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Rehabilitierung & Entschädigung

Die Anerkennung und Entschädigung der homosexuellen NS-Opfer durch das Opferfürsorgegesetz (OFG) war eine der wichtigsten Anliegen der HOSI Wien, und wie bei allen wichtigen Anliegen sollte auch die Umsetzung dieser Forderung – einmal mehr wegen des erbitterten und hinhaltenden Widerstands von ÖVP und FPÖ – mehr als 20 Jahre in Anspruch nehmen.

 

Die ersten 20 Jahre

Die einschlägigen Lobbying-Aktivitäten und Entwicklungen in dieser Angelegenheit habe ich detailliert in einem längeren Beitrag für das LN-Sonderheft zusammengefasst, das die HOSI Wien im Juni 2001 zu ihrer Ausstellung „Aus dem Leben“ herausgab. In der gedruckten Version und in der PDF-Version der Online-Ausstellung haben sich leider bei den Fußnoten Fehler eingeschlichen. Ich empfehle daher, lieber die für diese Website von mir entsprechend korrigierte Fassung in der Sektion „Weitere LN-Beiträge“ zu lesen.

Die geschichtliche Aufarbeitung dieses Lobbying-Prozesses endet in diesem Beitrag natürlich mit dem Juni 2001.

 

2001–2005

Auch in den nächsten vier Jahren sollte die Aufnahme der homosexuellen Opfer ins OFG an der ÖVP und der FPÖ scheitern, die sich mit Händen und Füßen und abstrusen Argumenten gegen eine entsprechende Novellierung des OFG wehrten. Die regelmäßig von den Grünen eingebrachten Anträge im Nationalrat wurden weiterhin blockiert. Ausführliche Berichte darüber erschienen in den LN 2/2002 (S. 10 ff) und 3/2002 (S. 23 f).

Eine bedeutsame Entwicklung in diesem Zusammenhang stellte die Unterstützung durch die von der Bundesregierung eingesetzte Historikerkommission dar. In ihrem Schlussbericht vom Jänner 2003 schloss sie sich der Argumentation der HOSI Wien an und kritisierte ebenfalls, dass nach Aufhebung des Verbots der Homosexualität 1971 keine rückwirkende Einbeziehung der homosexuellen NS-Opfer ins OFG erfolgte und „dass auf Grund formalrechtlicher Erwägungen sogar die Anhaltung im Konzentrationslager, die keinesfalls als rechtsstaatliche Maßnahme betrachtet werden kann, im Sinne einer Bestrafung nach österreichischem Recht interpretiert wurde“ (S. 342). Die HOSI Wien konfrontierte daraufhin den zuständigen Sozialminister Herbert Haupt (FPÖ) mit dieser Kritik der Historikerkommission (vgl. LN 2/2003, S. 8), aber erhielt trotz mehrfacher Urgenz nie eine Stellungnahme. Die Sache wurde zwischen den Büros Herbert Haupts und seiner Staatssekretärin Ursula Haubner (FPÖ) – die ihn später als Minister ablöste – hin- und hergeschoben.

Im Mai 2003 gab es mehrere Gelegenheiten, bei öffentlichen Veranstaltungen auf die von ÖVP und FPÖ verweigerte Rehabilitierung hinzuweisen. Die HOSI Wien appellierte in diesem Zusammenhang am 2. Mai in offenen Briefen an ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel und FPÖ-Obmann Herbert Haupt, dafür zu sorgen, daß keine VertreterInnen ihrer Parteien in offizieller Mission an diesen Veranstaltungen teilnehmen, solange sie bestimmten Opfergruppen einen Rechtsanspruch auf Entschädigung verwehren. Wörtlich hieß es im Schreiben an Schüssel:

Denn mit dieser Weigerung signalisiert Ihre Partei, daß eine bestimmte Gruppe zu Recht von den Nazis verfolgt und ermordet worden ist. Eine Teilnahme von ÖVP-PolitikerInnen an den Gedenkveranstaltungen wäre daher nicht nur hochgradig heuchlerisch und verlogen, sondern auch eine unerträgliche Provokation all jener Opfer und all jener TeilnehmerInnen, deren antifaschistische Gesinnung keine Einteilung zuläßt in Opfer, die ihre Verfolgung „verdient“ hätten, und Opfer, die als solche anerkannt werden.

