Am 11. Februar 2025 hat die neue EU-Kommission ihr Arbeitsprogramm für 2025 präsentiert. Darin ist vorgesehen (Anhang IV), ihren „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung“ (Dokument KOM(2008) 426) ersatzlos zurückzuziehen. Das erscheint indes nur konsequent, denn nach mehr als 16 Jahren der Blockade im Rat rechnet die Kommission nicht mehr damit, dass es hier in absehbarer Zeit Fortschritte oder gar eine Einigung geben könnte.
Somit müssen wir in Österreich die Hoffnung endgültig begraben, dass die Vereinheitlichung des gesetzlichen Schutzes vor Diskriminierung auf EU-Ebene erfolgen könnte.
Im Jahr 2000 hat die EU zwei Antidiskriminierungs-Richtlinien verabschiedet:
die Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft
sowie
die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf.
Richtlinien der EU müssen – im Gegensatz zu Verordnungen, die unmittelbar EU-weit Rechtsgültigkeit erlangen – von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. In Österreich erfolgte die Umsetzung durch entsprechende Novellen des Gleichbehandlungsgesetzes und Bundes-Gleichbehandlungsgesetzes, die am 1. Juli 2004 in Kraft traten.
Beide Richtlinien haben durch ihren unterschiedlichen Geltungsbereich eine Hierarchie beim Schutz vor Diskriminierung geschaffen. Während sich die Richtlinie 2000/78 auf die Bekämpfung von Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung in der Arbeitswelt („Beschäftigung und Beruf“) beschränkt, geht die „Anti-Rassismus“-Richtlinie (2000/43) über diesen Bereich hinaus und gilt auch in Bezug auf „den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste; die sozialen Vergünstigungen; die Bildung; den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum“.
Von Anfang an wurde die EU für diese Hierarchisierung beim Diskriminierungsschutz kritisiert. Viele NGOs, darunter die ILGA-Europa, hatten von Anfang an durch intensives Lobbying versucht, dieses unterschiedliche Schutzniveau abzuwenden – doch leider vergebens (vgl. hier).
Auch die Versuche, im Rahmen der Umsetzung der beiden Richtlinien in Österreich für ein einheitliches Schutzniveau zu sorgen, scheiterten damals unter der schwarz-blau-orangen Regierung. Die Richtlinien stellen bloß Mindestanforderungen dar, jedem Mitgliedsstaat stand und steht es natürlich frei, einheitliche und/oder noch umfassendere Bestimmungen zu erlassen. Etliche Staaten taten das auch sofort. Die Bundesregierung unter ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel beschränkte sich jedoch auf die bloße Umsetzung des von der EU vorgeschriebenen Minimums.
Fortschrittliche Kräfte wollten sich aber weder auf europäischer noch auf österreichischer Ebene mit den beiden Richtlinien zufriedengeben und sich mit dieser Diskriminierung ausgerechnet beim Schutz vor Diskriminierung abfinden.
Am 20. Mai 2008 erinnerte das Europäische Parlament in einer Entschließung die EU-Kommission an ihre Verpflichtung, eine umfassende Richtlinie vorzulegen, um „die Hierarchie des Schutzes vor den unterschiedlichen Formen von Diskriminierung“ zu beseitigen. Daraufhin präsentierte die EU-Kommission am 2. Juli 2008 den – jetzt wieder zurückgezogenen – Vorschlag (vgl. auch LN 4/2008, S. 24 ff).
Wie gesagt: Die Rücknahme dieses Vorschlags ist nur konsequent. Die EU-Kommission trägt keine Schuld daran. Es waren die im Rat vertretenen Regierungen der Mitgliedsstaaten, die keine neuen Rechtsvorschriften auf diesem Gebiet wollen. Die Beschäftigung mit diesem Kommissionsvorschlag hatte sich über die Jahre schon ziemlich grotesk entwickelt, wie ich in meinem Blog-Beitrag vom 3. Februar 2020 ausführte:
Bei Interesse kann man das alles im Detail nachlesen. Es ist ja nicht so, dass die EU da intransparent wäre – im Gegenteil: Minutiös wird die Chronologie dieses Versagens und Scheiterns anhand von Sitzungsprotokollen und Fortschrittsberichten laufend dokumentiert. Scrollt wirklich die ganze Liste bis ans Ende hinunter und lest euch die eine oder andere Beilage durch – um ein Gefühl für diesen Wahnsinn zu bekommen!
Zudem haben mittlerweile bis auf Griechenland und Österreich alle Mitgliedsstaaten ein einheitliches Schutzniveau für alle Kategorien geschaffen. Der Mehrwert einer neuen EU-Richtlinie hielte sich somit ohnehin in engen Grenzen.
Auch die bisherigen drei Versuche der letzten 20 Jahre, durch ein „Levelling-up“ im bestehenden österreichischen Gleichbehandlungsrecht nachträglich das Schutzniveau anzugleichen, sind am Widerstand der ÖVP gescheitert. Den Grünen war es 2020 ebenfalls nicht gelungen, dieses Levelling-up in die Koalitionsvereinbarung mit der ÖVP hineinzureklamieren.
Ich habe in den letzten drei Jahrzehnten ausführlich, detailreich und quasi aus erster Hand zu diesem Thema publiziert, immerhin war ich jahrelang sowohl in Österreich als auch auf EU-Ebene an vorderster Front in das Lobbying für diese Antidiskriminierungsbestimmungen involviert. Für diejenigen, die sich in diese Sache vertiefen möchten, hier eine Übersicht über relevante Beiträge dazu auf meinem Website:
Zur Entstehungsgeschichte der beiden EU-Richtlinien sowie des entsprechenden Artikels in den EU-Verträgen, der die rechtliche Grundlage dafür bildet, findet sich hier eine detaillierte Chronik.
Das vorhin erwähnte Scheitern auf sowohl nationaler wie europäischer Ebene, das unterschiedliche Schutzniveau anzugleichen, habe ich in folgenden Blog-Beiträgen aufgegriffen (dort finden sich Weiterverlinkungen zu Artikeln in den LAMBDA-Nachrichten u. a.).
Blog-Beitrag vom 12. Jänner 2020