Wie ich in meinem Blog-Beitrag vom 17. April d. J. berichtet habe, wollte ich für die Wiener Landtagswahl am 27. April eine Wahlkarte bestellen. Da jedoch die mir zugesandte Wahlinformation in regel- und rechtswidrigem Deutsch abgefasst war, habe ich den Brief und den Wahlkartenantrag wieder zurückgeschickt und ersucht, man möge mir die Information in rechtskonformem Deutsch zusenden. Konkret ging es um die Formulierung, die Wahlkarte könne per Post, per Bot*in oder durch persönliche Abgabe bei der Wahlbehörde einlangen. Da das Wort „Bot*in“ in der deutschen Sprache nicht existiert, vermutete ich, dass diese Neuschöpfung eine intersexuelle Person bezeichnet. Da ich aber keine kenne, die ich um diesen Gefallen ersuchen hätte können, wollte ich in Erfahrung bringen, ob ich auch „einen Boten“ schicken könnte. Doch ich bekam nie eine Antwort von der zuständigen Wahlbehörde in Wien. Wie berichtet, verzichtete ich schließlich auf eine Stimmabgabe (ich war am Tag der Wahl im Ausland).
Am 13. Mai legte ich allerdings Beschwerde bei der Volksanwaltschaft ein. Denn: Das vom Rat für deutsche Rechtschreibung aktualisierte Amtliche Regelwerk mit dem neuen Amtlichen Wörterverzeichnis ist seit dem 1. Juli 2024 auch in Österreich für Schule und Verwaltung verbindlich. Es wurde vom Bildungsministerium durch Verordnung in Rechtskraft gesetzt. „Gendern“ mit Sonderzeichen (Sternchen, Unterstrich, Doppelpunkt etc.) ist darin ausdrücklich nicht vorgesehen.
Der Rechtschreibrat hat in diesem Zusammenhang Folgendes festgestellt: „Diese Wortbinnenzeichen gehören nicht zum Kernbestand der deutschen Orthografie.“ Die Folgeprobleme seien nicht ausreichend einschätzbar und die Entwicklung des Gesamtbereichs müsse weiter beobachtet werden. In der ebenfalls auf der Webseite des Rats veröffentlichten Erläuterung und Begründung vom 15.12.2023 heißt es dazu: „Sonderzeichen innerhalb von Wörtern beeinträchtigen die Verständlichkeit, die Lesbarkeit, die Vorlesbarkeit und die automatische Übersetzbarkeit sowie die Eindeutigkeit und Rechtssicherheit von Begriffen und Texten. Diese Sonderzeichen als Bedeutungssignale innerhalb von Wörtern können nicht in das Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung aufgenommen werden, weil sie derzeit nicht wissenschaftlich eindeutig zu begründen sind.
Am 14. Oktober 2025 gab mir die Volksanwaltschaft recht und teilte mir als Ergebnis des Prüfverfahrens mit: Da der von der Stadt Wien „bei allen Aussendungen“, wie etwa der „Amtlichen Wahlinformation“ und dem „Wahlkartenantrag“ verwendete „Genderstern“ dieser Empfehlung des Rates für deutsche Rechtschreibung widerspricht, erweist sich Ihre Beschwerde in diesem Punkt als berechtigt. Über diesen Umstand habe ich den Landeshauptmann von Wien mit gleicher Post informiert, so Volksanwalt Christoph Luisser, der sich offenkundig von der Stadt Wien nicht verarschen ließ.
Diese hatte in ihrer Stellungnahme zu meiner Beschwerde nämlich wieder sämtliche abstrusen und lächerlichen Argumente ins Treffen geführt, die ich in meiner umfangreichen Korrespondenz mit etlichen Magistratsabteilungen und auch dem Büro des Bürgermeisters längst widerlegt bzw. relativiert hatte. Man fragt sich wirklich, was mit den Leuten dort los ist: Sind die wirklich so gehirngewaschen, irrational und verbohrt, dass sie keiner Logik mehr zugänglich sind? Es ist wirklich monströs!
