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Wien-Wahl: Türkise Jungschwule auf verlorenem Posten

Veröffentlicht am 30. September 2020

Der Wiener Wahlkampf läuft für die Türkisen alles andere als optimal. Sicherlich wird die ÖVP dazugewinnen, immerhin sind die 20 Prozent Wählerstimmen auf dem Markt, die die FPÖ verlieren wird. Und wenn man, wie die ÖVP, von mickrigen (für Lesben und Schwule gerade noch erträglichen) neun Prozent startet, wäre alles andere als ein Zugewinn ein Wunder. Wien ist ein schwieriges Pflaster für die Türkisen – das mussten auch die schwulen Jung-ÖVPler zur Kenntnis nehmen.

Wie Robert Menasse – und sicherlich viele andere – habe auch ich mich gefragt, was die Wiener ÖVP eigentlich konkret mit ihrem nicht gerade zündenden Wahl-Slogan „Es gibt kaum Wichtigeres für Österreich, als Wien wieder weiter nach vorne zu bringen“ meint. Menasse hat den Versuch unternommen, sich einen Reim darauf zu machen, und auf der Facebook-Seite des ÖVP-Wien-Spitzenkandidaten Gernot Blümel seine diesbezüglichen Vermutungen gepostet. Diese wurden schließlich einem breiten Publikum bekannt, weil die ÖVP Wien das Posting sofort wieder löschte. Da ist der türkisen PR-Dampfwalze offenkundig ein ziemlich ungeschickter und überraschend unprofessioneller Schnitzer passiert. (vgl. z. B. der Standard vom 28. 9. 2020).

Aus schwul/lesbischer Sicht klingt dieser türkise Slogan ebenfalls eher wie eine gefährliche Drohung, auf jeden Fall ist er eine dreiste Chuzpe, denn die ÖVP steht wie keine andere Partei für Stillstand und gesellschaftspolitische Fortschrittsverweigerung. Oder die ÖVP verwendet einen eigenen Kompass, auf dem „vorne“ die Richtung ins Mittelalter anzeigt. Bekanntlich hat sich die ÖVP in den letzten vierzig Jahren vehement gegen sämtliche Reformen im LSBT-Bereich gestemmt und mit allen Mitteln sabotiert – sieht man von der Zustimmung zur eingetragenen Partnerschaft 2009 ab – das war die einzige Ausnahme von dieser ehernen Regel. Auf dieser Website beschäftigt sich gefühlt jeder zweite Beitrag mit diesem Thema, nicht zuletzt tun dies meine regelmäßigen LN-Kolumnen zur Innenpolitik (Übersicht hier) oder mein Blog-Beitrag vom 7. Juni 2020.

Die Gefahr, dass die ÖVP in Zukunft in Wien eine bedeutsame politische Rolle spielen könnte, ist aber ohnehin ziemlich gering. Daher muss man keinen weiteren Gedanken an mögliche Absichten hinter diesem Slogan verschwenden. Da lohnt es sich schon eher, einen Blick auf die schwulen Jung-ÖVPler zu werfen, die sich bei der von der HOSI Wien am 14. September im Gugg veranstalteten Podiumsdiskussion zur Wien-Wahl aus dem Publikum meldeten und sich bitter darüber beschwerten, dass sie in der LSBT-Bewegung auf Ablehnung stoßen, niemand ihnen die Hand reiche und sie als Verbündete ernst nehme (nachzuhören ungefähr ab 2h00 in der Videoaufzeichnung der Diskussion hier). Weinerlich beklagten sie sich darüber, dass der offen schwule ÖVP-Nationalratsabgeordnete Nico Marchetti eine Woche zuvor auf der Demo „Dem Hass kein Platz“ ausgebuht worden war.

 

Opfer-Täter-Umkehr

Wobei es für mich völlig unverständlich und nicht nachvollziehbar ist, dass man sich als Schwuler in der ÖVP engagiert. Auch nicht als junger Schwuler, der nicht – wie ich – 40 Jahre lang unter der ÖVP-Politik massiv gelitten hat. Noch dazu, wo sich an der Haltung der ÖVP auch in jüngster Zeit, seit die Partei türkis eingefärbt und Sebastian Kurz Obmann ist, nicht wirklich etwas Grundsätzliches geändert hat. Aber natürlich nehme ich zur Kenntnis – muss ich wohl –, dass es dieses Phänomen gibt – so wie es ja auch Juden gibt, die sich in der FPÖ engagieren.

