Wieder ein EuGH-Urteil mit schalem Beigeschmack

Veröffentlicht am 27. November 2025

Am 25. November 2025 hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in der Rechtssache C-713/23 entschieden, dass eine in einem EU-Mitgliedsstaat geschlossene gleichgeschlechtliche Ehe unter bestimmten Umständen überall in der EU anerkannt werden muss. Kläger waren zwei Polen – Jakub Cupriak-Trojan und Mateusz Trojan –, die lange in Deutschland gelebt und dort geheiratet hatten und ihren Familienstand nach Rückkehr in ihre Heimat in Polen anerkannt wissen wollten. Das zuständige Gericht legte die Sache dem EuGH zur sogenannten Vorabentscheidung vor. Und dieser entschied im Sinne der Kläger, wobei er konkretisierte, dass ein betroffenes Paar im Aufnahmemitgliedsstaat „ein Familienleben entwickelt oder gefestigt haben“ und sein Recht auf Freizügigkeit innerhalb der EU in Anspruch nehmen muss. In einem solchen Fall müssen selbst jene Mitgliedsstaaten, die selber über keine Rechtsinstitute für gleichgeschlechtliche Paare verfügen (das sind ohnehin nur mehr Polen, Litauen, die Slowakei, Rumänien und Bulgarien), eine im EU-Ausland geschlossene gleichgeschlechtliche Ehe anerkennen und den Eheleuten dieselben Rechte gewähren, die verschiedengeschlechtliche Ehepaare im jeweiligen Land genießen.

Ehe- und Familienrecht fallen zwar unter die nationale Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedsstaaten, was der EuGH auch mehrfach in dem Urteil betont. Allerdings gibt es eben in der Praxis Überschneidungen mit EU-Recht, in dem Fall dem Recht der Unionsbürger/-innen, sich in der gesamten EU frei zu bewegen und aufzuhalten.

Kein Heiratstourismus

Es wird jedenfalls nicht reichen, dass etwa zwei Polen oder zwei Slowakinnen z. B. bloß für ein paar Tage nach Wien reisen (ohne sich in Österreich überhaupt niederzulassen), um hier zu heiraten und danach in ihrem Heimatland die Anerkennung ihres Ehestatus erfolgreich geltend machen zu können. In dem Fall kommt das Recht auf Freizügigkeit nämlich gar nicht zum Tragen.

Die praktische Bedeutung dieses Urteils wird sich daher ziemlich in Grenzen halten und wohl insgesamt nur ein paar Dutzend Paare betreffen. In dieser Hinsicht waren die internationalen Jubelmeldungen („historischer Sieg“ etc.), die überall in den (sozialen) Medien zu lesen waren, total übertrieben und irreführend. Offenbar haben weder Journalisten noch Politiker noch Aktivisten, die dazu gepostet bzw. darüber berichtet haben, das Urteil überhaupt gelesen bzw. dessen Inhalt verstanden. Derartige Unprofessionalität und Inkompetenz haben jedenfalls einmal mehr dazu geführt, dass sich im Internet Fake-News flächendeckend verbreiten.

Rumänien säumig

Das jetzige Urteil des EuGH ist im Prinzip eine „Weiterentwicklung“ seiner Rechtsprechung auf diesem Gebiet. Bereits 2018 hatte der EuGH in der Rechtssache C 673/16 entschieden, dass ein gleichgeschlechtlicher Ehepartner, der Drittstaatsangehöriger ist, für den Zweck der Freizügigkeit bzw. Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU wie ein verschiedengeschlechtlicher Ehepartner eines EU-Bürgers zu behandeln ist. In dem Fall hätte Rumänien dem US-Ehemann eines rumänischen Staatsbürgers eine entsprechende Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis erteilen müssen. „Hätte“ – denn Rumänien hat dieses Urteil nie umgesetzt! In den LAMBDA-Nachrichten 1/2018 habe ich ausführlich über den Fall berichtet.

Um die formale Anerkennung der Ehe bzw. die Gewährung aller Rechte, die Ehegatten nach nationalem Recht zustehen, ging es in dem Verfahren damals gar nicht, sondern eben nur um den unmittelbar aus EU-Recht abzuleitenden Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungs- und Beschäftigungsbewilligung für den Partner aus einem Drittstaat.