Ich bin jedenfalls neugierig, ob Landeshauptmann Michael Ludwig die Verhöhnung des Rechtsstaats jetzt endlich abstellen wird.
Seitenweise schwadroniert die Stadt Wien in ihrer Stellungnahme zudem über Dinge, die für die Sache völlig irrelevant sind, etwa dass im Wählerevidenzgesetz des Bundes definiert sei, dass im Zentralen Wählerregister (sic!) bei den einzelnen wahlberechtigten Personen kein Geschlecht mehr verdatet werden darf. Ja und? Komplette Themenverfehlung. Derlei Argumentation kann man wohl nur als „paradoxe Intervention“ werten, mit der man vom eigentlichen Thema ablenken oder vielleicht irgendeine – reichlich weit hergeholte – rechtliche Verpflichtung fürs Gendersternchen insinuieren will – eine solche besteht jedoch nicht. Wenigstens hat die Stadt Wien diesmal darauf verzichtet, sich in diesem Zusammenhang auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs aus 2018 zu berufen, mit dem die fehlende Eintragungsmöglichkeit für intersexuelle Personen im Personenstandsregister als verfassungswidrig befunden wurde. Die Stadt Wien hatte dieses Urteil früher immer gerne fehl- und überinterpretiert und daraus eine Verpflichtung zum erweiterten Gendern mit Wortbinnenzeichen hergeleitet. Diese falsche Auslegung habe ich aber mittlerweile „zerlegt“ und nachgewiesen, dass der VfGH eine solche Schlussfolgerung nicht nur nicht vorgesehen, sondern ausdrücklich im Erkenntnis ausgeschlossen hat (vgl. Blog-Beitrag vom 23. Dezember 2024).
Verzweifelt versucht die Stadt Wien in ihrer Stellungnahme an die Volksanwaltschaft, ihre Rechtsansicht zu untermauern, indem sie ergänzende Erläuterungen und Erklärungen des Rechtschreibrats als nicht Teil des Amtlichen Regelwerks verwirft und nur die Ausführungen im Regelwerk selbst gelten lassen will (S. 153 f), die da lauten (im verlinkten Text 2. Absatz im Kasten):
Zunehmend werden bei Personenbezeichnungen orthografische Zeichen wie der Doppelpunkt (:) – allerdings ohne ein folgendes Leerzeichen (Bürger: innen) – oder Sonderzeichen wie Asterisk (*), Unterstrich (_) oder andere Zeichen im Wortinneren verwendet. Diese Wortbinnenzeichen gehören nicht zum Kernbestand der deutschen Orthografie. Sie sollen eine über die formalsprachliche Funktion hinausgehende metasprachliche Bedeutung zur Kennzeichnung aller Geschlechtsidentitäten – männlich, weiblich, divers – vermitteln: die Schüler:innen, die Kolleg*innen. Sie gehen damit über Verkürzungsformen wie Bürger/-innen, die vom Amtlichen Regelwerk bereits erfasst werden, hinaus.
Die Besonderheit der Wortbinnenzeichen zur Kennzeichnung einer geschlechterübergreifenden Bedeutung liegt darin, dass sie auf die orthografisch korrekte Schreibung von Wörtern unmittelbar einwirken. Diese Eigenschaft teilen sie mit einigen Satz- bzw. Wortzeichen (wortinterne Klammern, Apostroph, Bindestrich, Anführungszeichen), deren wortinterne Verwendung im Amtlichen Regelwerk beschrieben wird. Bei den Sonderzeichen mit Geschlechterbezug soll jedoch eine metasprachliche Bedeutung transportiert werden. Ihre Setzung kann in verschiedenen Fällen zu grammatischen Folgeproblemen führen, die noch nicht geklärt sind, z. B. in syntaktischen Zusammenhängen zur Mehrfachnennung von Artikeln oder Pronomen (der*die Präsident*in).
