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Der Vergleich macht einen sicher

Veröffentlicht am 3. Mai 2019

Es ist wirklich unfassbar – laut Aussage von FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky ist das Titelbild jenes Flyers der steirischen FPÖ-Jugend, mit dem er von Armin Wolf beim ZiB-2-Interview (am 23. April 2019) konfrontiert wurde, bereits ein Jahr alt – und keiner hat sich bisher darüber aufgeregt? Stört so etwas niemanden? Wo blieb der Aufschrei darüber? Sind die Leute wirklich schon dermaßen abgestumpft? Natürlich ist das primitivster „Stürmer“-Stil – das sieht doch jede/r, der/die sich auch nur oberflächlich mit der NS-Zeit befasst hat – und das weiß die FPÖ natürlich ganz genau! Nicht Wolf rückt die Blauen in die Nähe des Nationalsozialismus, die FPÖ tut das bewusst selbst! Das ist allerdings nichts Neues.

Bundeskanzler Sebastian Kurz ist jedenfalls völlig unglaubwürdig in seinen – offenbar total verlogenen – Bemühungen, Antisemitismus bekämpfen zu wollen. Dass er es ernst damit meint, nimmt ihm wohl niemand mehr ab, wenn er solche hetzerischen Pamphlete seines Koalitionspartners duldet. Oder es stört ihn gar nicht, wenn Ausländer/Migranten die neuen Juden sind. Die Methoden der Ausgrenzung sind jedenfalls dieselben. Wenn Kurz nur einen Funken Geschichtswissen hat, muss er doch die augenfälligen Parallelen erkennen. Aber offenbar ist Kurz nichts zu peinlich – Hauptsache, Strache, Vilimsky & Co halten ihm den Steigbügel, damit er an der Macht bleiben kann.

Zwar ist der FPÖ diesmal die übliche Täter-Opfer-Umkehr nicht gelungen, aber immerhin das Ablenkungsmanöver, dass jetzt alle über Armin Wolfs Interviewführung statt über den Stein des Anstoßes reden. Dass dieses Pamphlet mit dem widerwärtigen Titelbild immer noch online steht, dass Kurz immer noch kein Machtwort gesprochen hat, ist der eigentliche Skandal.

Wir sollten das nicht länger hinnehmen. Wehret den Anfängen – dafür ist es längst zu spät! Über die Anfänge sind wir leider schon weit hinweg. Dank der ÖVP und ihres Obmanns Kurz sowie ihrer unkritischen Unterstützer in den Boulevardmedien sind die Propagandisten dieser menschenverachtenden Ausgrenzung bereits an allen wichtigen Schaltstellen der Macht angekommen. Es ist höchste Zeit, Druck auf die ÖVP auszuüben, diese Koalition mit dem rechtsextremen Bodensatz in diesem Land zu beenden. Wir dürfen die ÖVP hier nicht aus der Verantwortung entlassen.

 

Modernes Hofschranzentum

Und da hilft es überhaupt nichts, sich die ÖVP oder einige ihrer Vertreter schönzureden, wie das auf peinliche Art und Weise ALFONS HAIDER wieder tut. Am 30. April 2019 gibt er im schlimmsten Krawall-Blatt Österreichs zum Coming-out Andi Knolls zu Protokoll: Ein Aufschrei aus der Öffentlichkeit werde – anders als bei seinem eigenen Coming-out 1997 – heutzutage zum Glück wohl ausbleiben, und er streut den Wegbereitern dafür Rosen: „Dafür können wir uns bei Heide Schmidt, den Grünen, den Sozialdemokraten und auch dem sehr offenen Minister Gernot Blümel bedanken.“ Abgesehen davon, dass er die 40 Jahre Arbeit der Lesben- und Schwulenbewegung in diesem Zusammenhang keiner Erwähnung wert findet, frage ich mich erstaunt: Was, bitte, hat Gernot Blümel dafür getan? Was weiß Alfons Haider, was wir alle anderen nicht wissen? Blümel ist erst seit 2018 Minister, in seiner Zeit als ÖVP-Generalsekretär 2013–2015 ist er jedenfalls nicht gerade als Vorkämpfer für die schwul/lesbische Sache aufgefallen, und danach als Wiener Landesparteiobmann bloß dadurch, dass er die bis dahin gängige ÖVP-Praxis, im Wiener Gemeinderat für die jährliche Basisförderung von € 21.000,– an die HOSI Wien zu stimmen, beendet hat. Im Jänner 2016 stimmte die ÖVP unter seiner Führung gegen diese Subvention (vgl. Aussendung der HOSI Wien vom 29. Jänner 2016). Und natürlich lehnten im März 2018 ÖVP und FPÖ im Wiener Gemeinderat auch die € 900.000,– Subvention für EuroPride ab – da war Blümel zwar schon Minister und nicht mehr Landtagsabgeordneter, aber immer noch Landesparteiobmann.

Und selbst wenn Blümel und Kurz schwul wären, würde immer noch gelten, was ich in einem Interview über den offen schwulen irischen Premierminister Leo Varadkar gesagt habe: Seine Politik muss man nicht automatisch gutheißen, bloß weil er schwul ist (vgl. auch Aussendung der HOSI Wien vom 8. Februar 2018).

