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Europa-Parlament: Österreich neuerlich verurteilt

Veröffentlicht am 15. April 1998
Am 17. Februar 1998 verabschiedete das Europäische Parlament den Bericht über die Achtung der Menschenrechte in der Europäischen Union für das Jahr 1996. Österreich wurde neuerlich aufgefordert, § 209 StGB aufzuheben. Ich verfolgte die Debatte im EP vor Ort in Straßburg und verfasste einen ausführlichen Bericht darüber in den LN 2/1998.

Bis zum Neubau des Straßburger Sitzes des Europäischen Parlaments (Fertigstellung 1999) tagten die EP-Abgeordneten im Plenarsaal des Europarats.

Daß Österreich wegen § 209 StGB in diesem Bericht angeprangert wird, ist nicht zuletzt der HOSI Wien zu verdanken, die – wie berichtet (vgl. LN 3/1997, S. 10 ff) – bereits im Sommer des Vorjahrs an die Berichterstatterin Aline Pailler, eine französische Kommunistin, geschrieben hatte, um sie auf diese Menschenrechtsverletzung aufmerksam zu machen. Überdies wurde Österreich ja bekanntlich bereits im April 1997 anläßlich der Verabschiedung des Berichts für 1995 wegen § 209 kritisiert (vgl. LN 3/1997). Das höhere Mindestalter in Österreich war indes nicht der einzige Punkt zur Homosexualität in diesem Bericht (Dokument A4-0034/98). Hier die einschlägigen Punkte der angenommenen Entschließung im Wortlaut:

Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung

[Das Europäische Parlament]

  1. begrüßt die Aufnahme von Nichtdiskriminierungsklauseln in die Rechtsinstrumente der Gemeinschaft, die jegliche Form der Diskriminierung untersagen;
  2. ist der Ansicht, daß seine obengenannte Entschließung vom 8. Februar 1994 zur Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben in vielen Mitgliedstaaten und auf Gemeinschaftsebene Verbesserungen herbeigeführt hat;
  3. fordert alle Mitgliedstaaten auf, die Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben anzuerkennen, insbesondere durch – wo dies noch nicht der Fall ist – eine rechtliche Absicherung von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften , um jedwede Diskriminierung abzuschaffen, unter denen Schwule und Lesben vor allem im Bereich des Steuerrechts, des Vermögenrechts, der sozialen Rechte etc. immer noch zu leiden haben, und mit Hilfe von Information und Aufklärung dazu beizutragen, gegen Vorurteile anzukämpfen, die in der Gesellschaft gegen Homosexuelle bestehen;
  4. fordert, daß das Statut der Beamten der Europäischen Gemeinschaften unverzüglich so geändert wird, daß dem nicht verheirateten Partner die gleichen Rechte zuerkannt werden wie jedem Ehepartner eines Beamten/einer Beamtin der EG;
  5. fordert die österreichische Regierung erneut auf, ihre gegen Homosexuelle gerichteten Gesetze aufzuheben, und zwar insbesondere die diskriminierende Vorschrift über das gesetzliche Mindestalter für sexuelle Beziehungen;

und unter der Überschrift „Situation von Menschen in Haft und vorläufig festgenommenen Personen“:

  1. wünscht, daß bestimmten Gruppen von besonders verwundbaren Häftlingen – Frauen, Einwanderern, ethnischen Minderheiten, Homosexuellen – besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird.

 

Umstrittene Menschenrechte

Die Debatte im Plenum des EP in Straßburg, die vom Autor dieser Zeilen vor Ort von der Galerie aus verfolgt wurde, war heuer weniger dramatisch und spektakulär als im Vorjahr. Auch die Abstimmung war weniger spannend. Die rechten und konservativen Parteien vertreten einen sehr traditionellen Menschenrechtsbegriff , sie wollen sich auf jene „klassischen“ Menschenrechte beschränken, die etwa aufgrund der Europäischen Menschenrechtskonvention einklagbar sind. Aber die Menschenrechte haben sich weiterentwickelt, man spricht bereits von der dritten und vierten Generation der Menschenrechte, also nach den politischen und bürgerlichen Freiheiten auch von sozialen und kulturellen Menschenrechten oder etwa vom recht auf wirtschaftliche Entwicklung und eine intakte Umwelt (vgl. Artikel von Claudia Roth im Standard vom 27. 2. 1998). Diese ideologischen Auffassungsunterschiede wurden in den einzelnen Redebeiträgen der EP-Abgeordneten deutlich. Die Presse-Korrespondentin Doris Kraus machte sich zum Echo der konservativen Kritik und nannte den Bericht eine wilde Mischung aus tatsächlichen Menschenrechtsverletzungen, sozialen Forderungen, Thesen zum Asyl- und Einwanderungsrecht und wirtschaftlichen Dogmen (18. 2. 1998).

Aber eine satte linke Mehrheit im EP garantierte, daß der Bericht schließlich – mit 260 gegen 188 Stimmen bei 32 Enthaltungen – angenommen wurde. Das ist ein deutliches Votum, im Vorjahr schrammte der Bericht mit acht Stimmen Überhang nur knapp am Abgelehntwerden vorbei! Dieses Jahr gab es auch weniger Anträge auf namentliche Abstimmung bei einzelnen Punkte, etwa beim Österreich betreffenden Punkt 69. Daher gibt es dafür auch kein gesondertes Abstimmungsergebnis.

