persönlich zu tun. Kandidierte ein Franz Huber oder die berühmte Liesl Müller als Gay-Power-Kandidat/in für die SP – übrigens ohnehin auf dem aussichtslosen 215. Platz –, hätte ich das genauso formuliert.

Jedenfalls war in den letzten Monaten festzustellen, daß sich immer mehr Lesben und Schwule meiner jedenfalls stichhaltigen und überzeugenden Argumentation anschlossen oder sie ohnehin geteilt hatten – das merkte ich nicht nur in vielen privaten Gesprächen, sondern zeigte sich auch in einer entsprechenden Aussage GERNOT WARTNERs im HOSI-Linz-Info und nicht zuletzt in der Sitzung des Wiener Lesben- und Schwulenforums, die sich fast einstimmig dafür aussprach, den Lesben und Schwulen die SPÖ für die Wiener Gemeinderatswahl nicht ans Herz zu legen. Der einzige, der gegen eine Nicht-SPÖ-Wahlempfehlung votierte, war bezeichnenderweise der Vertreter einer von Gemeindesubventionen abhängigen schwul/lesbischen Beratungseinrichtung.

Rot-Schwarz verhindern

Bei den Wahlen am 13. Oktober 1996 muß es für Lesben und Schwule vorrangig darum gehen, Rot-Schwarz und damit eine Verschlechterung der Situation für Lesben und Schwule in Wien zu verhindern – dies müßte ja gerade auch ein Anliegen derjenigen sein, die sich heute so zufrieden mit der SP-Politik für Lesben und Schwule zeigen. Da die SPÖ ihre absolute Mehrheit sicher verlieren wird, wird sie eine oder mehrere Koalitionspartner brauchen. Hätte die SPÖ deutlich gesagt, eine Koalition mit der ÖVP komme für sie in Wien nicht in Frage, hätte es keinen Grund gegeben, die SPÖ von einer Pro-Wahlempfehlung auszuschließen. So aber heißt, die große Koalition verhindern zu wollen, sowohl ÖVP als auch SPÖ so zu schwächen, daß sie gemeinsam nicht auf über 50 Prozent der Stimmen und Mandate kommen. Sieht man sich die aktuellen Umfragen an, die den beiden nur mehr rund 55 % Wählerstimmenanteil bescheinigen, so ist das keine Utopie, sondern eine durchaus realistische Möglichkeit.

Wenn wir alle in unserem Bekanntenkreis für Grüne und LiF und gegen Rot-Schwarz ordentlich mobilisieren, dann können Lesben und Schwule dieses Ziel erreichen. Wählen wir der SPÖ einen uns genehmen Koalitionspartner! Zwingen wir die SPÖ, die natürlich stärkste Partei bleiben wird, zu einer Koalition mit den Grünen und/oder dem LiF! Die SPÖ müßte uns dafür eigentlich dankbar sein. Warum sie ein Bündnis mit der ÖVP einem fortschrittlichen rot-grün-liberalen Bündnis vorzieht, wo sie doch sehen müßte, welcher Mühlstein die ÖVP auf Bundesebene ist, ist ohnehin rätselhaft. Einzige Erklärung: Mit der ÖVP hat man schon Erfahrung im Pfründe-Ver- und Kuchen-Aufteilen, das geht sicher reibungsloser über die Bühne als mit den Grünen und dem LiF.

Wie entideologisiert die SPÖ schon sein muß, erkennt man aber auch daran, daß sie einem Bündnis mit der ÖVP zuliebe sogar bereit zu sein scheint, der verdienten Kulturstadträtin Ursula Pasterk, einer Sozialdemokratin, wie man sie gern hat, ein Dohnal-Schicksal zu bescheren, damit ein abgehalfterter Vizekanzler, der jahrelang die Reform der Strafrechtsparagraphen 209, 220 und 221 hintertrieben hat, Kulturstadtrat werden und jenes Ressort führen kann, das nach dem Ressort Soziales am ehesten über Subventionen für schwul/lesbische Projekte zu entscheiden hat!

