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EU-Grundrechteagentur und Europa-Parlament: Mehr Rechte für Homosexuelle gefordert

Veröffentlicht am 8. Mai 2009
Am 31. März 2009 präsentierte die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) ihren Bericht Homophobie und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität in den EU-Mitgliedsstaaten – Teil II: Die soziale Situation. Den soziologischen Teil für Österreich hatten GUDRUN HAUER und ich beigesteuert. In den LN 3/2009 berichtete ich darüber sowie über andere Entwicklungen auf EU-Ebene in Sachen LSBT-Rechte.

FRA-Bericht „Homophobie und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität in den EU-Mitgliedsstaaten – Teil II: Die soziale Situation“ aus 2009

Wie berichtet, hat die in Wien ansässige Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) Homophobie und deren Bekämpfung zu einem ihrer Schwerpunkte gemacht. Am 31. März 2009 präsentierte die FRA ihren Bericht Homophobie und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität in den EU-Mitgliedsstaaten – Teil II: Die soziale Situation. Der erste Teil, eine rechtliche Analyse, ist ja bereits im Juni 2008 veröffentlicht worden (vgl. LN 4/2008, S. 24 ff).

In einer Medienaussendung am selben begrüßte die HOSI Wien dieses Engagement. Jetzt müsse es aber darum gehen, dass alle 27 Mitgliedsstaaten – inklusive Österreich – die entsprechenden Schlussfolgerungen für sich ziehen und die Empfehlungen der Grundrechtsagentur konsequent umsetzen“, betonte HOSI-Wien-Obmann CHRISTIAN HÖGL bei dieser Gelegenheit. „Homophobie bzw. Transphobie kann ja in sehr vielfältiger Form zum Ausdruck kommen, von Mobbing (Bullying) in der Schule über tätliche Angriffe auf Lesben, Schwule und Transgender-Personen im öffentlichen Raum bis hin zur Nichtgenehmigung von Gay-Pride-Paraden, wie dies auch in EU-Mitgliedsstaaten der Fall war.“

 

Österreich im Mittelfeld

Österreich liege in diesem Bereich – wie so oft – im Mittelfeld, ergänzte der Autor dieser Zeilen, der gemeinsam mit seiner LN-Chefredaktionskollegin GUDRUN HAUER den Österreich-Part für den zweiten Teil dieses Projekts verfasst hat. „Einerseits sind in Österreich durch Homophobie motivierte gewalttätige Übergriffe kein massives Problem wie in anderen Ländern, und mit der jährlich in Wien stattfindenden Regenbogenparade setzen wir auch ein deutliches Zeichen der Sichtbarkeit, das generell sehr positiv aufgenommen wird. Andererseits zählt Österreich zu jenen Ländern, in denen Homophobie von den Behörden und der Gesellschaft noch nicht wirklich als Problem aufgefasst und – auch vorbeugend – bekämpft wird. Es gibt auch kaum wissenschaftliche Untersuchungen darüber und daher kaum brauchbare verlässliche Daten. Gerade in diesen Bereichen kann und sollte sich Österreich noch sehr viel von anderen Ländern abschauen.“

Und auch Kirchenvertreter und reaktionäre PolitikerInnen, die homophobe Äußerungen tätigen, müssten verstärkt dafür zur Verantwortung gezogen werden, denn derartige Hassreden würden natürlich den Boden in der Gesellschaft für Homophobie und in der Folge für mögliche Gewalttätigkeiten gegen einzelne Personen aufbereiten.

 

EP-Unterstützung für neue AD-Richtlinie

Auch eines der wichtigsten EU-Projekte der letzten Jahre mit starkem LSBT-Bezug – nämlich die Beseitigung der bestehenden Hierarchie beim EU-rechtlichen Schutz vor Diskriminierung – ist weiter vorangekommen. Bekanntlich haben die diesbezüglichen EU-Richtlinien aus dem Jahr 2000 eine Diskriminierung ausgerechnet beim Schutz vor Diskriminierung geschaffen. Leider haben etliche Mitgliedsstaaten – darunter auch Österreich im Jahr 2004 unter der schwarz-blau/orangen Regierung – nur die von der EU vorgegebenen Mindeststandards in nationales Recht umgesetzt. Und so besteht in Österreich ein rechtlicher Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung nur in Beschäftigung und Beruf – im Gegensatz zur Diskriminierung aufgrund von ethnischer Zugehörigkeit, Behinderung und Geschlecht. Für diese Gründe besteht ein Diskriminierungsverbot auch in Bereichen wie Zugang zu Waren und Dienstleistungen, Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste, soziale Vergünstigungen sowie Bildung. Mit der geplanten Richtlinie will die EU-Kommission nun ein einheitliches EU-weites Schutzniveau schaffen.

Am 2. April verabschiedete das Europäische Parlament auf Grundlage des Berichts der niederländischen grünen Abgeordneten Kathalijne Buitenweg eine „legislative Entschließung“ zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung“. Im wesentlichen unterstützt das EP damit den Kommissionsvorschlag vom 2. Juli 2008 (vgl. LN 4/2008, S. 24 ff) und verbesserte ihn durch die Annahme diverser Abänderungsvorschläge.

