Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber
Österreichs Schwulen und Lesben ist nicht zu helfen! Es ist zum Verzweifeln: Zehn-, wenn nicht hunderttausende Homosexuelle müssen ihre Stimme den rechten Parteien gegeben haben, obwohl doch wirklich längst jedem und jeder klar sein muß, daß wir von diesen Parteien nicht das Geringste zu erwarten haben. Solange es eine schwarz-braune Mehrheit im Parlament gibt, wird es keine Verbesserung unserer rechtlichen Lage geben. Das haben uns die letzten vier Jahre ja eindringlich vor Augen geführt – wobei die HOSI Wien in den letzten zwei Jahren ohnehin bereits die Konsequenzen aus dieser Situation gezogen und sich verstärkt auf europäischer Ebene engagiert hat, weil über diesen Umweg mehr für uns zu erreichen ist als innenpolitisch. Dieses Engagement werden wir daher in den nächsten Jahren verstärkt weiterführen.
Lesben und Schwule hätten es jedenfalls in der Hand gehabt, sich eine Ampel-Mehrheit ins Parlament zu wählen. Aber offenbar ist die Mehrheit der Lesben und Schwulen zufrieden mit ihrem Los als BürgerInnen dritter Klasse. Umso bedenklicher muß dieses Wahlverhalten angesichts des Umstands sein, daß diesmal auch die SPÖ im Wahlkampf und in ihrem Wahlprogramm mehr als deutliche Signale in Richtung des schwul/lesbischen Wahlvolks ausgesendet hat. Es steht zu befürchten, daß die SPÖ in Hinkunft auf derartige Signale verzichten wird, da sie anscheinend damit keine Stimmen gewinnen kann. Und der Bewegung wird es wohl nie wieder gelingen, den Parteien einzureden, das schwul/lesbische Wählerpotential sei für die fortschrittliche Sache zu mobilisieren. Österreich ist eben anders: Während in Großbritannien, Frankreich und Deutschland die sozialdemokratischen Parteien durch ihre pro-homosexuellen Wahlversprechen, die zur Zeit auch ernsthaft umgesetzt werden (Mindestaltersangleichung und Aufhebung des Ausschlusses von Lesben und Schwulen aus der Armee im Vereinigten Königreich, Verabschiedung der eingetragenen PartnerInnenschaft in Frankreich), Mehrheiten errungen haben, zeigen Österreichs Lesben und Schwule den homofreundlichen Parteien die kalte Schulter. Wir haben’s offenbar nicht nötig…
Aber das beweist und untermauert einmal mehr den alten Befund, daß sich Lesben und Schwule von den Heterosexuellen ausschließlich durch ihre sexuelle Objektwahl unterscheiden. Was die Politik betrifft, sind sie genauso dumm wie die heterosexuelle Mehrheit. Wie immer die Koalitionsverhandlungen bzw. die Regierungsbildung ausgehen werden, durch die konservative Mehrheit im Parlament wird sich bis zu den nächsten Wahlen sicherlich für uns nichts zum Besseren wenden. Wir haben diese Chance vertan. Jetzt heißt es hoffen auf baldige Neuwahlen.
Einzig erfreulich: die Verluste der ÖVP
Das Erfreulichste dieser Wahlen war das schlechte Abschneiden und der dritte Platz der ÖVP. Das sei ihr von Herzen gegönnt – denn für Lesben und Schwule ist die ÖVP bekanntlich ja noch schlimmer als die FPÖ – was die AusländerInnen für die FPÖ sind, sind wir Lesben und Schwule für die ÖVP. Aber zumindest die ÖVP konnte mit ihren anti-homosexuellen Hetzparolen (siehe Artikel auf Seite 7) nicht reüssieren. Leider waren die Liberalen die Leidtragenden der alle wahltaktischen Überlegungen beherrschenden Ankündigung Schüssels, in Opposition zu gehen, wenn die ÖVP dritte werde, und des daraus resultierenden Wahlkampf-Schlußduells zwischen ÖVP und FPÖ um den zweiten Platz. Offenbar haben viele Ex-LiF-WählerInnen diesmal wieder ÖVP gewählt, um zu verhindern, daß die ÖVP dritte wird. Selbst für mich war die Versuchung groß, genau aus dem gegenteiligen Grund FPÖ zu wählen, nämlich um dazu beizutragen, die ÖVP auf den dritten Platz und damit in Opposition zu schicken, aber ich hab’s dann doch nicht getan.