Auch wenn ich es nicht „verstehe“ im Sinne von „begreifen“, kann ich mir dieses Phänomen natürlich erklären. Für mich ist ein schwules Engagement in der ÖVP einerseits Ausdruck internalisierter Homophobie, eine Art masochistische Selbstbestrafung, weil man offenbar für die eigene Homosexualität unbewusst doch noch eine Art Bestrafung sucht. Andererseits ist da noch der ganz profane Opportunismus: Die Junge ÖVP ist derzeit die wichtigste Karriere-Seilschaft des Landes. Wer heute in Österreich Karriere machen will und/oder eine wichtige Funktion und Position an den Schalthebeln der Macht anstrebt, muss ganz einfach dort andocken. Und da verdrängt man halt wohl als junger Schwuler allzu gerne die Unterdrückungsgeschichte der ÖVP. Denn aus einer eher konservativen „politischen Überzeugung“ heraus könnte man ja genauso gut bei den Grünen oder den NEOS andocken. Aber andererseits ist der von herkömmlicher Ideologie befreite Opportunismus inzwischen zum Markenzeichen der türkisen Kurz-ÖVP geworden und damit eine Einladung an alle Opportunisten ohne echte politische Überzeugung. Ich hatte Kurz übrigens schon 2017 in einem LN-Kommentar als GRÖOAZ, als größten Opportunisten aller Zeiten, bezeichnet.

Der Politikertypus des opportunistischen Karrieristen ist indes keine ÖVP-Erfindung. Wir Ältere erinnern uns: Die FPÖ unter Jörg Haider war bereits davon geprägt. Hans Rauscher bezeichnete sie seinerzeit im Standard (6. 2. 2010) bagatellisierend als „Generation Schnösel“, während André Heller sie damals hingegen weitaus zutreffender „seelenhygienisch heruntergekommene Politemporkömmlinge“ nannte (vgl. meinen Que(e)rschuss in den LN 1/2010). Die ÖVP ist aber nicht nur in diesem Bereich total verhaidert, wie man an der Riege der ÖVP-MinisterInnen sieht („eine unbedarfter als die andere“ © Elisabeth Orth) – Kompetenz spielt überhaupt keine Rolle mehr, wichtig ist bloß, ausgewählter Jünger des Parteiführers zu sein.

Die ÖVP nimmt immer mehr Anleihen bei der FPÖ, nicht nur inhaltliche und programmatische, sondern auch im Kommunikationsstil. Systematisch wird jeder echte Diskurs durch „paradoxe Interventionen“ zwecks Ablenkung vom eigentlichen Thema und durch haltloses Anpatzen des Gegenübers zerstört – bei gleichzeitiger Täter-Opfer-Umkehr. Auch das hat Jörg Haider erfunden und zur Perfektion gebracht. Kurz und die ÖVP haben sich das schon im Nationalratswahlkampf 2017 erfolgreich angeeignet (Stichwort: Silberstein, vgl. meinen Que(e)rschuss in den LN 5/2017). Heute gehört diese Methode zum Standard-Repertoire der ÖVP, mit der sie ihr unliebsame inhaltliche Debatten einfach abzudrehen versucht. Bestes Beispiel dafür ist der eingangs erwähnte Facebook-Kommentar Menasses, dessen Löschung Blümel in der ORF-Pressestunde am 27. September damit rechtfertigte, dass NS-Gedankengut grundsätzlich gelöscht werde. Blümel gerierte sich und die ÖVP einmal mehr als arme Opfer und verfolgte Unschuld und unterstellte Menasse, NS-Gedankengut gegen sie in Stellung gebracht zu haben. Dabei hatte Menasse bloß mit Hinblick auf besagten ÖVP-Wahlslogan harmlos nachgefragt: „Meinen Sie Zeit VOR dem roten Wien, als die Stadt einen antisemitischen Bürgermeister hatte, von dem Hitler lernte?“. Das soll NS-Gedankengut sein – eine kritische Frage an die ÖVP?