Erst wenn sich die ÖVP dazu durchringt, alle Opfer des NS-Regimes in gleicher Weise als solche anzuerkennen, können VertreterInnen Ihrer Partei die Glaubwürdigkeit und moralische Integrität gewinnen, die eine überzeugende anti-nazistische Haltung voraussetzt.

An den oberösterreichischen Landeshauptmann Josef Pühringer appellierten wir ebenfalls, in diesem Sinne von einer Teilnahme abzusehen und sich stattdessen innerhalb der ÖVP für eine Haltungsänderung einzusetzen. Leider kamen die ÖVP-PolitikerInnen unserer Aufforderung nicht nach. Wer nicht hören will, muss fühlen: Bei der feierlichen Eröffnung des neuen Besucherzentrums der KZ-Gedenkstätte Mauthausen am 11. Mai wurde Redner Andreas Khol von mir hörbar ausgebuht, und im Juni stöckelte ÖVP-Abgeordnete Maria Fekter bei einem Symposium erbost und wutschnaubend aus dem Festsaal des Hohen Hauses, als ich die Haltung der ÖVP in dieser Frage als „ekelhafte Heuchelei“ bezeichnete, die für mich persönlich nur schwer auszuhalten sei (ausführlicher Bericht in den LN 3/2003, S. 6 ff).

Ein im März 2003 neuerlich eingebrachter Antrag der Grünen wurde am 4. Juni 2003 in erster Lesung im Nationalrat behandelt. Die ÖVP erklärte einmal mehr, sie werde diesem Antrag nicht zustimmen. Hauptsprecher der ÖVP in der Debatte war der Kärntner Abgeordnete Josef Winkler, ein Förster (nicht zu verwechseln mit dem Autor gleichen Namens!). Er argumentierte genauso abstrus und uninformiert, wie es zwei Jahre später dann ÖVP-Abgeordneter Walter Tancsits tun sollte. Auch Winkler wurde von der HOSI Wien damals in einer Aussendung am 5. Juni 2003 heftig kritisiert (ausführliche Berichte in den LN 3/2003, S. 6 ff, und 4/2003, S. 27 f). Der Antrag wurde an den Sozialausschuss des Nationalrats weiterverwiesen, wo er im Februar 2004 vertagt wurde. Ein Jahr später (!) – am 2. März 2005 – wurde der von den Grünen eingebrachte Fristsetzungsantrag, den ursprünglichen Antrag innerhalb einer bestimmten Frist auf die Tagesordnung des Sozialausschusses zu setzen, von den Regierungsparteien abgelehnt. Dies war der Auslöser für die Medienaussendung der HOSI Wien vom 4. März 2005, die Tancsits‘ Klagen gegen die HOSI Wien und zwei ihrer Funktionäre auslöste (siehe ebendort).

 

Gedankenjahr 2005

Am 14. Jänner 2005 fand im Parlament die offizielle Auftaktveranstaltung zum sogenannten „Gedankenjahr 2005“ statt. Gefeiert sollten u. a. 60 Jahre Zweite Republik, 50 Jahre Staatsvertrag und 10 Jahre Mitgliedschaft in der EU werden. Bei genauerer Betrachtung der Jubiläumspläne der schwarz-blauen Regierung – z. B. der von vielen kritisierten Aktion „25 Peaces“ – drängte sich indes sofort der Verdacht auf, dass man mit der Fokussierung auf 1945 als Stunde Null die Ursachen dafür absichtlich ausblenden wollte: 1934, den Austrofaschismus, den Anschluss Österreichs, den Angriffskrieg Hitler-Deutschlands, die Konzentrationslager, den Holocaust, die breite Unterstützung der Nazi-Ideologie in der Bevölkerung usw. Da sollte offenbar einmal mehr die Aufbaugeneration gefeiert werden („Österreich als Opfer“), bei der es sich in Wahrheit um genau dieselbe „Zerstörungs“-Generation handelte, die eigentlich die Hauptverantwortung dafür trug, dass die Nazis an die Macht kommen konnten, was zu Weltkrieg, Massenmord und Massenvertreibung führte („Österreich war auch Täter“).

