Die Ratten kriechen wieder aus ihren Löchern
Seit die ÖVP nach jahrelanger Wischi-Waschi-Haltung unter Erhard Busek in den letzten Monaten gezwungen wurde, in Lesben- und Schwulenfragen endlich Farbe zu bekennen, und sich die Partei entschlossen hat, verbissen auf steinzeitlichen Anti-Homo-Kurs zu gehen, haben allerlei homophobe Lemuren wieder Morgenluft gewittert und sind aus ihren Löchern gekrochen. Plötzlich glaubt man sich wieder in die Anfangszeiten der Bewegung zurückversetzt und denkt sich mit Staunen: Das war doch schon einmal besser! Das ist doch ein Rückfall ins Mittelalter!
Die ÖVP unter Schüssel, Khol und Kukacka hat mit ihrem anti-homosexuellen Kurs nicht nur die längst überfällige Streichung der drei Paragraphen verhindert, sondern ein auch in Österreich für überwunden gehaltenes Klima wieder neu aufbereitet, in dem die Ewiggestrigen und ach so Gottgläubigen sich mit ihrem Gefasel von der „Natur“ und ihren Haßreden gegen Lesben und Schwule allerorten wieder laut und vehement zu Wort melden getrauen. Wir erleben gerade einen gesellschaftlichen Rückfall, der das in den letzten fünfzehn Jahren von der Bewegung Erkämpfte und Erreichte wieder zunichte zu machen droht.
Appell an niedrige Instinkte
Die etwas älteren unter uns erinnern sich wohl, daß die Stimmung und das Klima im Jahrzehnt (ca.) 1983–93 schon besser waren. Natürlich gab es immer wieder homophobe Zwischenfälle, aber der reaktionäre Bodensatz hat sich bedeckt gehalten, weil es von keiner politischen Strömung motiviert wurde, öffentlich gegen Lesben und Schwulen zu hetzen. Heute würde man sagen, homophobe Äußerungen sind als „politisch nicht korrekt“ empfunden worden.
Dank des neuen ÖVP-Kurses hat sich das geändert. Der ÖVP muß man vorwerfen, daß sie – offenbar im Wetteifer mit den Freiheitlichen – wieder an die niedrigsten Triebe im Menschen appelliert statt an das Gute und an die Solidarität. Und wohin das führt, wissen wir aus der Geschichte.
Gewisse Zeitgenossen haben ihre Hemmungen auch bereits abgelegt: Da geht ein Bischof Laun mit haarsträubenden Aussagen über die „Sünde“ der Kondomverwendung öffentlich hausieren, ohne daß er zum Teufel gejagt wird. Derselbe klagt Hermes Phettberg wegen Religionsstörung („Herabwürdigung religiöser Lehren“ = § 188 StGB), aber nicht etwa wegen Phettbergs Predigten im Falter, die – wenn man den Tatbestand wirklich ernst nehmen will – in der Tat hochgradig blasphemisch sind (ich wundere mich schon lange, daß Phettberg dafür noch nie wegen Gotteslästerung angezeigt wurde!), sondern weil er im Bischofs-Kostüm für sein Buch Phettbergs Predigtdienst wirbt. Da die Kirche die inhaltliche Auseinandersetzung scheut, verlegt sie ihre Angriffe auf einen Nebenschauplatz. Oder ist es nur ein Tuntenstreit darüber, wer den schönsten Fummel hat bzw. wer überhaupt berechtigt ist, ihn zu tragen?
Und der Dornbirner Bürgermeister Sohm weigert sich, die städtische Veranstaltungshalle an das Österreichische Lesben- und Schwulenforum für seinen Jahreskongreß zu vermieten. Okay, Laun und Sohm sind Wiederholungstäter, aber ihre anti-homosexuelle Dreistigkeit hat gegenüber früher, offenbar angespornt durch die neue politische Rückendeckung durch die ÖVP, noch zugenommen. Und Sohm hat mit seiner Ablehnung ebenfalls eine Menge Ratten dazu motiviert, aus ihren Löchern zu kriechen. Was da so manche LeserbriefschreiberInnen in den Vorarlberger Zeitungen an homophober Kotze abgesondert haben, ist erschütternd. An ihnen ist das bald schon wieder zu Ende gehende 20. Jahrhundert offenkundig spurlos vorübergegangen.
