Seit ich in Wien lebe, also seit 1978 oder fast 50 Jahren, habe ich bei Landtagswahlen in Wien – bis auf eine Ausnahme, 1996 – nie etwas anderes gewählt als SPÖ. Damit ist jetzt Schluss. Wiens Stadtregierung und Stadtverwaltung haben sich in eine verbissene Genderschwurbler-Sekte verwandelt, die Werte wie Aufklärung und Vernunft offenbar aufgegeben hat. Ich kann die Wiener SPÖ einfach nicht mehr ernst nehmen.
Zudem verwendet die Stadtverwaltung in ihren offiziellen Texten das sogenannte Gendersternchen (*), was eindeutig rechtswidrig ist. Egal, wie man zum sprachlichen Gendern steht – Behörden, öffentliche Verwaltung (und auch Schulen) sind in Österreich rechtlich verpflichtet, sich ans amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung zu halten, und dieses sieht die Verwendung von Wortbinnenzeichen ausdrücklich nicht vor (vgl. meinen Blog-Beitrag vom 23. Dezember 2024).
Wenn sich die Stadt bzw. das Land Wien in unerträglicher Arroganz der Macht über das Gesetz stellt und offenbar der Ansicht ist, rechtliche Bestimmungen würden für Wien nicht gelten, dann habe ich ein Problem damit – und umso mehr, wenn man die Rechtfertigungen und Hintergründe betrachtet. Der an Orwell gemahnende dogmatische Eifer, den die Stadtregierung hier an den Tag legt, ist außerdem zutiefst befremdlich, verstörend und beängstigend.
Die Stadt Wien rechtfertigt den Einsatz des Gendersternchens damit, intersexuelle Personen ansprechen und sichtbar machen zu müssen, wobei sie niemand und nichts dazu zwingt – sie handelt hier vollkommen freiwillig. Auf jeden Fall stellt sich die Frage, ob die Umsetzung gelungen ist und vor allem, ob die gemachten Abstriche an Grammatik, Sprachlogik etc. gerechtfertigt sind. Und das würde ich eindeutig und absolut verneinen.
In dem Zusammenhang muss man sich zudem die „Dimension“ des Problems bzw. die Größe der Gruppe vor Augen führen. In Österreich werden pro Jahr ca. 20 Babys geboren, die als intersexuell diagnostiziert werden. Rechnete man das großzügig auf 100 Jahrgänge hoch, beliefe sich die Gesamtzahl auf 2000 intersexuelle Menschen. Andere Schätzungen gehen davon aus, dass auf 100.000 Einwohner zwischen 4,6 und 6,8 intersexuelle Personen kommen – das hieße für ganz Österreich maximal 620 Personen, in Wien dann wohl vielleicht gerade einmal 200 Menschen. Laut Statistik Austria lebten zum Stichtag 1. Jänner 2025 in ganz Österreich 4,664.973 Frauen, 4,533.021 Männer und 220 (in Worten: zweihundertzwanzig!) intersexuelle Personen.
Und wegen dieser winzigen Gruppe betreibt die Stadt Wien diesen Aufwand und bastelt sich eine Parallelsprache – und das vor dem Hintergrund, dass das Schulwesen in Wien gerade am Kollabieren ist und dieser orwellsche Neusprech den Erwerb der deutschen Sprache sogar kontraproduktiv unterminiert. Statt jeden verfügbaren Cent in das marode Schulwesen zu stecken, vergeudet die Stadt Wien Geld für einen sprachlichen Leitfaden mit fragwürdigen und absurden Inhalten.
Glauben die Stadt-Verantwortlichen ernsthaft, dass sie mit diesem missionarischen Eifer Erfolg haben und ihre „hehren“ Ziele tatsächlich mit diesem dogmatischen Fanatismus erreichen werden? Glauben sie wirklich, dass sie dem Anliegen damit einen guten Dienst erweisen? Warum diese anmaßende Bevormundung und Zwangsbeglückung, wenn klar ist, dass 80 Prozent der Bevölkerung diese Schreibweise ablehnen? Eine Umerziehung durch die Stadt Wien ist daher ohnehin zum Scheitern verurteilt. Ginge es nicht auch eine Spur seriöser und ohne Vandalismus an der Sprache?
