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Aus dem Leben

Veröffentlicht am 31. Juli 2001
So hieß die Freiluft-Ausstellung über „die nationalsozialistische Verfolgung von Schwulen und Lesben in Wien in den Jahren 1938–45“, die die HOSI Wien im Juni 2001 auf dem Wiener Heldenplatz zeigte. Noch vor der Eröffnung wurde die Ausstellung vandalisiert. Dennoch konnte sie wie geplant eröffnet werden. In den LN 3/2001 berichtete ich ausführlich über die Ausstellung, den Vandalenakt und die Eröffnung.

Plakat zur Ausstellung

Cover des LN-Sonderhefts zur Ausstellung

Am Tag vor dem Vandalenakt wurde die Ausstellung auf einer Pressekonferenz präsentiert – durch Hannah Lessing, Generalsekretärin des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus, VEIT GEORG SCHMIDT und (neben mir) Ausstellungskurator HANNES SULZENBACHER.

Thomas Geisler, für Design, Architektur und Aufbau der Ausstellung verantwortlich, und ich im Gespräch mit PolizistInnen, die die Anzeige des Vandalenakts aufnehmen.

Die umgestoßenen Säulen der Ausstellung auf dem Heldenplatz

Rechtzeitig zur Eröffnung waren die 14 der 13 Säulen wieder aufgestellt worden.

Als einen ihrer Beiträge zu EuroPride organisierte die HOSI Wien eine Ausstellung über die nationalsozialistische Verfolgung von Schwulen und Lesben in Wien in den Jahren 1938–45. HANNES SULZENBACHER und NIKOLAUS WAHL, die beiden Kuratoren, hatten in verschiedenen Archiven recherchiert, Akten eingesehen und für die Schau zusammengestellt. Thomas Geisler entwarf die Architektur und das Design für die Ausstellung und kümmerte sich darum, daß beides nach seinen Plänen realisiert wurde.

Auf 14 rosa Säulen wurden „typische“ Dokumente behördlicher Verfolgung reproduziert: u. a. Strafanzeigen der Polizei, Hausdurchsuchungsberichte, Aktenstücke aus Gerichtsverfahren, lapidare Meldungen über die Aberkennung des akademischen Grads, den Selbstmord eines Verhafteten, den Tod an der Front im Zuge der sogenannten „Frontbewährung“, die Überstellung in ein KZ, die Überweisung in ein Wiener Spital zur „freiwilligen“ Kastration und schließlich auch ein Dokument aus der Nachkriegszeit: der Widerruf der Anspruchsberechtigung nach dem Opferfürsorgegesetz (OFG) durch das Sozialministerium, als es herausfand, daß der Betreffende nicht den roten Winkel der politisch Verfolgten, sondern den rosa Winkel der Homosexuellen trug.

 

Eindringen in die Privatsphäre

Im Inneren der Säulen, das durch Gucklöcher in Nabelhöhe einsehbar war, waren ganz persönliche Dokumente reproduziert – Briefe, Karten, Fotos –, die von der Kriminalpolizei und der Gestapo im Zuge ihrer Amtshandlungen beschlagnahmt und den Akten beigelegt worden waren. Im Falle der Säule mit dem oben erwähnten Bescheid des Sozialministeriums blieb das Säuleninnere absichtlich leer: Es gab keine Wiedergutmachung für die wegen ihrer sexuellen Orientierung Verfolgten. Die persönlichen Dokumente waren absichtlich so placiert, daß sich die BetrachterInnen nicht nur vor- und damit verbeugen mußten, sondern auch das Gefühl bekamen, in die Privatsphäre der verfolgten Menschen einzudringen. Nichts anderes hatten die NS-Verfolgungsbehörden getan – und als Ausstellungsmacher fanden wir es eigentlich höchst problematisch, dieses Private nochmals an die Öffentlichkeit zu zerren, aber andererseits war das ein wichtiger Aspekt der Dokumentation – nicht zuletzt auch aufgrund des Umstands, daß dies genauso auch heute noch in Zusammenhang mit der Verfolgung aufgrund des § 209 StGB passiert. Und so schien uns das schließlich umgesetzte Konzept ein gangbarer Kompromiß zu sein.