Bei Sohm kommt noch erschwerend hinzu, daß er die alte Gleichung Homosexualität = AIDS wieder neubelebt hat. Als Hauptgrund für seine Entscheidung gab er ja bekanntlich an, in Zeiten von AIDS wolle er es nicht verantworten, daß die Hauptrisikogruppe für AIDS eine derartig große Zusammenkunft in seiner Stadt abhält. Er unterminiert mit solchen Aussagen nicht nur die mühsame jahrelange AIDS-Präventions-Aufbauarbeit, sondern verstärkt unterschwellig Vorurteile. Außerdem muß man aus dieser Aussage zwingend schließen: Sohm möchte keine HIV-Positiven und AIDS-Kranken in seiner Stadt, denn solche müßten ja nach Dornbirn kommen, damit tatsächlich die Möglichkeit von neuen Ansteckungen bestehen könnte.
Boykott Vorarlbergs
Bezeichnend in der ganzen Angelegenheit ist auch, daß Sohm ÖVP-intern nicht nur nicht zur Ordnung gerufen wurde, sondern sich auch kein/e einzige/r ÖVP-Politiker/in – weder auf Vorarlberger Landes- und schon gar nicht auf Bundesebene – gefunden hat, der/dem auch nur ein Wort der Kritik an Sohm über die Lippen gekommen wäre. Und dieselben ÖVP-PolitikerInnen, die Sohms Diskriminierung von HIV-Positiven und AIDS-Kranken tolerieren, tauchen dann am AIDS-Life-Ball auf und heucheln Solidarität mit den Betroffenen – auf einem Ball, der in dieser Form vom ÖVP-Bürgermeister von Dornbirn niemals gestattet würde, weil ja daran mehr Lesben, Schwule und HIV-Positive teilnehmen als am österreichweiten Forum!
In der Karwoche, also wenn diese LN gerade in Druck sind, wird die HOSI Wien eine Pressekonferenz in Wien abhalten, um einen Boykott gegen Vorarlberger Waren zu propagieren. Wir Lesben und Schwule sind auch eine wirtschaftliche Macht (siehe auch unseren Beitrag Homo-Markt auf S. 54), die wir im politischen Kampf um unsere Rechte auch einsetzen sollten. Wenn Lesben, Schwule und HIV-Positive in Dornbirn keine öffentlichen Räume anmieten dürfen, dann ist es nur konsequent, legitim und auch eine Frage der Selbstachtung, Vorarlberger Produkte zu boykottieren. Das ist sicherlich keine Ungerechtigkeit gegen die Bevölkerung, denn natürlich kann sie etwas „dafür“, wenn sie solche Leute zum Bürgermeister wählt und ihm dann auch noch die Stange hält, statt ihn mit nassen Fetzen aus dem Rathaus zu jagen. Und wer unbedingt nach Vorarlberg auf Urlaub fahren will, der kann ja nach Bludenz gehen, dessen Gemeinderat ja eine Resolution für mehr Toleranz für Homosexuelle verabschiedet hat!
Life-Ball muß ÖVP-frei sein!
In dieser Pressekonferenz wird die HOSI Wien auch die Life-Ball-OrganisatorInnen auffordern, die offiziell eingeladenen ÖVP-PolitikerInnen (u. a. alle Mitglieder der Bundesregierung) wieder auszuladen und überhaupt die ÖVP-PolitikerInnen zu am Life-Ball unerwünschten Personen zu erklären, solange sie ihren ÖVP-Kollegen in Dornbirn nicht zur Räson gebracht haben. Wenn ein ÖVP-Politiker HIV-Positive und AIDS-Kranke zu unerwünschten Personen in seiner Stadt erklärt, dann kann man wohl keine PolitikerInnen derselben Partei auf einem Solidaritätsfest für HIV-Positive und AIDS-Kranke willkommen heißen. Das wäre eine widerliche Vergewaltigung der Betroffenen. Da kann auch ein politisch naiver GERY KESZLER nichts mehr beschönigen. Denn um dies zu erkennen, bedarf es keines besonderen politischen Bewußtseins, sondern ganz trivial des Anstands, echter Solidarität und eines festen Rückgrats. Es muß auch Grenzen dafür geben, wieweit man sich für den eigenen Erfolg und auch für die Millioneneinnahmen auf Kosten der Betroffenen prostituiert.
Kurts Kommentar LN 2/1996
Nachträgliche Anmerkungen
Über die Affäre Sohm berichteten die LN ausführlich in den Ausgaben 2/1996, S. 10 ff, sowie 3/1996, S. 34 f. Bürgermeister Rudolf Sohm war insofern Wiederholungstäter, als er 1989 den von der HOSI Vorarlberg im Dornbirner Spielboden geplanten Fummelball untersagte. Stattdessen fand dann eine Solidaritätsveranstaltung mit Vorarlberger KünstlerInnen statt. Sohms Versuch, die Vorarlberger Landesregierung daraufhin zur Streichung der Subventionen für den Spielboden zu bewegen, scheiterte jedoch (vgl. LN 2/1989, S 15 ff).