Sieht man sich die politischen Entwicklungen an, werden gerade jene Parteien und Politiker abgestraft, die mit diesem Thema der Bevölkerung auf die Nerven gehen, statt sich um die tatsächlichen und dringenden Sorgen der Leute zu kümmern.
Dabei sollte gerade die SPÖ die Lehren aus den Landtagswahlen in Kärnten 2023 ziehen. Damals verlor die SPÖ massiv (9 %): Kurz vor der Wahl hatten die bürgerlichen Medien der „Affäre“ um den Genderleitfaden der Landesregierung genüsslich größtmögliche Aufmerksamkeit zuteilwerden lassen (vgl. meinen Blog-Beitrag vom 16. März 2023; letzte vier Absätze). Sicherlich ist das Thema für die meisten nicht Hauptgrund für die Wahlentscheidung, aber zusätzlich motivierend ist es wohl auch kaum.
Noch schwerer als die aufdringliche Belästigung der Bevölkerung durch diese lächerliche Kunstsprache wiegt indes der Umstand, dass die zehntausenden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Stadtverwaltung gezwungen werden, diesen woken Irrsinn mitzumachen. Es steht wohl außer Frage, dass die Mehrheit das nicht freiwillig tut. Doch wer sich diesem Regime nicht unterwirft, kann Job bzw. Karriere wohl vergessen.
Das betrifft im übrigen auch andere identitäre bzw. identitätspolitische Dogmen, etwa dass es mehr als zwei Geschlechter gibt. Ich kenne inzwischen mehrere Leute, die gemobbt bzw. versetzt worden sind oder keine Aufträge mehr bekommen, weil sie sich dieser Gehirnwäsche entzogen haben und daran festhalten, dass es nur zwei biologische Geschlechter – Mann und Frau – gibt. Während die Stadt Wien vorgibt, für Vielfalt und Inklusion einzutreten, hat sie in Wahrheit eine stalinistoide autoritäre Herrschaft etabliert. Orwell lässt in der Tat grüßen. Derartige Entwicklungen kann ich mit meiner Stimme keinesfalls unterstützen.
Bleibt die Frage: welche Partei stattdessen wählen? Bei Grünen, NEOS und KPÖ/Linke haben ja die gleichen Genderschwurbler das Kommando übernommen, sind also keine echte Alternative. Für diesmal hat sich die Frage mittlerweile allerdings ohnehin erledigt. Da ich am Wahltag, dem 27. April, nicht in Wien sein werde, wollte ich eine Wahlkarte bestellen. Da jedoch die mir zugesandte Wahlinformation in regelwidrigem Deutsch abgefasst war, habe ich den Brief und den Wahlkartenantrag wieder zurückgeschickt und ersucht, man möge mir die Information in rechtskonformem Deutsch zusenden, was bis heute nicht geschehen ist.
Konkret geht es um die Formulierung, die Wahlkarte könne per Post, per Bot*in oder durch persönliche Abgabe bei der Wahlbehörde einlangen. Das Wort „Bot*in“ existiert in der deutschen Sprache nicht; es ist nicht eindeutig, ob man auch einen Boten schicken könnte. Immerhin existiert das Wort „Bote“. Die männliche Form kommt jedenfalls in „Bot*in“ nicht vor, und da mir als aufgeklärtem Atheisten ohne jegliche religiöse Ader die entsprechende spirituelle Vorstellungs- und Einbildungskraft fehlt, kann ich beim besten Willen und trotz größter Anstrengung im Wort „Bot*in“ kein „e“ erkennen. Dafür müsste man in der Tat schon sehr tiefgläubig sein – doch ich glaube ja nicht einmal an Marienerscheinungen!
Dank der Wiener Wahlbehörde werde ich also diesmal nicht einmal ungültig wählen können – wie im Vorjahr bei der Wahl zum EU-Parlament. Aber vielleicht ist es eh besser so. Denn womöglich wäre ich verleitet gewesen, einem spontanen anarchistischen Protest-Impuls nachzugeben und mein Kreuzchen bei der FPÖ zu machen…
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