 

Keine Förderung durch Stadt Wien

Die HOSI Wien gab als Begleitpublikation zur Ausstellung eine Sondernummer der LAMBDA-Nachrichten heraus. Darin geben Sulzenbacher und Wahl einen kurzen geschichtlichen Abriß und stellen die Ausstellung vor. Zudem sind darin alle Ausstellungsdokumente reproduziert. Darüber hinaus enthält die Sonderausgabe sieben Beiträge von CLAUDIA SCHOPPMANN, GUDRUN HAUER, RAINER HOFFSCHILDT und Kurt Krickler über die Verfolgung von Schwulen und Lesben durch das Nazi-Regime und deren nie erfolgte Wiedergutmachung. Das Heft kann bei der HOSI Wien gegen einen Spende für die Portokosten bezogen werden.

Wie bereits im letzten LAMBDA special berichtet (S. IV), hat die HOSI Wien vom Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus eine Förderung von S 500.000,– zur Durchführung dieses Projekts erhalten. Die Herausgabe der Begleitpublikation wurde vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur mit einem Druckkostenbeitrag in der Höhe von S 25.000,– unterstützt. Ausdrücklich keine Unterstützung erhielt das Projekt von der Stadt Wien. Die MA 7 (Kultur), sowohl unter der Leitung von ÖVP-Stadtrat Peter Marboe als auch unter seinem SPÖ-Nachfolger Andreas Mailath-Pokorny, hatte eine finanzielle Unterstützung ebenso abgelehnt wie die für u. a. Jugend und Soziales zuständige Vizebürgermeisterin Grete Laska (MA 13). Über ein Ansuchen der HOSI Wien vom 2. April bei der MA 18 (Wissenschafts- und Forschungsförderung) wurde bis zur Drucklegung dieser LN (26. Juli) nicht entschieden.

Unterstützt wurde das Projekt auch vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA), und zwar durch zwei Interventionen bei der für den Heldenplatz zuständigen Burghauptmannschaft Österreich, die uns anfänglich den Rasenplatz am Heldenplatz für die Ausstellung nicht zur Verfügung stellen wollte und – da sie zu den ausgegliederten Dienststellen des Bundes zählt und daher nach marktwirtschaftlichen Kriterien geführt werden soll – auf einer Tagesmiete von S 3.000,– netto bestand. Da die Ausstellung ein Monat lief (14. Juni bis 12. Juli), hätte sich die Gesamtmiete auf S 108.000,– brutto belaufen, wofür wir aber keinerlei Budget hatten. Auf Ersuchen der HOSI Wien konnte das BMWA schließlich als vorgesetzte Behörde erreichen, daß uns der Platz zur Verfügung gestellt und – nicht zuletzt dank zahlreicher UnterstützerInnen, die sowohl an Minister Martin Bartenstein als auch an Bundespräsident Thomas Klestil entsprechende Schreiben richteten, – die gesamte Miete erlassen wurde.

Es wäre auch geradezu grotesk gewesen, einen derartigen Betrag von einer Interessenvertretung von Schwulen und Lesben zu verlangen, die im öffentlichen Raum eine Informationsausstellung über die Verfolgung dieser Gruppe durch die Nazis zeigen will. Wir möchten uns an dieser Stelle bei allen bedanken, die Briefe geschrieben haben und die Sache dadurch unterstützt haben.

 

Blau-Schwarz lehnt Wiedergutmachung ab

Die Ausstellung erfuhr im Vorfeld auch politische Brisanz: Nur eine Woche vor ihrer Eröffnung hatten ÖVP und FPÖ einen Antrag auf entsprechende Novellierung des OFG im Nationalrat abgelehnt. Bereits am 1. Juni waren entsprechende Anträge der Grünen und der SPÖ im Sozialausschuß auf Antrag des ÖVP-Abgeordneten Gottfried Feurstein [1939–2024] vertagt worden. Am 6. Juni standen sie dann, von Grünen und SPÖ neuerlich eingebracht, auf der Tagesordnung des Nationalratsplenums, wurden aber von Blau-Schwarz niedergestimmt. Alles Nähere dazu ist den beiden Presseaussendungen der HOSI Wien vom 1. Juni bzw. 7. Juni zu entnehmen.

Die Frage des fehlenden Rechtsanspruchs auf Entschädigung nach dem OFG war dann auch Thema auf der Pressekonferenz am 13. Juni, bei der die Ausstellung von den Kuratoren, der HOSI Wien und EuroPride präsentiert wurde. Hannah Lessing, Generalsekretärin des Nationalfonds, sprach sich dabei vehement für eine Änderung des OFG aus. Sie berichtete, daß zwar zwei wegen ihrer sexuellen Orientierung Verfolgte aus diesem Fonds einmalige Zahlungen erhalten hätten, aber diese Geste könne keinen Rechtsanspruch nach dem OFG ersetzen.