Haiders elende Arschkriecherei hat wohl wieder Karrieregründe. Es ist ja nicht das erste Mal. Mit Schaudern erinnere ich mich daran, wie er seinerzeit, ohne vor Scham in den Boden zu versinken, für ÖVP-Landeshauptmann Erwin Pröll die Werbetrommel rührte – vgl. LN 2/1998 (S. 26) und meinen LN-Kommentar in der Ausgabe 4/1998. Damals war Haider Intendant der Festspiele Stockerau, und die Hand, die einen füttert, muss man – zumindest in Niederösterreich – lecken. Und es kann einem Künstler natürlich auch nie schaden, sich an den Minister für Kunst und Kultur ranzuschmeißen und vorsorglich-unterwürfig den Kotau zu machen… Trotzdem: Es ist sooo peinlich!

In meinem am 25. April hier veröffentlichten Blog über die Reinwaschung des Verfassungsgerichtshofs durch die Lambda-Redaktion habe ich mich durch folgende rhetorische Frage über die Geschichtslosigkeit in der Community und ihre Anbiederung an die eigenen Unterdrücker lustig gemacht: Was kommt als nächstes? Ein Interview mit Sebastian Kurz, in dem er uns unwidersprochen – weil die Lambda-Redaktion in Ehrfurcht erstarrt ist – das segensreiche Wirken der ÖVP und die fantastischen Errungenschaften in den letzten 40 Jahren näherbringt, die Lesben und Schwule der ÖVP zu verdanken hätten?

Und nur fünf Tage später muss ich lesen, dass Alfons Haider ÖSTERREICH erklärt, man habe es ausgerechnet Gernot Blümel zu verdanken, dass man 2019 als (prominenter) Schwuler herauskommen könne, ohne dass es einen Aufschrei in der Öffentlichkeit gebe. – Das ist alles so erbärmlich, so krank. Ich glaub’s einfach nicht! Ich kann und werde mich auch nie und nimmer damit abfinden!

Sündenböcke sind austauschbar

Die Affäre um besagtes Sujet im Stürmer-Stil hat mich übrigens an eine mehr als dreißig Jahre alte Anti-AIDS-Kampagne erinnert, die mir vor kurzem im Zuge der „Grabungsarbeiten“ in meinem Archiv für meinen neuen Website wieder untergekommen ist (ich schrieb darüber auch in meinem Beitrag „Die Enthomosexualisierung von AIDS“ in den LN 3/1988, S. 49 ff): 1987 wurde für eine schwedische Anti-AIDS-Kampagne ein – allerdings vergleichsweise viel harmloseres – Sujet verwendet, das mich in seiner Aussage damals ebenfalls stark an die antisemitische NS-Propaganda erinnerte. Das Inserat zeigte ein Foto (siehe Faksimile) mit zwei Männern in einem Zugkorridor. Der eine in adrettem Anzug wird als Familienvater präsentiert, der nur gelegentlich schwach wird. Dem anderen sieht man den promisken Schwulen schon aus der Ferne an: dunkle Sonnenbrille, Lederjacke, Jeans und T-Shirt. Er ist offenbar dabei, den Ehemann zu verführen. Doch der bekommt auch alle bisherigen „Erfahrungen“ des promisken Schwulen mit ab, wird in der Inseratenüberschrift gewarnt. Ihm wird daher ein HIV-Test ans Herz gelegt: „Vermutlich bist du ohnehin nicht angesteckt. Dann brauchst du dir nicht länger um dich und deine Angehörigen Sorgen machen. Du kannst ein neues Leben beginnen, wenn du unnötige Risiken vermeidest.“

Dieses antischwule Sujet hatte mich damals frappant an die antisemitischen Karikaturen aus Nazi-Publikationen wie dem Stürmer erinnert, in denen alte, geile Juden als Verführer unschuldiger blonder arischer Frauen dargestellt werden (siehe Faksimile). Natürlich hatten die Autoren des schwedischen Anti-AIDS-Inserats nichts mit Nazi-Propaganda am Hut. Aber trotzdem war die „Botschaft“ des Inserats geeignet, eine bestimmte Gruppe zu Sündenböcken zu machen, die man als Gefahr – in diesem Fall – für die Volksgesundheit an den Pranger stellt. Ich hatte das Plakat bzw. Inserat damals auf einer Tagung heftig kritisiert. Die Skandinavier fielen aus allen Wolken, als ich diese Parallele aufzeigte, und waren ziemlich betreten. Ein Reporter eines dänischen Nachrichtenmagazins, Månedsbladet PRESS, bekam Wind von meiner Kritik und interviewte mich für einen ganzseitigen Beitrag in der September-Ausgabe 1988 (Titel: „Schwedische AIDS-Kampagne erinnert an Nazi-Propaganda“). Das Inserate-Sujet verschwand dann auch alsbald.

Das Beispiel zeigt, dass es nicht nur um den gestalterischen Stil – überzeichnete Karikaturen von Menschen – geht, sondern vor allem um die Geisteshaltung dahinter: Für ein Problem wird eine bestimmte Bevölkerungsgruppe verantwortlich gemacht, und diese wird dann ausgegrenzt. Und im schlimmsten Fall auch ausgemerzt. Die Gruppen sind austauschbar: Juden, Muslime, Schwule, Roma und Sinti, Behinderte, HIV-Infizierte, Ausländer, Migranten, Flüchtlinge usw.

Diese antisemitischen Propaganda-Karikaturen im „Stürmer“-Stil aus den 1930ern und das Sujet aus einer schwedischen Anti-AIDS-Kampagne 1988 stellte ich für meinen Beitrag in den LN bzw. für einen Artikel in der dänischen Zeitschrift Månedsbladet PRESS einander gegenüber.