Leider scheint es Schüssels Schicksal zu sein, ständig zu verlieren, aber dadurch immer stärkeren politischen Einfluß zu gewinnen – ein weiteres Paradoxon der österreichischen Innenpolitik. Jetzt hat er trotz schlechtesten Wahlergebnisses in der Geschichte der ÖVP plötzlich die besten Karten. Auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick hat die ÖVP jedoch nur die Wahl zwischen Cholera und Pest. Entscheidet sie sich nochmals für die Cholera (Fortsetzung der großen Koalition mit der SPÖ), wird sie bei den nächsten Wahlen noch mehr Verluste hinnehmen müssen – das prophezeien ihr zumindest die ach so unabhängigen Kommentatoren und Journalisten der bürgerlichen Presse von Kurier bis FORMAT, die in den letzten Wochen vor der Wahl und danach ihre Larven fallen ließen und ihr wahres Gesicht gezeigt haben.
Die bürgerlichen Medien reden der ÖVP seit Wochen ein, ihre Verluste seien hauptsächlich auf die Zusammenarbeit mit der SPÖ zurückzuführen, und drängen die ÖVP förmlich in Haiders Arme. Da wird mit den abstrusesten Argumenten getrommelt. Unerreichter Höhepunkt: Andreas Unterberger meint in der Presse (9. 10.), wenn Schüssel sich für eine weitere Partnerschaft mit der SPÖ entscheide, müßte er sich vorhalten lassen, vor ausländischem Druck in die Knie gegangen zu sein! Allerdings: Wählt Schüssel die Pest FPÖ, wird es ihr kaum besser ergehen. Im Gegenteil: Sich mit der FPÖ ins Koalitionsbett zu legen wäre wahrscheinlich das noch bessere Rezept, um die Partei weiter zu schwächen (wie in Vorarlberg) oder in die Bedeutungslosigkeit zu führen (wie in Kärnten). Vom roten Joch also ins blaue Messer! Mir persönlich wäre das nur recht. Vielleicht kommt es dann auch zu Abspaltungen und zur Gründung einer neuen bürgerlichen Partei, weil man die Geister- und Schlittenfahrt mit Haider nicht mitmachen will. Eine mittel- bis langfristig stattfindende Spaltung des bürgerlichen Blocks würde in der Zukunft dann neue Koalitionsmöglichkeiten eröffnen, z. B. Mitte-Links-Koalitionen mit einer gemäßigteren bürgerlichen Partei, in der es keinen Schüssel und Khol gibt – in Hinblick auf Lesben- und Schwulenfragen sicherlich sehr interessant. Wahrscheinlich wird aber die ÖVP bei der ersten Entgleisung die Notbremse ziehen. Bevor es aber soweit sein wird, müssen wir offenbar noch ein paar Jahre schwarz-brauner Regierung über uns ergehen lassen. Sollte aber das Ergebnis eine weitere massive Schwächung der ÖVP sein, dann ist das sicherlich kein zu hoher Preis dafür.