Der Zufall wollte es auch, daß im Standard vom 9. Juni ein Beitrag von Rudolf Burger erschienen war, in dem dieser dafür plädierte, den Gedenkzwang an die Nazi-Greuel aufzugeben und die Sache schön langsam zu vergessen. Nicht nur angesichts der noch nicht erfolgten Anerkennung von Schwulen und Lesben als Opfergruppe ist ein solches Ansinnen natürlich äußerst ärgerlich. Der Autor dieser Zeilen, wegen der erneuten Ablehnung der OFG-Novellierung ohnehin noch empört, verfaßte darauf spontan einen „Kommentar der anderen“ für den Standard, der am 13. Juni erschien. Wie aktuell die Debatte war, sollte sich schon am nächsten Tag erweisen.

 

Vandalenakt

Bereits am 12. und 13. Juni war die Ausstellung auf dem Rasenstück des Heldenplatzes aufgebaut worden, denn der Tag der Eröffnung, der 14. Juni, war ein Feiertag, an dem die mit dem Aufbau beauftragte Firma nicht arbeitete. Irgendwann in der Nacht vom 13. auf den 14. Juni kam es zu einem Anschlag auf die Ausstellung: Unbekannte Täter rissen elf der vierzehn Säulen aus ihrer massiven Verankerung und warfen sie um. Die Säulen selber wurden dabei nicht beschädigt.

Erst Standard-Redakteurin Irene Brickner, die zufällig am vormittag vorbeikam und durch die Pressekonferenz vom Vortag wußte, daß die Säulen aufrecht stehen sollten, schlug Alarm. Andere PassantInnen hatten angesichts der liegenden Säulen durchaus den Eindruck gewinnen können, daß an der Ausstellung noch gearbeitet würde und die Säulen erst fertig aufgestellt würden oder dies so beabsichtigt sei.

Die HOSI Wien rief jedenfalls die Polizei und erstattete Anzeige gegen Unbekannt wegen Sachbeschädigung. Offenbar hatte niemand den Anschlag bemerkt, obwohl der Platz nur 200 m vom Bundeskanzleramt und dem Sitz des Bundespräsidenten entfernt ist. Um die elf Säulen umzulegen, brauchte es sicherlich einiger Anstrengungen. Umstoßen oder umtreten konnte man sie auf keinen Fall. Auch gab es keine Spuren an den Säulen oder im Boden, die darauf hingedeutet hätten, daß jemand mit einer Brechstange und mittels Hebelwirkung die Säulen umkippte. Die einzige denkbare Möglichkeit, wie die Säulen umgelegt worden sein konnten, ist wohl, daß sich Leute mit ihrem ganzen Gewicht an einer Seite der Säulen angehängt und dann langsam aus der Verankerung gekippt haben. Was sicherlich eine ziemliche Kraftanstrengung gekostet und einige Zeit in Anspruch genommen haben muß. Wir können uns nicht vorstellen, daß niemand etwas gesehen hat, aber wahrscheinlich haben sich etwaige Augenzeugen wieder in der österreichischen Tugend des Wegschauens geübt. Bis heute konnte jedenfalls die Polizei den bzw. die Täter nicht ausforschen. In einer Presseaussendung am selben Tag hat die HOSI über den Vandalenakt informiert.

 

Eröffnung wie geplant

Die HOSI Wien beschloß, die Ausstellung wie geplant am Abend zu eröffnen. Entsprechend betroffen und bestürzt fielen auch die Ansprachen von Hannah Lessing, Hannes Sulzenbacher, Niko Wahl und CHRISTIAN HÖGL aus. Der Anschlag auf die Ausstellung löste nicht nur bei vielen Lesben und Schwulen große Betroffenheit aus – einige wachten spontan die nächste Nacht bei der Ausstellung, viele bekundeten ihr Entsetzen und ihre Solidarität –, sondern schockierte auch die Öffentlichkeit und Politik.

Der ORF brachte ausführliche Beiträge (Wien heute und ZiB 1 am 14. 7.), nationale und internationale Medien berichteten. Christian wurde am 15. 6. fürs englischsprachige Mittagsjournal auf FM4 interviewt, der Autor dieser Zeilen von der französischen Nachrichtenagentur Agence France Presse, die eine Meldung brachte, die in etlichen französischen Medien Niederschlag fand.

Der Vandalenakt brachte der Ausstellung zusätzliche Publizität, keine Frage, obwohl der ORF bereits zuvor über sie berichtet hatte, etwa in Treffpunkt Kultur am 11. 6. und in der ZiB 1 am 13. 6. Aber auch sonst hatte die HOSI Wien für viel Werbung gesorgt. In ganz Wien waren rund 1000 Plakate affichiert, und allein über die Aussendungsliste der Servicestelle Politische Bildung des Bildungsministeriums wurden 4000 Faltblätter über die Ausstellung verschickt.