Für den ÖVP-Abgeordneten Karl Habsburg stand das Abendland dadurch jedenfalls wieder kurz vor dem Untergang. In einer Presseaussendung am 17. 2. 1998 nannte er die obigen Punkte 64 bis 66 einen „Versuch zur Zerstörung der Familie“. Die „versuchte Verurteilung Österreichs aufgrund seiner Bestimmungen zum Schutz vor gleichgeschlechtlicher Unzucht“ sieht Habsburg als „mittlerweile abgedroschenes, jährlich wiederkehrendes Ritual einiger Spät-68er bzw. solcher, die seit damals nichts dazu gelernt haben“.

Wenig durchdacht sei in diesem Zusammenhang die Berufung auf die Entschließung zum Sextourismus mit Kindesmißbrauch vom November 1997. Dieser Bericht fordere nämlich harmonisierte Bestimmungen für das Schutzalter bei Kindern, um sie vor Pädophilie, Kinderpornographie und Sextourismus zu schützen. Als Kinder werden in dem Bericht alle Menschen definiert, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Damit werde die Richtigkeit der österreichischen Schutzparagraphen anerkannt.

Hier verwechselt der gute Blaublütler allerdings einiges. Denn in der erwähnten, am 6. November 1997 vom EP verabschiedeten „Entschließung zu der Mitteilung der Kommission über die Bekämpfung des Sextourismus mit Kindesmißbrauch und zu dem Memorandum zum Beitrag der Europäischen Union zur Verstärkung des Kampfes gegen Kindesmißbrauch und die sexuelle Ausbeutung von Kindern“ (Dokument A4-0306/97), wie sie in vollem Wortlaut heißt, ist von freiwilligen einvernehmlichen sexuellen Beziehungen und einer Mindestaltersgrenze hiefür überhaupt keine Rede. In der Entschließung geht es ausschließlich um sexuelle Ausbeutung von Kindern, Kinderhandel, Kinderpornographie , Kinderprostitution und Kindesmißbrauch. Aber selbst in diesem Zusammenhang ist nirgends die Rede davon, daß als Kinder alle unter 18 Jahren definiert werden!

 

ÖVP mit üblen FPÖ-Methoden

Die österreichischen Medien griffen das Thema – nicht zuletzt dank zweier HOSI-Wien-Presseaussendungen – auf. Der KURIER berichtete bereits am 28. 1. 1998 über die „Österreich-Kritik im EU-Parlament“, als der Pailler-Bericht im Ausschuß für Grundfreiheiten und innere Angelegenheiten beschlossen wurde.

Die HOSI Wien sandte ihre erste Aussendung am 16. Februar über die APA aus, um auf den bevorstehenden Beschluß hinzuweisen. Sofort nach der Abstimmung am frühen Nachmittag des 17. Februar schickte die HOSI Wien dann ihre zweite Aussendung aus. Die Tageszeitungen berichteten – zum Teil (Wiener Zeitung) sehr ausführlich – über die EU-Kritik an Österreich.

Und der ZiB-3-Redaktion war das Thema am 17. 2. einen relativ ausführlichen Bericht wert, der aus einem Filmbeitrag, für den einmal mehr auf bewährtes Archivmaterial aus 1989 (!) zurückgegriffen wurde (Warme Wochen-Hochzeitsumzug etc.), und einer Studiokonfrontation zwischen ÖVP-Abgeordnetem Werner Amon und ALFONS HAIDER bestand. Alfons schlug sich recht tapfer bis zu dem Zeitpunkt, als Amon in übelster FPÖ-Manier die Behauptung in den Raum stellte, das EP sei hier widersprüchlich, denn vor einigen Monaten erst hätte es in einer anderen Resolution ein einheitliches Schutzalter für Kinder gefordert, wobei darunter alle Personen unter 18 Jahren zu verstehen seien.

Amon scheint also Habsburgs Presseerklärung gelesen zu haben. Wie oben dargestellt, handelt es sich dabei um eine klare Falschmeldung, und man muß speziell Amon böse Absicht unterstellen, der sich ins ZiB-3-Studio stellte und einfach Dinge forsch behauptete, die wohl jedem Menschen bedenklich erscheinen müssen: Selbst eingefleischte EU-GegnerInnen würden dem EP nicht zutrauen, allen Unter-18jährigen jeglichen einvernehmlichen Sex mit Über-18jährigen verbieten zu wollen. Selbst Herr Leitgeb von täglich alles würde vor derartiger Anti-EU-Greuelpropaganda zurückschrecken. In Österreich dürfen Mädchen ab 16 heiraten. Sollen sie dann zwei Jahre auf ihre Hochzeitsnacht warten müssen? In EU-Europa werden wohl jedes Jahr zehntausende, wahrscheinlich hunderttausende Frauen unter 18 schwanger, sicherlich auch gewollt – sollen sie alle – samt den Vätern ihrer Kinder – ins Gefängnis geworfen werden? Eigentlich hätte es Amon dämmern müssen, daß da etwas nicht stimmen kann. Er hätte sich diese Entschließung besser vor dem Auftritt in der ZiB 3 durchgelesen. So hat er sich halt auch wieder nur als armselig und oberflächlich erwiesen.

Jedenfalls katapultierte dieser ausführliche ZiB-3-Beitrag das Thema „Homosexualität“ laut Standard vom 23. 2. 1998 auf Platz 1 der Top-Themen der Woche (alle ZiBs vom 13. bis 19. Februar 1998).

 

Nachträgliche Anmerkung: 

Es sollte nicht die letzte Verurteilung Österreichs durch internationale Organe sein. Ein Überblick dazu findet sich hier, eine detaillierte Chronologie des Kampfes gegen die anti-homosexuellen Sondergesetze im Strafrecht hier.