Keine Diktatur der 27 Prozent
Das Gerede vom Joch und den Demütigungen der ÖVP in der großen Koalition durch die SPÖ ist aber ohnehin Unsinn. Im Wahlkampf hat die ÖVP ja selbst immer behauptet, sie hätte die Themen vorgegeben und sich in der Regierung durchgesetzt – was z. B. auf die Lesben- und Schwulenfragen zutrifft. Nicht von ungefähr entstand ja das geflügelte Wort, Vranitzky sei der einzige Bundeskanzler gewesen, der in seiner Regierungszeit ein Parteiprogramm voll umgesetzt hätte – das der ÖVP! Schon lechzen die bürgerlichen Kommentatoren danach, wie Schüssel der SPÖ bei den Koalitionsverhandlungen die Hosen ausziehen wird. Nur wenn die SPÖ in vielen Fragen einlenke und Schüssel auch noch den Kanzler überlasse, so einige ÖVPler der zweiten Garde, könnte die ÖVP noch einmal dazu gebracht werden, sich für Cholera zu entscheiden. Das Getrommel in Richtung Schwarz-Braun scheint daher in erster Linie dazu zu dienen, die SPÖ zu zermürben und für möglichst große Zugeständnisse weichzuklopfen.
Es ist daher zu hoffen, daß die SPÖ die Nerven behält und einer noch schlimmeren Diktatur der 27 Prozent eine klare Absage erteilt. Die ÖVP muß endlich kapieren, daß sie mit ihren 27 Prozent nicht der Gesamtbevölkerung Österreichs 100 Prozent ihrer Ideologie aufs Auge drücken kann. In Wirklichkeit sind die Karten der SPÖ also gar nicht so schlecht. Ein plumpes Manöver der ÖVP, die Koalitionsbedingungen in für die SPÖ unannehmbare Höhen zu schrauben, um ihr dann die Schuld am Scheitern dieser Verhandlungen und an einer schwarz-braunen Koalition zuschieben zu können, wird leicht zu durchschauen sein und sicherlich im Ausland nicht als Rechtfertigung durchgehen, daß die ÖVP die Haider-Partei in die Regierung holen „mußte“. À propos Ausland: Das könnte Schüssel noch davon abhalten, sich ins Abenteuer mit der FPÖ zu stürzen. Kann er doch besser als kaum jemand anderer einschätzen, wie verheerend es für das Image seiner Partei und das Ansehen Österreichs wäre, machte er die FPÖ regierungsfähig. Die SPÖ sollte sich vom ÖVP-Poker nicht irre machen lassen, kühlen Kopf bewahren und die ÖVP notfalls getrost ins blaue Verderben rennen lassen. Ein paar Jahre Opposition wären vielleicht sogar eine gute Sache für die SPÖ.
SPÖ muß schwul/lesbische Fragen durchsetzen
Die SPÖ hat also gar nicht so schlechte Karten, wie uns die bürgerliche Presse weismachen möchte. Daher wäre es verrückt, wenn die SPÖ ihre Forderungen nicht vehement in den Koalitionsverhandlungen einbrächte, darunter die im Wahlkampf versprochene rechtliche Gleichstellung für Schwule und Lesben (Aufhebung des § 209, rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften). Sollte sie sich ins Bockshorn jagen lassen, dann wird sie das bei den nächsten Wahlen teuer zu stehen kommen, dann werden ihr neuerlich 200.000 WählerInnen davonlaufen. Denn ihre jetzigen Verluste sind ja zum Teil der ÖVP-Politik zu verdanken. Noch mehr von der ÖVP geforderte unsoziale Sparpakete zu Lasten der Ärmsten, noch mehr Umverteilung von unten nach oben zu Gunsten der Reichsten, noch mehr Arbeitsplatzvernichtung durch Privatisierungen, weiterer Abbau des Sozialstaats werden – mangels linker Alternativen wie der PDS in Deutschland – Haider noch mehr GlobalisierungsverliererInnen zutreiben. Wobei – bei allem Verständnis für die Existenzängste mancher BürgerInnen – es keine Entschuldigung dafür geben kann, FPÖ zu wählen, speziell nicht nach der unglaublichen Ausländerhetze im Wahlkampf. Immerhin gibt es auch andere Parteien, die man aus Protest wählen kann. Unzufriedenheit und Existenzangst sollten niemals dazu führen, den letzten Funken menschlichen Anstands und der Selbstachtung aufzugeben und jemandem auf den Leim zu gehen, der statt an die Solidarität der Menschen an deren niedrigste Instinkte appelliert. Das ist ja das Gefährlichste an Haider. Die ÖsterreicherInnen, obrigkeits- und autoritätshörig, sind leider anfällig für diese primitive Propaganda, das hatten wir schon mal, und wir Lesben und Schwule sollten uns nicht damit beruhigen, daß es „eh nur“ die AusländerInnen betrifft. Wir könnten die nächsten sein! Auch das wäre nichts Neues.