Dass der EuGH im aktuellen Fall die „Grenzen“ des EU-Rechts weiter verschiebt und ausdehnt und damit die Kompetenzen der Mitgliedsstaaten entsprechend beschneidet, indem er Polen zur Anerkennung einer im Ausland geschlossenen gleichgeschlechtlichen Ehe und damit zur Gewährung aller mit der Ehe verbundenen Rechte zwingt, sollte mich als Schwulenaktivisten zwar freuen, tut es aber – ehrlich gesagt – als skeptischen EU-Bürger nur eingeschränkt. Denn das Urteil kommt einer Einführung der Homo-Ehe durch die EU-Hintertür gleich – auch wenn es sich aufgrund der spezifischen Voraussetzungen nur um ein paar Einzelfälle handeln wird.

Durch die EU-Hintertür

Hier hat Brüssel bzw. Luxemburg den fünf erwähnten Mitgliedsstaaten quasi die Entscheidung über die Einführung der „Ehe für alle“ abgenommen, also in einem Rechtsbereich, wo die Zuständigkeit eigentlich eindeutig bei den Mitgliedsstaaten liegt. Schon in den LAMBDA-Nachrichten 1/2016 hatte ich Verständnis geäußert: Jedes nationale Parlament, das noch einen Funken Selbstachtung hat, wird sich gegen eine derartige Entmachtung durch Brüssel zur Wehr setzen. Diese EuGH-Entscheidung wird sicherlich wieder Wasser auf den Mühlen populistischer rechter EU-Gegner sein.

Das Argument des EuGH, die Nichtanerkennung der in Deutschland geschlossenen Ehe würde das Recht der beiden Kläger auf Freizügigkeit beschränken, ist nicht wirklich überzeugend, denn natürlich konnten die beiden polnischen Staatsbürger das Recht, in ihre Heimat zurückzukehren, uneingeschränkt in Anspruch nehmen, was sie ja auch getan haben. Dass man bestimmte, im bisherigen Wohnsitzland erworbene (landesspezifische) Rechte nicht unbedingt ins neue Wohnsitzland mitnehmen kann, betrifft nicht nur sie, sondern im Prinzip alle, die innerhalb der EU das Wohnsitzland wechseln und daher die jeweiligen Vor- und Nachteile abwägen müssen.

Im erwähnten LN-Artikel (und auch in den LN 2/2014) habe ich in dem Zusammenhang für eine redlichere Debatte plädiert und Beispiele genannt, wo solche Abwägungen ganz selbstverständlich getroffen werden und niemand ernsthaft erwarten würde, bestimmte Rechte einfach bei Übersiedlung in ein anderes EU-Land mitnehmen zu können.

Bleibt jedenfalls abzuwarten, ob und wie Polen diese Entscheidung umsetzen wird. Es gibt sicherlich „kreative“ Lösungen, wie man das Urteil unterlaufen könnte. Möglicherweise ist man aber eh froh, dass man sich auf Brüssel ausreden kann.

Man verstehe mich nicht falsch: Als jemand, der selber mehr als 20 Jahre lang an vorderster Front für die eingetragene Partnerschaft in Österreich gekämpft hat, verstehe ich die polnischen Lesben und Schwulen nur zu gut, dass auch sie endlich ein entsprechendes Rechtsinstitut haben möchten. Bloß: Das musste überall in der EU auf nationaler Ebene erkämpft werden – die EU ist dafür nicht zuständig. Und für die große Mehrheit der polnischen Lesben und Schwulen, die keine Möglichkeit haben, sich für einige Zeit im EU-Ausland niederzulassen, um dann dort zu heiraten, bevor sie wieder nach Polen zurückkehren, bleibt der Bewegung dieser Kampf sowieso nicht erspart – EuGH-Urteil hin oder her.