SPÖ freiwillig ans Gängelband der ÖVP

Die SPÖ muß von allen guten Geistern verlassen sein. Sie kann doch nicht erwarten, daß Lesben und Schwule sie wählen, wenn sie sich wieder mit Haut und Haar einer Koalition mit der ÖVP verschreiben will. Wir haben jetzt auf Bundesebene zehn Jahre miterlebt und darunter gelitten, was eine SPÖ-ÖVP-Koalition für uns bedeutet. Das kann niemand von uns auch für Wien wollen! Es wird nichts nützen, daß die SPÖ jetzt verärgert ist oder unverhohlene Drohungen ausstoßen läßt – die Mehrheit der Wiener Lesben- und Schwulenbewegung ist nicht mit Subventionen käuflich, sondern höchsten durch politische Taten.

Und dazu gehört es eben, schwul/lesbische Anliegen ernst zu nehmen und umzusetzen. Von den SP-BundespolitikerInnen hören wir seit Jahren großes Bedauern darüber, daß ihnen durch die ÖVP die Hände gebunden werden, wenn sie etwas für uns tun wollen. Und auf Wiener Ebene will sich die SPÖ in masochistischer Art und Weise freiwillig in dieselben ÖVP-Fesseln legen lassen? Und in ein paar Jahren müssen wir uns dann vielleicht dieselben Beteuerungen der Wiener SP-PolitikerInnen anhören: Sie würden eh so gerne was für uns tun, aber die ÖVP sei halt dagegen, sie könnten daher nichts machen! Nein, liebe Brüder und Schwestern: Lassen wir uns das nicht gefallen! Wir können das verhindern. Wählt nicht gegen eure Interessen!

Nochmals: Es geht hier nicht in erster Linie gegen die SPÖ, sondern gegen eine rot-schwarze Koalition. Wer diese verhindern will, darf jedoch keine der beiden Parteien wählen!

2000 Nelken

Zum Schluß noch ein paar Worte zu einem Kommentar, den GÜNTER TOLAR im September-Heft des con.nect als Reaktion auf meinen Kommentar in den letzten LN geschrieben hat. Tolar hat das Meisterwerk zuwege gebracht, gegen meine von A bis Z durchargumentierte politische Analyse zu polemisieren, ohne auch nur das geringste Argument vorzubringen. In bester Wiener Art hat der SP-Anhänger in einer nicht gerade geistreichen Glosse die Sache einmal mehr auf vermeintliche persönliche und psychische Probleme reduziert, die er bei mir auszumachen meint: Schuld an meiner SP-Kritik sei nur meine „Frustration“. Selbst wenn es so wäre: Es wär‘ ja kein Wunder, in diesem Land frustriert zu sein – das ist wohl leicht nachvollziehbar. Aber wie soll ich den Frust-Vorwurf verstehen: Bin ich jetzt selber schuld an meinem Frust? Ist das jetzt mein ganz persönliches Problem? Ist Frustriert-Sein ein Makel wie Akne? Darf, wer cool und „in“ sein will, nicht frustriert sein? Heißt die Tolarsche Botschaft: Wehe, ihr laßt euren Frust an dem aus, was euch frustriert? Igitt, das schickt sich doch nicht! Frust ist doch dazu da, daß man ihn in sich hineinfrißt oder durch Clubbings oder Konsum neutralisiert. Bekämpft euren Frust an euch selbst, aber versucht doch um Gottes willen nicht, dieses Übel an seiner Wurzel zu packen. Lieber Günter, tut mir leid, aber ich kann dich weder politisch noch schwulenemanzipatorisch ernst nehmen, wenn du Widerstand gegen Unterdrückung als quasi pathologisch zu qualifizieren versuchst, oder als Mangel an gutem Betragen oder an Selbstbeherrschung!