Österreich will die Wende
Es ist schon merkwürdig, wenn sich die Leute über die Bevormundung durch die Parteien, den Proporz, die Parteibuchwirtschaft beschweren. Aber warum haben sie nichts dagegen getan? Wie wär’s mit ein bißchen Zivilcourage, mit eigenem politischem Engagement? Einmal in vier Jahren einen Denkzettel auszuteilen und den populistischen Demagogen und Rattenfänger zu wählen ist wohl ein bißchen wenig. Kärnten hat ja schon gezeigt, daß sich auch durch die FPÖ an der Parteibuchwirtschaft nichts ändert, sondern nur die Farbe des „richtigen“ Parteibuchs. Genauso absurd ist es, daß MindestrentnerInnen, sozial Deklassierte aller Art, unterste EinkommensbezieherInnen den Multimillionären und Großgrundbesitzern der FPÖ zujubeln, die sich in Wahlreden bitter darüber beklagen, daß sie immer reicher werden, während die da unten immer ärmer werden, gleichzeitig aber die Flat tax einführen wollen, die sie noch viel reicher machen würde. Ein bißchen mehr Klassenbewußtsein täte nicht schaden. Wenn schon nicht alle 1,3 Millionen, die FPÖ gewählt haben, FaschistInnen und Nazis sind, ziemlich bescheuert müssen sie allemal sein. Österreich will die Wende, ist allerorten zu lesen. Nur welche Wende? Offenbar die Wende zurück ins vorige Jahrhundert. Ich finde, die Kommentatoren, die da meinen, die ÖsterreicherInnen hätten Bevormundung satt und wollten sich von der herrschenden Politik emanzipieren, liegen falsch. Den ÖsterreicherInnen scheint eher durch zuviel Freiheit und Selbstbestimmungsmöglichkeiten mulmig zu werden, sie sehnen sich wieder einmal nach einem Führer, der ihnen sagt, wo’s lang geht. Genau in dieses Bild paßt ja etwa auch, daß sich in den Betrieben des Magna-Konzerns die MitarbeiterInnen mit großer Mehrheit gegen Gewerkschaft und Betriebsräte aussprechen. Was brauchen wir das – wir haben ja ohnehin unseren Patron, den Multimilliardär Stronach, der auf uns schaut. Das ist wirklich eine Wende – zurück ins 19. Jahrhundert, oder noch weiter. Wie meinte doch Beat Amann in der Neuen Zürcher Zeitung: In Österreich herrschten immer noch die Grundsätze der Gegenreformation: Glauben, Arbeiten und den Chef entscheiden lassen.
Kurts Kommentar LN 4/1999
Nachträgliche Anmerkungen
Durch die Zugewinne der FPÖ legte der rechte Block bei der Wahl 1999 um insgesamt elf Mandate zu. Hier die Mandatsverteilung zwischen dem rechten und dem linken Block im Laufe der Jahre:
1990: 93 zu 90
1994: 94 zu 89
1995: 93 zu 90
1999: 104 zu 79
(vgl. auch die nachträglichen Anmerkungen zu meinem Kommentar in den LN 3/1996).
Am 4. Februar 2000 trat die blau-schwarze Regierung ihr Amt an – unterirdisch, weil sich auf dem Ballhausplatz DemonstrantInnen versammelt hatten; einer auch mit Regenbogenfahne (siehe Foto). Ich war auch dabei und warf Eier auf den abgesperrten Platz – und traf sogar ein Polizeiauto!