Aber klar: Wenn man sich mit der Vorgeschichte der Gründung der Zweiten Republik nicht beschäftigte, bestand wenig Gefahr, dass sich die Parallelen zwischen damals und 1999 aufdrängten, als die Haider-FPÖ mit hemmungslosem Populismus, Antisemitismus und mit Ausländerfeindlichkeit und Demagogie zweitstärkste Partei wurde und mit der Schüssel-ÖVP, die drittstärkste geworden war und für diesen Fall eigentlich versprochen hatte, in Opposition zu gehen (wohl eine der größten Wählertäuschungen nach 1945!), eine Regierung bildete.

Allein schon wegen dieser Absichten wollte die HOSI Wien der Regierung dicke „Gedanken“-Striche durch ihre Gedankenjahrs-Rechnung machen – ganz abgesehen davon, dass Lesben und Schwule ohnehin allen Grund hatten, dem offiziellen Österreich in die Feier-Suppe zu spucken – sie hatten ja wenig Grund zu feiern, wie ich übrigens auch in einem Beitrag in der Stimme von und für Minderheiten (Nr. 54, Frühjahr 2005) dargelegt habe.

 

Verschärfte Gangart führt zum Erfolg

Und dann gab es natürlich folgende Überlegung: 20 Jahre politisches Lobbying waren erfolglos und vergebens. Wenn wir es jetzt, 60 Jahre nach Kriegsende, nicht endlich schafften, diese Novelle des OFG durchzusetzen, dann wäre wohl der Zug endgültig abgefahren. Die HOSI Wien beschloss also, ihre Gangart entsprechend zu verschärfen und den Druck auf ÖVP und FPÖ zu verstärken: Und so forderte sie zum Auftakt des Gedankenjahres in einer Medienaussendung am 12. Jänner 2005 einmal mehr die entsprechende Reform des OFG ein. In den nächsten sechs Monaten sollte es noch rund ein Dutzend weiterer Medienaussendungen in dieser Sache geben, etwa am 27. Jänner, als HOSI-Wien-Obmann CHRISTIAN HÖGL der Bundesregierung ein Ultimatum für besagte Novellierung des OFG setzte: „Wir räumen der Bundesregierung eine letzte Frist bis Ende Februar 2005 ein.“ (Vgl. LN 2/2005, S. 10 ff)

Weiters drohte die HOSI Wien, die verkappte Homosexualität Jörg Haiders medial (wieder) zum Thema zu machen, sollte die schwarz-blaue Bundesregierung 60 Jahre nach Ende der Nazi-Diktatur die homosexuellen NS-Opfer nicht endlich ins Opferfürsorgegesetz aufnehmen, was in der Tat funktionieren sollte, wie ich in meinem Beitrag in den LN 4/2005 schildere.

Und am 8. März erstattete die HOSI Wien schließlich bei der Staatsanwaltschaft Wien Anzeige gegen alle 79 ÖVP-Abgeordneten wegen Verdachts des Verstoßes gegen das NS-Verbotsgesetz: „Durch ihre Ablehnung legen die ÖVP-Abgeordneten eine Haltung an den Tag, mit der sie nationalsozialistische Verbrechen gegen die Menschlichkeit, nämlich die Inhaftierung von rund 15.000 homosexuellen Menschen in Konzentrationslagern, von denen rund 10.000 ermordet wurden, nicht nur gröblich verharmlosen, sondern auch gutheißen und folglich zu rechtfertigen versuchen.“ (Vgl. Aussendung der HOSI Wien bzw. LN 3/2005)

Darüber hinaus bekam die HOSI Wien noch unerwartete „Schützenhilfe“ durch die Klagen des ÖVP-Abgeordneten Walter Tancsits, der sich durch eine Aussage in einer der erwähnten Medienaussendungen beleidigt und in seiner Ehre gekränkt fühlte. Diesen Klagen widme ich eine eigene Sektion auf diesem Website, denn sie stellten nicht nur einen unerhörten, selbst für ÖVP- und FPÖ-Verhältnisse unfassbar krassen Anschlag auf die Meinungsfreiheit, sondern für mich persönlich auch den widerlichsten Einschüchterungsversuch dar, dem ich in meiner 40-jährigen bewegungspolitischen Laufbahn ausgesetzt war – fast so schlimm (und potentiell ruinös) wie die Klagen der vier österreichischen Bischöfe nach dem Outing durch mich am 1. August 1995. Ich empfehle die Lektüre der Website-Abteilung über die Tancsits-Klagen – dann wird man vermutlich auch besser verstehen, warum ich die ÖVP so verachte.