Aber abgesehen davon, lieber Günter, stimmt Deine Ferndiagnose einfach nicht. Ich bin überhaupt nicht frustriert. Im Gegenteil. Wenn ich es wäre, wäre ich wahrscheinlich schon längst krank oder tot. Mir geht das Frustrationsgerede (es ging ja auch nach dem Outing gleich damit los) ziemlich auf den Geist – also, bitte, nimm zur Kenntnis: Ich bin nicht frustriert, und wenn ich’s wäre, wär’s auch mein gutes Recht! 2000 Nelken an Dich für eine sachliche argumentative Auseinandersetzung!

Politische Prostitution

Eigentlich habe ich an dieser Stelle meinen Kommentar abgeschlossen, doch kurz vor Drucklegung wurde bekannt, daß DENNIS BECK, Geschäftsführer der AIDS-Hilfe Wien, die Initiative Solidarität ins Leben gerufen hat, die eine Wahlempfehlung pro LiF, Grüne und SPÖ abgegeben hat. Begründet wird diese Empfehlung ausschließlich mit bundespolitischen Themen, was doppelt pervers ist: Einerseits verweist man auf diese Fragen, weil die SPÖ auf Gemeindeebene in schwul/lesbischer Hinsicht nichts Positives aufzuweisen hat, andererseits muß ein derartiger Verweis auf z. B. die Strafrechtsreform nach hinten losgehen, denn genau diese wird wegen der rot-schwarzen Koalition, die es in Wien zu verhindern gilt, nicht umgesetzt. Außerdem scheint diese Initiative völlig vergessen zu haben, daß die drei Paragraphen 209, 220 und 221 StGB von einer SPÖ-Alleinregierung eingeführt worden sind! Und außerdem: Sind zehn Jahre SP-Lippenbekenntnisse auf Bundesebene nicht genug?

Was kann das Motiv dafür sein, entgegen dem Wahlaufruf des Wiener Lesben- und Schwulenforums eine Pro-SPÖ-Empfehlung zu lancieren? Da spielt neben der persönlichen Profilierungssucht einiger Leute sicherlich der Umstand eine Rolle, daß sich einige Personen offenbar der SPÖ verpflichtet fühlen. Dennis Beck hat von der Stadt Wien für die AIDS-Hilfe ein Haus bekommen, was er jetzt gerne – entgegen den Tatsachen – als Schwulenprojekt zu verkaufen versucht. Aber muß er sich deswegen gleich erkenntlich zeigen und auf so plumpe und augenfällige Art fünfte Kolonne der Sozialdemokratie in der Schwulenbewegung spielen? Mit seiner Aktion stellt er sich ausdrücklich gegen die Interessen der Lesben und Schwulen in dieser Stadt! Es gibt – siehe oben – überhaupt keinen Grund, in Wien SPÖ zu wählen. Sie wird sowieso regieren, es geht nur darum, ihr adäquate Koalitionspartner zu wählen. Das Argument, man muß die SPÖ in jeder Koalition stärken, leuchtet auch nicht ein. Gestärkte Grüne und Liberale, die nicht bloß Mehrheitsbeschaffer für die SPÖ sind, sind eine viel bessere Garantie dafür, daß schwul/lesbische Anliegen von der SPÖ umgesetzt werden, als eine gestärkte SPÖ.

Schwule Freunderl und nützliche Idioten

Es is traurig, daß manche Leute bereit sind, die Interessen der Lesben und Schwulen dem persönlichen Vorteil und der eigenen parteipolitischen Präferenz zu opfern. In diesem Zusammenhang muß man auch wissen, daß sich in Wien eine sozialdemokratisch gefärbte schwule Freunderlwirtschaft etabliert hat. SP-Kandidat Heinz Miko etwa ist Rechnungsprüfer sowohl in der AIDS-Hilfe Wien als auch in GERY KESZLERs Life-Ball-Verein, der ja ebenfalls aufs Rathaus angewiesen ist. Daß sich diese Leute jetzt für die SPÖ ins Zeug werfen, überrascht nicht. Schon eher, daß sie nützliche Idioten finden, die diese Empfehlung unterschreiben. Aber ich bin sicher, man hat dem Ambros und der Jelinek nicht gesagt, daß sie mit ihrer Empfehlung pro SPÖ indirekt auch die ÖVP, jedenfalls aber eine rot-schwarze Koalition empfehlen – und eine solche wäre eine Katastrophe für uns in Wien!