 

„Die Community vergisst nicht“

Bei der erwähnten Wahldiskussion im Gugg kamen die ÖVP-Jungschwulen mit dieser wehleidigen haideresken Nummer indes nicht durch (Haider jammerte ja auch ständig, er und die FPÖ würden von allen ausgegrenzt, niemand wolle mit ihnen koalieren etc.) – da müssen sie noch üben! Nationalratsabgeordneter YANNICK SHETTY, der als Vertreter der NEOS am Podium saß, wies das wehleidige Klagen und die versuchte Täter-Opfer-Umkehr entschieden zurück. Und SPÖ-Vertreterin CARINA KÖPF brachte es kurz und prägnant auf den Punkt: „Die Community vergisst nicht.“ Ein wesentlicher Grund, warum ich mir die viele Arbeit mit diesem Website antue, ist im übrigen genau dieser: die Geschichte der politischen LSBT-Bewegung aufzuschreiben und aufzubereiten, damit diese Geschichte nicht in Vergessenheit gerät.

Aber eines frage ich mich schon ernsthaft: Was erwarten die offen Schwulen aus der Jungen ÖVP eigentlich? Soll die LSBT-Bewegung die ÖVP nicht mehr kritisieren oder darauf verzichten, dass die ÖVP endlich liefert – bloß, weil ein paar offen Schwule und Lesben in der Jungen ÖVP – quasi als Neben- bzw. Abfallprodukt ihrer eigenen persönlichen Karriereplanung – jetzt das schwul/lesbische Feigenblatt für die Partei abgeben möchten? Ein bisschen regenbogenfarbige Deko zur Behübschung der türkisen Scheiße ist jedoch definitiv zu wenig, weil bloß Augenauswischerei und Frotzelei. Dabei war die Botschaft im Vorjahr, als die Junge ÖVP an der Regenbogenparade teilnehmen wollte und nicht zugelassen wurde, doch deutlich und klar: Ohne Vorleistungen durch die ÖVP wird das nichts (vgl. meinen Beitrag vom 11. Juni 2019)!

Seit Kurz‘ Machtübernahme in der ÖVP sind ja mittlerweile drei Jahre vergangen – Zeit genug, um wenigstens ein oder zwei LSBT-Forderungen umzusetzen, etwa das Levelling-up im Gleichbehandlungsrecht (vgl. zuletzt meinen Blog-Beitrag vom 17. Mai 2020) oder die offizielle Entschuldigung bei den Opfern der strafrechtlichen Verfolgung von Lesben und Schwulen nach 1945 samt ihre Entschädigung. Dadurch würde der ÖVP doch kein großer Stein aus der Krone fallen. Bis dahin mein dringender Appell an die schwule Kurz-Verehrertruppe: Verschont uns mit eurem wehleidigen Opferpathos, stellt einfach erst einmal unter Beweis, dass euer Engagement in der ÖVP wirklich Sinn und Resultate ergibt, bevor ihr uns mit euren Klagen über mangelnden Respekt weiter nervt.

Die Wiener SPÖ wird die Wahl wohl verdient und unangefochten gewinnen. Eigentlich wollte ich diesen Umstand nützen, endlich einmal wieder gemäß meiner tatsächlichen politischen Einstellung meine Stimme abzugeben und LINKS zu wählen – und nicht wie so oft in der Vergangenheit aus strategischen Gründen das kleinere Übel, um Schlimmeres zu verhindern, was eben diesmal wegfällt. Aber dann besuchte ich dummerweise die Homepage von LINKS und musste feststellen, dass auch sie den lächerlichen Genderstern-Unsinn mitmachen (und dabei auch noch peinliche Anfängerfehler machen und gegenderte Formen verwenden, bei denen die männliche Form unter den Tisch fällt). Also nein! Zum Thema Gendern gibt’s hier auf meiner Website übrigens eine eigene Abteilung. Grün kommt für mich selbstverständlich nicht mehr in Frage, wohl für länger nicht. Wer sich dermaßen rückgratlos dieser grindigen, räudigen, total verhaiderten ÖVP unterwirft, ist einfach unwählbar. Also bekommen Michael Ludwig und die SPÖ diesmal meine Stimme.