Die Entwicklung des Gesamtbereichs ist noch nicht abgeschlossen und wird vom Rat für deutsche Rechtschreibung weiter beobachtet werden.
Doch auch diese Ausführungen geben nichts her, was den Standpunkt der Stadt Wien rechtfertigen würde, und so bleibt ihr nichts anderes übrig, als in haarsträubender Art und Weise völlig widersinnige Schlussfolgerungen zu ziehen – wenn sie etwa in ihrer Stellungnahme an die Volksanwaltschaft dazu meint:
Aus dieser Textpassage (Anm.: „zunehmend“!) folgt nicht nur, dass die Verwendung entsprechender Sonderzeichen in Bezug auf eine geschlechtergerechte Sprache bereits umfassend (sic!) in den Schreib- und Sprachgebrauch Einzug gehalten hat, sondern auch, dass die Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Der Rat für die deutsche Rechtschreibung hat somit – entgegen der Auffassung von Herrn Mag. Krickler – in seinem amtlichen Regelwerk keine Aussage dahingehend getroffen, dass die Verwendung entsprechender Sonderzeichen unzulässig ist. Indem der Rechtschreibrat die Verwendung von Sonderzeichen nicht ins Amtliche Regelwerk aufgenommen hat, hat er diese automatisch für nicht zulässig (= unzulässig) erklärt. Er muss daher gar keine ausdrückliche Aussage treffen, dass die Verwendung entsprechender Sonderzeichen unzulässig ist. Wie blöd kann man sich eigentlich stellen, ohne die eigene Selbstachtung zu verlieren? Und weiter argumentiert sich die Stadt Wien unseriös um Kopf und Kragen:
Dies entspricht auch der Herangehensweise des Rates für deutsche Rechtschreibung. Dies deshalb, da dieser sein Regelwerk auf Basis „empirischer Schreibbeobachtung im Orthografischen Kernkorpus“ herausgibt und daher Entwicklungen in der Schreibpraxis vor der Herausgabe abschließender Empfehlungen zuerst beobachtet.
Eben: Bevor er Sonderzeichen ins Amtliche Regelwerk aufnimmt und damit für zulässig erklärt, beobachtet der Rechtschreibrat die sprachlichen Entwicklungen. Das ist eine seiner Kernaufgaben. Aber solange er noch beobachtet und Wortbinnenzeichen nicht in die offiziell gültige deutsche Rechtschreibung inkorporiert, ist das kein Freibrief, diese Sonderzeichen jetzt schon anzuwenden. Selbst wenn er die Möglichkeit offenlässt, seine jetzige Entscheidung irgendwann zu revidieren, gilt sie bis dahin.
Und ob er bald bzw. jemals eine abschließende Empfehlung bzw. Zulässigkeitsaussage für die Verwendung von Wortbinnenzeichen abgeben wird, steht noch ziemlich in den Sternen. In die „empirische Schreibbeobachtung im Orthografischen Kernkorpus“ (OKK) würde ich dabei als Stadt Wien indes keine allzu großen Hoffnungen und Erwartungen setzen, denn im besagten OKK ist die Schreibweise mit Wortbinnenzeichen laut Rechtschreibrat (vgl. die erwähnten Erläuterungen, S. 5) derzeit „quantitativ nach wie vor“ nur „marginal“ vertreten. Und das wird sich wohl in Zukunft nicht so dramatisch ändern, dass eine Berücksichtigung im Amtlichen Regelwerk notwendig würde. Selbst das Binnen-I hat in den letzten 40 Jahren keine derartige Relevanz erreichen können.