Ich empfehle, das Flugblatt mit dem Aufruf der Initiative gut aufzuheben, damit man auch nach den Wahlen und bei Bildung einer rot-schwarzen Koalition in Wien weiß, bei wem man sich dafür bedanken darf! Und in fünf Jahren, bei den nächsten Wahlen, sollte man sich ebenfalls unbedingt daran erinnern. Es steht nämlich zu befürchten, daß wir nach fünf Jahren Stagnation oder sogar Verschlechterung unserer Situation in Wien durch eine rot-schwarze Koalition dann wieder dieselben Argumente hören, von denselben oder anderen SP-Vasallen.

Jedenfalls zeigt sich einmal mehr, wie wichtig parteipolitisch unabhängige Vereine wie die HOSI Wien sind, die weitsichtig über den Wahltag hinaus auch an Koalitionen denken und nicht dogmatisch, sondern anhand von jeweiligen Umständen und Fakten wohlbegründete und vor allem auch von Wahl zu Wahl flexible Empfehlungen abgeben.

 

 

Kurts Kommentar LN 4/1996

Nachträgliche Anmerkungen

Ich denke, Heinz Miko selbst war nicht nachtragend. Später, als er in Brüssel arbeitete und ich in der ILGA-Europa engagiert war, unterstützte er unsere Arbeit.

Wie erwartet, hat die SPÖ bei der Wiener Landtags- und Gemeinderatswahl am 13. Oktober 1996 ihre absolute Mandatsmehrheit verloren und musste sich einen Koalitionspartner suchen. Obwohl die drei Ampelparteien über eine Mehrheit verfügten, ging die SPÖ – wie geplant – eine Koalition mit der ÖVP ein, allerdings war sie dann doch klug genug, diese Koalition nicht so rigide festzuschreiben wie im Bund. So haben die Wiener SPÖ und die Grünen ebenfalls Vereinbarungen getroffen, um gewisse Projekte gemeinsam mit dem LiF – und mit Duldung der ÖVP – umzusetzen, etwa wichtige Projekte aus dem Akzeptanzkonzept der Grünen (vgl. LN 3/1996, S. 12), auf das u. a. die Gründung der Wiener Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche Lebensweisen (WASt) zurückgeht. Auch ein Koalitions-Veto durch die ÖVP bei allfälligen Subventionen an Lesben- und Schwulenprojekte wurde von vornherein ausgeschlossen. Hier durfte sich die SPÖ ebenfalls Mehrheiten mit Grünen und LiF suchen. ÖVP-Vizebürgermeister Bernhard Görg hatte bereits angekündigt (Falter Nr. 47 vom 20. 11. 1996), die Wiener ÖVP werde etwa einer Förderung für die Regenbogenparade niemals zustimmen (vgl. Bericht über den Ausgang der Wien-Wahl in den LN 1/1997, S. 24 f).

Die verdiente Kulturstadträtin Ursula Pasterk musste ihren Posten in der Tat räumen, allerdings nicht für Erhard Busek, sondern für Peter Marboe von der ÖVP. Das „Dohnal-Schicksal“ bezieht sich auf den Umstand, dass die legendäre Frauenministerin Johanna Dohnal (1939–2010) im Frühjahr 1995 von Franz Vranitzky im Rahmen einer Regierungsumbildung quasi zum Rücktritt gezwungen wurde. Einmal mehr hat sich die Sozialdemokratie einer engagierten, auch parteiintern unbequemen, ideologisch gefestigten Politikerin entledigt.