Was allerdings damit keineswegs erfolgte, war die Verabschiedung einer neuen Antidiskriminierungsrichtlinie – wie dies auf einschlägigen LSBT-Onlinemedien bzw. in Printmedien zu lesen ist. Es ist wirklich sagenhaft und peinlich, welchen unglaublichen Unsinn inkompetente Amateurjournalisten hier – und auf vielen anderen Gebieten – verbreiten! Das Europa-Parlament hat in dieser Frage (Beschlussfassung über gesetzliche Maßnahmen auf Basis des Artikels 13 EG-Vertrag) auch gar kein Mitentscheidungsrecht, sondern darf nur seine Meinung im Rahmen des sogenannten „Verfahrens der Konsultation“ abgeben. Der Rat kann diese Meinung berücksichtigen, darf sie aber auch völlig ignorieren und das beschließen, was er will. Erschwerend kommt aber bei der vorgeschlagenen neuen Richtlinie hinzu, dass der Rat sie einstimmig beschließen muss. Das heißt: Alle 27 Mitgliedsstaaten müssen zustimmen. Legt sich auch nur ein Mitgliedsland quer, ist die Sache gestorben. Allerdings müssen die Mitgliedsstaaten nicht auf eine EU-Richtlinie warten: Sie können jederzeit diese Hierarchie durch nationale Gesetze beseitigen. Etliche Staaten haben bei der Umsetzung der früheren Antidiskriminierungsrichtlinien in nationales Recht von vornherein ein einheitliches Schutzniveau geschaffen – für sie brächte die neue Richtlinie daher gar keine Neuerungen.

Übrigens hat das Europäische Parlament in der abgelaufenen Legislaturperiode überhaupt keine Entschließungen oder Berichte mit Anknüpfungspunkten zu LSBT-Anliegen verabschiedet, die über einen rein empfehlenden Charakter hinausgegangen wären. Es gab keine einschlägigen Gesetzesinitiativen, in denen das Europa-Parlament ein Mitentscheidungsrecht gehabt hätte.

 

Barroso verhindern

Dennoch darf man die Rolle des Europa-Parlaments nicht unterschätzen – es ist der wichtigste Verbündete der LSBT-Bewegung im Kampf gegen Diskriminierung und für Gleichberechtigung. Und das neue EU-Parlament wird ja auch die nächste EU-Kommission wählen. Und allein aus diesem Grund ist dessen Zusammensetzung von größter Bedeutung. Eine fortschrittliche Mehrheit ist etwa die Voraussetzung dafür, dass homophobe und frauenfeindliche Personen keine Chance auf einen Posten in der EU-Kommission haben. Im Oktober vor fünf Jahren konnte das Parlament bekanntlich verhindern, dass mit dem Italiener Rocco Buttiglione, für den Homosexualität Sünde ist, eine katholische Marionette des Vatikans Mitglied der EU-Kommission wurde (vgl. LN 1/2005, S. 26 f).

Aber abgesehen von der Verhinderung homophober EU-KommissarInnen geht es bei diesen Wahlen natürlich in erster Linie um eine völlige politische Neu-Ausrichtung dieses Gremiums. Will die EU eine Chance haben, tatsächlich die vielbeschworene „soziale Union“ zu werden, und sich damit überhaupt als politisches Projekt eine echte Überlebenschance bewahren, muss eine zweite Amtsperiode von Kommissionspräsident José Manuel Durão Barroso unbedingt verhindert werden. Ohne fortschrittliche Kräfte an der Spitze der EU-Kommission – wie etwa Poul Nyrup Rasmussen, den sozialdemokratischen Ex-Premier aus Dänemark, oder den grünen deutschen Ex-Außenminister Joschka Fischer, die ja als mögliche Nachfolger Barrosos kolportiert werden – wird die Zustimmung zur EU weiter schwinden. Daher war es noch nie so wichtig wie jetzt, bei der EP-Wahl zu den Urnen zu gehen und für einen fortschrittlichen Wandel zu stimmen (siehe nebenstehenden Que(e)rschuss und den Aufruf auf der folgenden Seite).

 

Apropos Buttiglione

Angesichts dieser bevorstehenden Entscheidungen fragt man sich unwillkürlich, ob es bloßer Zufall war, dass Die Presse am 4. April 2009 diese fast fünf Jahre alte Geschichte über die Verhinderung Buttigliones prominent aufwärmte. Martin Leidenfrost widmete der Angelegenheit seine Kolumne Brüssel zartherb und polemisierte darin – auf einem eigentlich bei ihm ziemlich ungewohnt tiefen Niveau – einseitig gegen die ILGA-Europa. Ein Leserbrief des Autors dieser Zeilen, in dem die Tatsachen zurückgerückt wurden, wurde bezeichnenderweise nicht veröffentlicht. So stellte ich etwa richtig, dass es bei der Verhinderung Buttigliones nicht nur um dessen homophobe Aussagen, sondern auch homophobe Taten gegangen sei: Als Mitglied des Europäischen Parlaments war Buttiglione für die Streichung von „sexueller Orientierung“ als Nichtdiskriminierungsgrund aus der EU-Charta der Grundrechte eingetreten und hatte einen diesbezüglichen Antrag im Rahmen des EU-Verfassungskonvents gestellt. Als italienischer Europaminister hatte er die vollständige Umsetzung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinie 78/2000 in italienisches Recht torpediert und EU-rechtswidrig die Ausnahme ermöglicht, dass im Militär, in der Polizei, in der Gefängnisverwaltung und bei Sozialdiensten MitarbeiterInnen vor Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung nicht geschützt wurden.