„Junge ÖVP“ von Regenbogenparade verbannt
Grenzenlose Präpotenz ist nicht nur das Markenzeichen von Sebastian Kurz, die Äpfel fallen bei den Türkisen offensichtlich nicht weit vom Stamm. Denn was ist es anderes als pure Arroganz, wenn die überheblichen Schnösel der „Jungen ÖVP“ – wurscht, ob schwul oder nicht – sich ernsthaft einbilden, sie könnten die Regenbogenparade – als größte Demo und sicherlich eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Veranstaltungen des Landes – dazu benützen, ihr Image aufzumöbeln? Und dabei einfach ignorieren, dass es die ÖVP war, die in den letzten 40 Jahren durch ihren erbitterten und hinhaltenden Widerstand die Durchsetzung von Gleichberechtigung und vollen Menschenrechten für Lesben und Schwule sabotiert und massiv verzögert hat.
Der Kampf der österreichischen Lesben- und Schwulenbewegung für die Abschaffung der diskriminierenden Strafrechtsparagrafen, für Antidiskriminierungsbestimmungen, für die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und für die Berücksichtigung der homosexuellen NS-Opfer im Opferfürsorgegesetz war ein sehr harter und vor allem äußerst langwieriger. Für die Durchsetzung jeder einzelnen dieser vier Forderungen hat es jeweils über 20 Jahre harter Lobbying-Arbeit bedurft. Dass es nicht schneller ging, lag einzig und allein an der ÖVP, denn sie trägt immerhin seit 33 Jahren (1986) Regierungsverantwortung. Das diesbezügliche Sündenregister der ÖVP ist enorm und elendslang – ich habe es ja hier auf meiner Website minutiös und detailliert zusammengestellt – und reicht bis in die jüngste Zeit:
2015 trat der damalige ÖVP-Abgeordnete Marcus Franz, der Homosexualität als „amoralisch“ und „genetische Anomalie“ bezeichnet hat (vgl. meinen LN-Kommentar 5/2013), gemeinsam mit der FPÖ-Politikerin Ursula Stenzel (früher ÖVP) als Redner bei der Demo gegen die Parade auf (vgl. „nachträgliche Anmerkungen“ zu meinem LN-Kommentar 2/2017). Gernot Blümel beendete 2016 als Wiener Landesparteiobmann die bis dahin gängige ÖVP-Praxis, im Wiener Gemeinderat die jährliche Basisförderung an die HOSI Wien (ohnehin ein eher symbolischer Betrag von € 21.000) zu unterstützen – unter seiner Führung stimmte die ÖVP dagegen. Und noch im Vorjahr versuchte sie gemeinsam mit der FPÖ, das VfGH-Urteil zur Öffnung der Ehe durch ein Verfassungsgesetz zu unterlaufen, scheiterte aber, weil sie mit der FPÖ allein über keine Verfassungsmehrheit verfügte.
Man muss der Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien daher zu ihrer Entscheidung gratulieren, der Jungen ÖVP die Teilnahme an der diesjährigen Regenbogenparade zu verwehren. Und falls jetzt der Einwand kommt, man könne doch niemanden ausgrenzen bei einer Veranstaltung wie der Parade, da mache man sich doch selber unglaubwürdig, so muss ich vehement widersprechen: Natürlich kann, ja muss man! Eine diskriminierte Minderheit darf ihre ärgsten Widersacher und Unterdrücker selbstverständlich von ihren Veranstaltungen ausschließen; ja sie muss es im konkreten Fall tun, damit sie die Opfer der ÖVP-Politik, die mitunter jahrelang im Gefängnis sitzen mussten, nicht ein zweitens Mal zu Opfern macht.
Falls sich bei der ÖVP tatsächlich eine echte Haltungsänderung breitmacht und sie vertrauensbildende Maßnahmen gegenüber Lesben und Schwulen setzt, wird man sich von homosexueller Seite einer Aussöhnung nicht verschließen. Aber zuerst müssen diese Maßnahmen und Taten überzeugend und glaubwürdig erfolgen, denn es gibt auf diesem Gebiet viel Vergangenheit zu bewältigen. Bisher gab es jedenfalls kein einziges Wort der Reue oder des Bedauerns seitens der ÖVP.
Notwendige Vorleistungen durch die ÖVP für eine solche Versöhnung und „Heilung“ ihres Verhältnisses zu Lesben und Schwulen sind naheliegend und finden sich übrigens auch im Forderungsprogramm der HOSI Wien. Sie verlangt etwa eine Entschuldigung durch das Parlament (der deutsche Bundestag verabschiedete eine solche bereits 2000) und eine Rehabilitierung der Opfer, und zwar konkret eine Entschließung des Nationalrats, in der dieser sich zu seiner Verantwortung für die jahrzehntelange menschenrechtswidrige Unterdrückung und strafrechtliche Verfolgung von Lesben und Schwulen in Österreich (gemäß § 129 I b StG bis 1971, gemäß §§ 209, 210, 220 und 221 StGB danach) bekennt; sich für das homosexuellen Frauen und Männern dadurch zugefügte Unrecht und Leid entschuldigt; alle Opfer dieser Gesetzgebung rehabilitiert und entschädigt – sofern es sich im Einzelfall um keine Straftatbestände handelte, die auch heute strafbar wären.
Eine solche Entschädigung soll insbesondere die beitragsfreie Anrechnung der Haftzeiten als Ersatzzeit auf die Pensionsversicherungszeit, die entsprechend verzinste Rückzahlung verhängter Geldstrafen sowie die pauschale Abgeltung für allfällige Anwalts- und Gerichtskosten sowie für jedes Haftmonat umfassen.
Auch eine offizielle Entschuldigung als Partei stünde der ÖVP gut an. Ein weiteres Zeichen ihres Gesinnungswandels könnte die Angleichung des Diskriminierungsschutzes im Gleichbehandlungsrecht sein.
Wenn die ÖVP durch solche konkreten Taten ihre Haltungsänderung unter Beweis gestellt hat, kann man über eine zukünftige Teilnahme der Jungen ÖVP an der Regenbogenparade reden – aber es kann wohl keine Vergebung und Versöhnung geben, bevor die ÖVP nicht öffentlich und glaubwürdig Abbitte geleistet und um Verzeihung gebeten hat für ihre Taten, durch die sie in der Vergangenheit so viel unermessliches Leid über so viele Menschen gebracht hat.
Anmerkung: Eine leicht gekürzte Fassung dieses Beitrags erschien auch in der Printausgabe des Standards vom 11. Juni 2019. Siehe auch hier.