Offenkundig ignoriert die Stadt Wien zudem bewusst den Hinweis des Rechtschreibrats betreffend die grammatischen Folgeprobleme, die noch nicht geklärt sind, z. B. in syntaktischen Zusammenhängen zur Mehrfachnennung von Artikeln oder Pronomen (der*die Präsident*in). Oder wenn in den neugeschaffenen Schreibweisen ganze Fallendungen unter den Tisch fallen sollen, etwa bei einer Form wie „des Arztes/der Ärztin“, die zu „des*der Ärzt*in“ zusammengezogen werden soll – oder wenn „dem Präsidenten/der Präsidentin“ zu „dem*der Präsident*in“ werden soll (siehe auch Leitfaden der Stadt Wien).
Wie geistesgestört muss man eigentlich sein, dass man ernsthaft erwartet, dass irgendein Rechtschreibrat der Welt, der einen Ruf zu verlieren hat, jemals einem solchen Vandalismus an der Sprache zustimmen würde? Noch dazu handelt es sich hier ja nicht, wie immer behauptet wird, um einen Fall von „Naja, die Sprache hat sich immer schon weiterentwickelt“, also um eine natürliche Fortentwicklung von unten nach oben, sondern hier werden dogmatisch und autoritär Sprachformen von oben nach unten aufoktroyiert, wie es sonst nur im Dritten Reich oder der DDR der Fall war! 80 Prozent der Leute lehnen diese Formen dezidiert ab.
Im übrigen hätte die Stadt Wien doch einfach beim Rechtschreibrat nachfragen und sich die Sache erklären lassen oder zumindest das Interview mit Josef Lange, dem Vorsitzenden des Rats für deutsche Rechtschreibung, beherzigen können, in dem dieser jeden Zweifel über den Stand der Dinge und die Auslegung der geltenden Regelungen ausräumt. Auf die Frage, was es bedeutet, wenn eine Gebietskörperschaft sich weigert, die amtliche Rechtschreibung anzuwenden, meint er etwa: „Wie sollen wir Kindern und Jugendlichen in der Schule vermitteln, sich an Regeln zu halten, wenn der Staat selbst es nicht tut?“
Ich habe, wie erwähnt, mit verschiedenen Stellen der Stadt Wien längere und ausführliche Korrespondenzen geführt und mir dabei die Finger wund geschrieben. Die Stadt Wien verfügt über all die Hintergrundinformationen, kennt dieses Interview sowie sämtliche hier nochmals ausgeführten Argumente. Doch sie weigert sich bockig, die eindeutige Rechtslage zur Kenntnis zu nehmen. Und, was noch schlimmer ist, sie verwendet mit unfassbarer Dreistigkeit und Unverschämtheit weiterhin diese lächerlichen Argumente gegenüber der Volksanwaltschaft. Diese hat sich jedoch nicht davon beeindrucken lassen.
Der zweite Aspekt meiner Beschwerde bei der Volksanwaltschaft betraf den Umstand, dass sich die Stadt Wien weigerte, mir den Wahlkartenantrag samt amtlicher Information in korrektem Deutsch nochmals zuzusenden. Trotz Urgenz per E-Mail wurde mir weder geantwortet noch die Information in der gewünschten Form übermittelt. Wie erwähnt, ging es darum, in Erfahrung zu bringen, ob ich meine Wahlkarte auch durch „einen Boten“ überbringen lassen könnte.
Auch zu diesem Punkt erging sich die Stadt Wien in aus- und abschweifenden Tiraden, unterstellte, ich hätte auf eine nicht genderneutrale Anrede bestanden und bemühte in dem Zusammenhang – eine weitere paradoxe Intervention – sogar das UNO-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) – als hätte ich den Bruch dieser Konvention verlangt! Auf ihr Kunstwort „Bot*in“ ging die Stadt Wien hingegen überhaupt nicht ein.
Auf jeden Fall meinte die Volksanwaltschaft zu diesem Aspekt, dass mir mit der Zusendung der Wahlinformation die Möglichkeit geboten wurde, von meinem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Ich nehme das zur Kenntnis. Dennoch werde ich auch in Hinkunft nicht zur Wahl gehen, wenn die behördlichen Unterlagen nicht in der anerkannten und korrekten Schreibweise formuliert sind.