Sohms peinlicher Widerstand gegen den 6. Jahreskongress des Österreichischen Lesben- und Schwulenforums (ÖLSF) war – wie immer in solchen Fällen – die beste (unbezahlbare!) PR für die Sache. Das Forum fand schließlich wie geplant in Dornbirn statt, und zwar vom 1. bis 3. November 1996 im schicken und extrem gastfreundlichen Hotel Martinspark und wurde – nicht zuletzt dank des engagierten Einsatzes von ÖLSF-Vorsitzendem CHRISTIAN MICHELIDES – ein großer Erfolg (vgl. LN 1/1997, S. 38 f).
Leider konnte sich Gery Keszler nicht dazu aufraffen, die zum Life Ball am 11. Mai eingeladenen ÖVP-PolitikerInnen wieder auszuladen, wiewohl der Druck der Lesben- und Schwulenbewegung immer größer wurde: Am 20. April 1996 etwa hatte der Bundesländerrat des ÖLSF einen Antrag angenommen, mit dem alle Veranstalter von Benefizveranstaltungen zugunsten HIV- und AIDS-Betroffener aufgefordert wurden, VertreterInnen der ÖVP keine offiziellen bzw. Ehrenschutz-Funktionen anzubieten. Und auch die HOSI Wien verabschiedete eine entsprechende Resolution auf ihrer 17. ordentlichen Generalversammlung am 21. April 1996 (vgl. LN 3/1996, S. 22 f). ACT UP Wien protestierte am Tag des Life Ball vor dem Rathaus.
Ein Jahr später probierte es die HOSI Wien mit einem Appell direkt an ÖVP- und FPÖ-PolitikerInnen, den Life Ball nicht durch ihre Anwesenheit zu schänden. Ob sie sich daran gehalten haben, ist nicht überliefert. In der Medienberichterstattung kamen jedenfalls keine vor.
Aus den Jahren 1998 und 1999 sind keine Aktionen überliefert.
Als die schwarz-blaue Regierung 2000 antrat, kam es bei Gery Keszler zu einem Umdenken. In diesem Jahr erklärte er die Regierungsmitglieder zu unerwünschten Personen auf dem Life Ball (vgl. LN 3/2000, S. 13 f). Die HOSI Wien begrüßte den Schritt in einer Presseaussendung.
2001 war Schwarz-Blau ebenfalls offiziell unerwünscht. Die HOSI Wien gratulierte Gery Keszler zu seiner konsequenten Haltung in einer Presseaussendung am 15. Juni. Allein FPÖ-Finanzminister Karl-Heinz Grasser hielt sich nicht daran, vgl. Zeitreise-Eintrag für den 16. Juni.
Zum 10. Life Ball am 17. Mai 2002 gratulierte die HOSI Wien in einer Medienaussendung wieder Ball-Vater Gery Keszler zu seiner konsequenten Haltung, keine PolitikerInnen von ÖVP und FPÖ zu diesem Fest gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und das „soziale AIDS“ offiziell einzuladen. Ich berichtete darin über meine Begegnung mit FPÖ-Finanzminister Karl-Heinz Grasser im Vorjahr, die mir die Freude am Event total vergällte, und verlieh meiner Hoffnung Ausdruck, dass mir diesmal unerfreuliche Zusammentreffen mit Heuchlern wie ihm erspart blieben. Grasser war zwar wieder auf dem Ball, lief mir aber erfreulicherweise nicht über den Weg. Grassers Pressesprecher rief mich später an, um mir mitzuteilen, dass es ungerecht sei, Grasser anzugreifen, er trete doch gegen Diskriminierung ein. Darauf musste ich ihm erklären, dass Grasser ein Vertreter der FPÖ ist und damit wohl deren Politik mitvertrete. Wenn er sich damit nicht identifizieren könne, sei er wohl in der falschen Partei und sollte sie wechseln. Solange er das aber nicht tue bzw. sich nicht mindestens innerhalb der FPÖ für die Gleichstellung von Lesben und Schwulen vehement einsetze, sei seine Teilnahme am Life Ball jedenfalls ungefähr so solidarisch und glaubwürdig wie die Teilnahme eines Mitglieds einer Militärjunta an einem Benefizfest für die Folteropfer dieser Junta, das sich damit rechtfertigt, selbst ja niemand persönlich gefoltert zu haben. Das leuchtete dem Pressesprecher nach einer Schreck- und Nachdenksekunde zwar ein, das Gespräch war dann aber bald zu Ende… (vgl. auch Bericht in den LN 3/2002, LN special, S. XIII).
Ich wurde damals (21. Mai) in Sachen Life-Ball-Quarantäne über FPÖVP auch in ausländischen Medienberichten über den Ball zitiert, etwa in der französischen Libération, in der Tribune de Genève, in La libre Belgique und im Luxemburger Tageblatt zitiert.