Durch dieses Extra-Interesse wurde auch die Frage der nicht erfolgten Wiedergutmachung neuerlich thematisiert (Kurier vom 14. 6., Wiener Zeitung und der Standard vom 16. 6. – in letzterem erklärte Feurstein vehement: „Für mich ist das Thema erledigt!“, Die Presse vom 18. 6.). Radio Stimme ergänzte ihre ausführliche Sendung zum Thema NS-Verfolgung von Schwulen und Lesben am 19. 6., für die bei der Paragraph 175-Diskussion und der Ausstellungs-Pressekonferenz Ton-Material gesammelt wurde, um ein aktuelles Interview zum Vandalenakt.

Über die Ausstellung gab es schließlich ausführliche Berichte in der Volksstimme # 25 vom 21. 6., in der Online-Zeitung die universitaet (29. 6.), in die linke # 10 vom 29. 6., in der Juli/August-Nummer der an.schläge und in den Wiener Kunstheften # 2/01 (Juli). Auch einige ausländische Medien, die über EuroPride im allgemeinen berichteten, erwähnten den Anschlag, etwa Le Monde und die Frankfurter Rundschau am 29. 6.

 

Politische Reaktionen

Nationalratsabgeordnete Madeleine Petrovic von den Grünen meldete sich in einer Presseerklärung zu Wort und verlangte die Aufnahme Homosexueller ins OFG und die Aufhebung des § 209 als Antwort auf dieses „Alarmzeichen“. Ähnlich äußerte sich Marie Ringler, Kultursprecherin der Wiener Grünen, in ihrer Aussendung. Die SP-StadträtInnen Renate Brauner und Andreas Mailath-Pokorny zeigten sich ebenfalls empört und bestürzt. Letzterer rief am Freitagmorgen persönlich bei Christian Högl an und sagte zu, die Kosten der Reparatur zu übernehmen (eine Förderung der Ausstellung hatte er, wie erwähnt, zuvor abgelehnt). Bei FPÖVP herrschte indes Funkstille. Am 27. Juni wurde im Wiener Gemeinderat jedoch ein Antrag der Grünen auf Verurteilung des Anschlags einstimmig angenommen, also auch mit den Stimmen von FPÖ und ÖVP.

Die Wiederaufstellung der Säulen erfolgte dann noch am Freitag, den 15. Juni. Das dauerte einen halben Tag. Alle umgeworfenen Säulen mußten vom Eisenfundament abgeschraubt werden, die jeweils drei 40 cm langen Bolzen, die dieses in der Erde verankerten, waren nicht mehr zu gebrauchen. Sie wurden durch noch stärkere und stabilere Winkeleisen ersetzt. Diese wurden mit einem schweren Hammer in die Erde getrieben, dann konnten die Säulen daran angeschraubt werden.

Eine Säule – jene, die die nie erfolgte Wiedergutmachung thematisierte – wurde aber absichtlich nicht wieder aufgerichtet, um an den Vandalenakt zu erinnern. Im Laufe der Ausstellung sollte sie aber dreimal von (wohlmeinenden?) Unbekannten wieder aufgestellt (und danach von uns wieder umgelegt) werden. Stadträtin Renate Brauner ließ zwei Flutlichter aufstellen, um die Ausstellung in der Nacht zu beleuchten, und bot an, einen Wachdienst zu finanzieren. Dieses Angebot nahmen wir jedoch nicht an. Ansonsten gab es bis zum Ende der Ausstellung am 12. Juli außer einigen Bekritzelungen und Zerkratzungen keine weiteren Beschädigungen.

Am 19. Juni nahm der Autor dieser Zeilen als ILGA-Europa-Vertreter an einer Tagung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) über Diskriminierung und Intoleranz teil, die in der Wiener Hofburg stattfand. In meinem Redebeitrag über die Diskriminierung von Lesben und Schwulen berichtete ich auch über den Anschlag und lud die Delegierten ein, sich die Ausstellung auf der anderen Seite des Heldenplatzes anzuschauen.

Die Ausstellung war ohne Zweifel ein großer Erfolg. Das Konzept, sie im öffentlichen Raum und nicht in einem Museum zu zeigen, hat sicherlich dazu beigetragen. Die Ausstellung wurde dadurch von tausenden Menschen besucht und gesehen, die sicherlich deswegen nicht in ein Museum gegangen wären. Das Interesse daran war jedenfalls enorm.