Es gab zudem kleinere und größere Aktionen. Zweimal wurden in jenem Frühjahr etwa die im Rahmen der erwähnten „25 Peaces“-Projekte aufgestellten „Ummauerungen“ der Reiterdenkmäler auf dem Heldenplatz in Wien dafür genutzt, Plakate gegen ÖVP und FPÖ zu affichieren (siehe Abbildung).

Bei der Befreiungsfeier im ehemaligen KZ Mauthausen am 8. Mai, die aufgrund des runden Jubiläums besonders bedeutsam und gut besucht war, protestierten HOSI-Wien-Vertreter mit einem riesigen Transparent, das sie medienwirksam vor der anwesenden Polit-Prominenz und den Kameras des ORF, der die Veranstaltung live übertrug, aufpflanzten.

Dass die Regierungsparteien ÖVP und FPÖ dann vier Tage später, am 12. Mai, einen Initiativantrag im Parlament einbrachten, um „sexuelle Orientierung“ als Verfolgungsgrund ins OFG aufzunehmen, war dann eine große Überraschung. Der Antrag wurde am 7. Juli 2005 vom Nationalrat beschlossen. Damit fand eine jahrzehntelange Saga schließlich ein Ende. „Der Wermutstropfen dabei ist natürlich, dass die zynische Rechnung der Regierenden, die Sache möglichst so lange hinauszuzögern, bis keine Betroffenen mehr leben, voll aufgegangen war“, wie ich es in meinen Bericht in den LN 4/2005 formulierte, in dem ich die Entwicklungen dieser Saga im ersten Halbjahr 2005 zusammenfasste.

 

Eröffnung des neuen Besucherzentrums der KZ-Gedenkstätte Mauthausen im Rahmen der alljährlichen Befreiungsfeier am 11. Mai 2003: HOSI-Wien-AktivistInnen sorgten dafür, dass sich ihr Transparent immer im Blickfeld der ÖVP-Granden befand. Redner Andreas Khol wurde bei dieser Gelegenheit (von mir) unüberhörbar ausgebuht.

Am 14. Jänner 2005 fand im Parlament die offizielle Auftaktveranstaltung zum sogenannten „Gedankenjahr 2005“ statt. Auftakt für die HOSI Wien, in Sachen Rehabilitierung und Entschädigung der homosexuellen NS-Opfer eine härtere Gangart einzuschlagen.

Zweimal wurden im Frühjahr 2005 die „Ummauerungen“ der Reiterdenkmäler auf dem Heldenplatz von mir zweckentfremdet, um gegen ÖVP und FPÖ zu plakatieren. Diese Ummauerungen wurden im Rahmen der vielkritisierten Aktion „25 Peaces" aufgestellt, die im „Gedankenjahr 2005“ unter der Ägide der schwarz-blauen Regierung initiiert wurde.

Hier affichiere ich gemeinsam mit PHILIPP WAGNER, mittlerweile WAGNER-NGUYEN.

Protest bei der 60-Jahr-Befreiungsfeier in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen am 8. Mai 2005. Vier Tage später bringt die blau-schwarze Regierung völlig überraschend einen Initiativantrag im Parlament ein, der die Berücksichtigung der homosexuellen NS-Opfer im Opferfürsorgegesetz vorsieht.

Die schwedische Aktivistin ULRIKA WESTERLUND nahm an der Befreiungsfeier am 5. Mai 2005 teil und nutzte diese prominent als Aufhänger in ihrem Fotobeitrag über den Kampf um Rehabilitierung der NS-Opfer in Österreich („Ihjälslagna, ihjältigna – kampen för upprättelse för fångarna med den rosa triangeln“), der in der Anthologie „Der Preis der Liebe" („Kärlekens pris – en antologi om homofobi och heteronormativitet“) erschien. Das obige Foto stammt aus dem Beitrag.

Buchcover der von Manu Seppänen Sterky herausgegebenen Anthologie „Kärlekens pris – en antologi om homofobi och heteronormativitet“, Verlag Atlas, Stockholm 2005