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Deutschland: Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet

Veröffentlicht am 14. Juli 2017
Am 29. Juni 2017 stimmte der Bundestag für die Öffnung der Ehe. Die SPD kündigte in dieser Frage den Koalitionsvertrag und stimmte mit den Oppositionsparteien. Damals gab es ja eine rot-rot-grüne Mehrheit im deutschen Parlament. Nicht so im Nationalrat, wo das Thema einen Tag später auf der Tagesordnung stand – was viele politisch unbedarfte AktivistInnen hierzulande damals nicht schnallten. Ich berichtete in den LN 3/2017.

Der offen schwule grüne Abgeordnete VOLKER BECK, seit 1994 Mitglied des Bundestags (hier bei einer Podiumsdiskussion im Wiener Rathaus 1999), hatte allen Grund zur Freude: Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare war nicht nur sein „Baby“ und politisches Lebenswerk, sondern auch die absolute Krönung seiner Abgeordnetentätigkeit, zumal er für den nächsten Bundestag nicht mehr kandidierte.

Einen Tag, nachdem der Nationalrat in Wien am 29. Juni den Fristsetzungsantrag zur Öffnung der Ehe mehrheitlich abgelehnt hatte (vgl. Bericht auf S. 4), stimmte der Bundestag in Berlin für die gleichgeschlechtliche Ehe. So zeitnah und anschaulich – dass es auch die politisch naivsten und unbedarftesten Schwulen und Lesben eigentlich kapieren müssten – wurde noch nie dargestellt, woran es liegt, dass ein solches Gesetzesprojekt verabschiedet bzw. nicht verabschiedet wird: It’s the majority, stupid! Steht zu hoffen, dass die ständigen und müßigen Fragen, warum das nicht in Österreich möglich sei und wie lange wir in Österreich noch warten müssen, damit endgültig und für alle verständlich beantwortet sind: Ohne fortschrittliche Mehrheit im Parlament wird die Ehe wohl nicht geöffnet werden!

Im Gegensatz zu Österreich gibt es im Bundestag nämlich eine linke Mehrheit (rot-rot-grün) – leider haben sich die drei Parteien vor vier Jahren nicht zusammenraufen und eine SPD-geführte Regierung bilden können, und so gab es nochmals vier Jahre Merkel mit dem Beiwagerl SPD statt schon die Homo-Ehe vor vier Jahren. Merkwürdigerweise versuchten aber viele Medien und PolitikerInnen gerade auch in Österreich (siehe dazu auch ULRIKE LUNACEKs Kolumne auf S. 25), entgegen der Faktenlage den Eindruck zu erwecken, man verdanke die Öffnung der Ehe jetzt Kanzlerin Angela Merkel, weil sie die Abstimmung freigegeben und den Klubzwang aufgehoben habe. Hätte sie dann bei der Abstimmung nicht selbst gegen den Gesetzesentwurf gestimmt (im Gegensatz zu Österreich behalten in Deutschland Regierungsmitglieder ihr etwaiges Abgeordnetenmandat), wäre sie womöglich im kollektiven Bewusstsein als Heldin der Homo-Ehe, deren Einführung ihr Verdienst gewesen sei, in die Geschichte eingegangen.

 

Merkwürdige Glorifizierung Merkels

Aber natürlich kann weder Merkel noch die CDU/CSU-Fraktion die Abstimmung verhindern, wenn die Bundestagsmehrheit die Abstimmung auf die Tagesordnung setzt! Und es war auch völlig irrelevant, ob Merkel für die eigene Partei den Klubzwang aufhebt (für andere Parteien kann sie es ohnehin nicht) oder nicht, denn die rot-rot-grüne Mehrheit war (im Gegensatz zu Österreich) auf keine einzige Stimme aus dem rechten Lager angewiesen. Überraschend war dann allerdings, dass 75 Abgeordnete aus der CDU/CSU-Fraktion für die Eheöffnung stimmten – BeobachterInnen hatten nur mit rund 20 gerechnet.

Wenn also irgend jemandem in diesem Zusammenhang Dank gebührt, dann ist es die SPD, die aus dem Koalitionsabkommen mit CDU/CSU ausgeschert ist und dieses Projekt ohne Rücksicht auf die eigenen Partei-Interessen umgesetzt hat. Denn eigentlich hat sich die SPD damit zum jetzigen Zeitpunkt geschadet. Sie hat Merkel einen Stolperstein vor der Wahl aus dem Weg geräumt und sich selber um ein Wahlkampfthema gebracht.

Für Merkel war es ein geschickter Schachzug: Den rechten WählerInnen kann sie sagen, sie sei nicht schuld, das habe die SPD zu verantworten. Und vor allem hat sie ein unliebsames Thema aus dem Wahlkampf raus. Ein weiterer Kollateralnutzen dieses Schachzugs: Die vielen bürgerlichen konservativen Schwulen und Lesben, die bisher zähneknirschend grün oder rot gewählt haben wegen der eigenen Anliegen, können im September dann ohne schlechtes Gewissen CDU wählen! Es ging der CDU also einzig und allein um den Machterhalt, da schluckt man heutzutage auch schon einmal eine Kröte wie die Homo-Ehe!

Merkel kommt der jetzige Zeitpunkt auch deshalb sehr zupass, weil ihre vermutlich nächste Koalitionspartnerin, die FDP, die ja aller Wahrscheinlichkeit nach wieder in den Bundestag einziehen wird, am 24. Juni verkündet hat, die Homo-Ehe sei für sie eine Koalitionsbedingung. Die FDP folgte hier den Grünen, die eine Woche zuvor auf ihrem Parteitag in Berlin beschlossen hatten, folgenden Satz ins Wahlprogramm aufzunehmen: „Mit uns wird es keinen Koalitionsvertrag ohne die Ehe für alle geben.“ Der offene schwule VOLKER BECK hatte dafür massiv lobbyiert und dabei einigen parteiinternen Widerstand überwinden müssen.

Jedenfalls wäre Merkel sicherlich nicht wegen dieser Frage in Opposition gegangen. Da sie also spätestens nach der Wahl ohnehin dem allfälligen Koalitionspartner nachgeben hätte müssen, war es in ihrem ureigensten Interesse, dass dieser Stolperstein jetzt durch die linke Opposition beseitigt wurde. Dann kann sie im Herbst ihr Gesicht wahren! In Sachen Machterhalt und Machiavellismus kann sich selbst die ÖVP noch ein paar Scheibchen bei Merkel abschneiden. Aber die ÖVP geht offensichtlich fix davon aus, nach der Wahl im Oktober eine schwarz-blaue Koalition zu bilden – und die FPÖ wird eine solche Bedingung ja nicht stellen.