Wobei zu vermuten steht, dass die jetzige Entscheidung nur ein weiterer Schritt einer gezielten Salami-Taktik ist. Es wird interessant sein, ob und wie in weiteren Fällen der EuGH eventuell definieren wird, wie konkret ein „Familienleben entwickelt oder gefestigt“ sein muss. Reichen ein paar Wochen oder Monate Aufenthalt im Ausland aus, um ein solches Familienleben rechtlich zu etablieren? Zählen dann bereits vorherige Zeiten des Zusammenlebens im Herkunftsland (ohne Möglichkeit der Eheschließung), bevor man ins Ausland zieht, um zu heiraten? Und was ist mit Fernbeziehungen – wenn (etwa binationale) Paare getrennte Wohnsitze in verschiedenen Mitgliedsstaaten haben?

Das Urteil hat jedenfalls diesen schalen Beigeschmack, dass der EuGH hier mit seiner Auslegung reines Richterrecht spricht, was ich für sehr problematisch halte. Dass er gemeinsam mit der EU-Kommission danach trachtet, möglichst viele Zuständigkeiten von den Mitgliedsstaaten weg nach Brüssel zu ziehen, obwohl immer die größtmögliche Subsidiarität beteuert wird, ist an und für sich nichts Neues, sollte aber hinterfragt und diskutiert werden.

Vermutlich ist es auch nur eine Frage der Zeit, bis der EuGH auch besagte Hürde einer vorherigen Niederlassung im EU-Ausland beseitigen und eine einfache „Hochzeitsreise“ für ausreichend erachten wird, um den neuen Familienstand dann ins Heimatland transferieren zu können.

Polen ohnehin unter Zugzwang

Im aktuellen Fall ist es zumindest ein Trost, dass Polen im Dezember 2023 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in der Beschwerde Nr. 11454/17 (Przybyszewska u. a. gegen Polen) ohnehin verurteilt wurde, weil eben keinerlei Form einer rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften im Land existiert.

Im Oktober 2024 hatte die neue polnische Mitte-links-Koalition unter Donald Tusk einen ersten Entwurf für ein Gesetz über die eingetragene Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare vorgelegt. Dieser scheiterte allerdings im Parlament.

Im Oktober 2025 wurde schließlich ein ziemlich abgespeckter Gesetzesentwurf präsentiert, mit dem die Möglichkeit für individuelle Partnerschaftsverträge geschaffen werden soll, die sowohl gleich- als auch verschiedengeschlechtliche Paare beim Notar abschließen können. Dadurch erhofft man sich die Zustimmung des neuen rechtskonservativen Staatspräsidenten Karol Nawrocki, der über ein Vetorecht verfügt. Man wird sehen, welche Dynamik der EuGH-Entscheid hier auslösen wird.

Der Fall Emil R.

Viel brisanter als dieses Urteil ist allerdings ein anderes vom Oktober 2024, über das ich bereits in meinem Blog-Beitrag vom 11. Oktober 2025 berichtet habe: In der Rechtssache C-4/23 hat der EuGH entschieden, dass die Weigerung eines Mitgliedsstaats, die in einem anderen Mitgliedsstaat rechtmäßig erlangte Änderung des Vornamens und Geschlechts anzuerkennen, ebenfalls gegen das Recht der Unionsbürger/-innen verstößt, sich überall in der EU frei zu bewegen und aufzuhalten.

Konsequent umgesetzt, hieße dies, dass die subjektive Selbstbestimmung des eigenen Geschlechts (Self-ID) etwa nach dem deutschen Selbstbestimmungsgesetz in allen EU-Staaten durch die Hintertür und an den nationalen Parlamenten vorbei eingeführt werden müsste. Wie im besagten Beitrag berichtet, hat die Stadt Wien unter Hinweis auf dieses EuGH-Urteil im Fall der angeblich „non-binären“ Person Emil R. sogar eine deutsche Eintragungsoption übernommen, die es in Österreich dafür gar nicht gibt – und deshalb offenbar als Notlösung eine unrichtige Eintragung („divers“) vorgenommen. Denn „divers“ ist in Österreich ausschließlich intersexuellen Personen vorbehalten, die dafür ein Fachgutachten vorlegen müssen, aus dem hervorgeht, dass ihr Geschlecht aufgrund ihrer chromosomalen, anatomischen und/oder hormonellen Entwicklung weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden kann.

Der Fall Waltraud/Walter P. hat deutlich vor Augen geführt, wie leicht es sogar in Österreich – auch ohne Selbstbestimmungsgesetz wie in Deutschland – ist, einen administrativen Geschlechtswechsel zu erwirken und welches Missbrauchspotential hier besteht. Nachdem dieser Fall publik wurde, gab es einen großen Aufschrei quer durch die gesamte Innenpolitik, die sich nun angeblich darum bemüht, den Missbrauch durch Waltraud/Walter P. wieder rückgängig zu machen und derartigen Missbrauch in Zukunft zu unterbinden.

Aber was hat das für einen Sinn, wenn auf der anderen Seite ganz legal ein Self-ID-Import (samt genau demselben Missbrauchspotential) aus Deutschland möglich ist und man dies seitens der österreichischen Politik einfach so hinnimmt? Die Hürde, den Wohnsitz für die Zeit des administrativen Geschlechtswechsels nach Deutschland verlegen zu müssen, ist ja nicht besonders hoch und abschreckend.

Diese Frage habe ich auch an den für Personenstandsangelegenheiten zuständigen Innenminister Gerhard Karner und an Europaministerin Claudia Plakolm gerichtet, aber bislang noch keine befriedigende bzw. endgültige Antwort bekommen. Aber ich bleibe dran.

Weltfremder EuGH

Vielleicht begreift der Innenminister ja irgendwann, dass die Regierungen der Mitgliedsstaaten endlich etwas gegen diese weltfremden und bizarren Entscheidungen des EuGH unternehmen müssen. Karner muss sich ja auch speziell im Asylbereich damit herumschlagen. So bestimmte der EuGH etwa, dass sich die Einstufung eines Drittstaats als sicherer Herkunftsstaat auf dessen gesamtes Hoheitsgebiet beziehen müsse (Rechtssache C-406/22) oder dass kein Staat in die Liste sicherer Herkunftsstaaten aufgenommen werden darf, der nicht seiner gesamten Bevölkerung einen ausreichenden Schutz bietet (verbundene Rechtssachen C-758/24 und C-759/24). Das heißt im Klartext, unter den knapp 200 Staaten der Welt gibt es dann vielleicht einmal ein Dutzend sicherer Drittstaaten: die Schweiz, Norwegen, Island, Kanada, Neuseeland und noch ein paar wenige andere.

Sicherlich gut gemeint, aber total verrückt ist auch das EuGH-Urteil in den Rechtssachen C-608/22 und C-609/22. Darin stellt der EuGH fest, dass davon auszugehen ist, dass afghanische Frauen generell und grundsätzlich Verfolgungshandlungen ausgesetzt sind und daher automatisch Anspruch auf Asylgewährung haben.

„Fun-Fact“: Diese EuGH-Entscheidung bedeutet in Verbindung mit dem deutschen Selbstbestimmungsgesetz, dass theoretisch und in letzter Konsequenz die gesamte Bevölkerung Afghanistans legal nach Deutschland übersiedeln könnte: Die weibliche Bevölkerung hat qua ihres Geschlechts und ihrer Herkunft automatisch Anrecht auf Flüchtlingsstatus, und die Männer können sich während des Asylverfahrens nach dem Selbstbestimmungsgesetz einfach zu Frauen erklären und haben dann ebenfalls aus diesem Titel heraus Anspruch auf Asyl.

Man muss sich wirklich ernsthaft Sorgen um die EU machen. Und die Frage drängt sich auf, in welchen abgehobenen Sphären sich die EuGH-Richter/-innen eigentlich bewegen – offenbar haben sie völlig den Kontakt zur Realität verloren. Fühlen sie sich als Parallel-Gesetzgeber, der seine eigene (Gesellschafts-)Politik betreibt? Kapieren sie nicht, wie sie die EU mit solchen Entscheidungen spalten? Effektiver kann man der FPÖ, der AfD, Le Pen, Fico, Orbán und Kaczyński und den anderen rechten Parteien die Wähler/-innen wohl nicht zutreiben! Oder ist genau das ihre versteckte Agenda? Oder sind sie Agenten und fünfte Kolonne Putins, der die EU bekanntlich ganz zerstören will?

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