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Wiener Mahnmal für die homosexuellen NS-Opfer

LOSE SERIE: AUS DEM ARCHIV

Veröffentlicht am 29. Juni 2020

Der Plan, ein Mahnmal in Wien für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus zu errichten, ist 17 Jahre alt und geht auf das „Wiener Paket gegen Homophobie“ zurück, das die Wiener Grünen geschnürt hatten und am 3. November 2003 von der grünen Stadträtin Maria Vassilakou gemeinsam mit dem Historiker HANNES SULZENBACHER auf einer Pressekonferenz im Café Berg vorgestellt wurde (vgl. LN 1/2004, S. 11 f).

Die SPÖ und SP-Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny waren anfangs wenig begeistert. Der entsprechende Antrag der Grünen wurde am 2. Dezember 2003 im Kulturausschuss des Gemeinderats von der SPÖ abgelehnt. Schon im Vorfeld gab es daran Kritik sowohl der Grünen als auch der HOSI Wien (vgl. der Standard vom 1. 12. 2003). Mailath-Pokorny begründete die Ablehnung damit, dass es mit dem Mahnmal gegen Krieg und Faschismus von Alfred Hrdlicka am Albertinaplatz ohnehin ein Mahnmal gebe, das allen Opfern des NS-Regimes gewidmet sei – was indes nicht zutraf (vgl. zu dieser Kontroverse auch den Standard vom 3. 12. 2003)

Am 16. Dezember 2003 richtete die HOSI Wien daher ein Schreiben an Mailath-Pokorny, um ihre Unterstützung für den grünen Vorschlag zu bekunden und die Sache mit dem Hrdlicka-Denkmal zu erläutern (Auszug):

Am 2. d. haben Sie erklärt, die Stadt Wien hätte mit der Errichtung des Mahnmals gegen Krieg und Faschismus ein Zeichen für alle Opfer des Nationalsozialismus gesetzt. Mit Verlaub, sehr geehrter Herr Stadtrat – das ist eine nachträgliche Auslegung, die nicht zutreffend ist. Wie Sie selber zugeben mußten, werden auf den erklärenden Tafeln die homosexuellen Opfer in der Aufzählung der Gruppen, denen das Denkmal Alfred Hrdlickas am Albertinaplatz gewidmet ist, nicht einmal erwähnt. Bereits 1990 hatten wir eine Ergänzung urgiert, bis heute ist nichts geschehen. Wir nehmen aber mit Freude zur Kenntnis, daß die Tafeln demnächst – mit entsprechender Änderung – ausgetauscht werden sollen, wobei wir auch hoffen, daß die hochgradig problematische Gleichsetzung von den „Opfern“ auf der Täterseite mit jenen Personen und Personengruppen, die üblicherweise als Opfer des NS-Regimes definiert werden, dabei eliminiert wird.

Dennoch kann eine solche späte Uminterpretierung das Denkmal zu keinem Mahnmal für die homosexuellen NS-Opfer machen. Dazu waren auch die dramatischen Ereignisse bei der feierlichen Einweihung des Mahnmals am 24. November 1988, bei der den friedlich gedenkenden Lesben und Schwulen von der Polizei ein Transparent entrissen wurde, mit dem sie auf die nicht erfolgte Rehabilitierung der homosexuellen Opfer aufmerksam machen wollten, einfach zu traumatisierend. Nach diesem Vorfall ist es einfach für die heutige Generation – und insbesondere für die damals Anwesenden – nicht mehr möglich, dieses Denkmal als „ihr“ Mahnmal zu begreifen und als solches anzunehmen…

Näheres zu den Vorfällen bei der Einweihung des Hrdlicka-Denkmals am Wiener Albertinaplatz findet sich in der Abteilung „Nationalsozialismus“ auf diesem Website, insbesondere im Beitrag „Gedenken und demonstrieren“ im LN-Sonderheft zur Ausstellung „Aus dem Leben“ sowie auch in den LN 1/1991, S. 11 f). Jener Teil des Platzes, auf dem das Mahnmal steht, heißt übrigens seit 2009 Helmut-Zilk-Platz – nach dem legendären Wiener Bürgermeister (1927–2008).

Die HOSI Wien ersuchte den Kulturstadtrat in diesem Brief auch um einen Gesprächstermin, der dann am 9. Februar 2004 stattfand. Mailath-Pokorny meinte bei der Gelegenheit, die Stadt Wien wolle noch die Ergebnisse von gerade in Auftrag gegebenen wissenschaftlichen Studien über diese Verfolgung, speziell in der NS-Zeit, abwarten und dann einer Entscheidung über diesen Vorschlag nähertreten. Mit der Fertigstellung der Studien sei im Sommer zu rechnen (vgl. LN 2/2004, S. 14).

 

Gut Ding braucht Weile

2005 beging Österreich das „Gedankenjahr“ – 60 Jahre Ende der Nazi-Herrschaft. In einer Aussendung am 12. Jänner drängte die HOSI Wien u. a. die Stadt Wien, das geplante Mahnmal rasch und zügig umzusetzen, damit seine Verwirklichung noch in diesem Gedenkjahr erfolgen könne. In Berlin war zu dem Zeitpunkt bereits ein Platz für ein derartiges Mahnmal ausgesucht und ein künstlerischer Wettbewerb ausgeschrieben worden.

Am 16. Juni 2005 präsentierten Integrationsstadträtin Sonja Wehsely und Mailath-Pokorny schließlich das Vorhaben der Stadt Wien, das Denkmal auf dem Morzinplatz im 1. Bezirk zu errichten (vgl. LN 4/2005, S. 20 f): Im Rahmen eines internationalen geladenen Wettbewerbs werden acht renommierte KünstlerInnen eingeladen, ihre Entwürfe für die Gestaltung des Mahnmals einzubringen. Über die Einreichungen entscheidet der Beirat für „Kunst im öffentlichen Raum Wien“ (KÖR) gemeinsam mit kooptierten Jurymitgliedern aus dem Fachbereich. In den Diskussionsprozess miteinbezogen wird ein eigens eingesetztes Community-Board mit VertreterInnen der wichtigen LSBT-Einrichtungen in Wien, hieß es in der Aussendung der Stadt Wien.

„Wir freuen uns sehr darüber“, erklärte dazu Obmann CHRISTIAN HÖGL in einer Aussendung der HOSI Wien am 16. Juni 2005: „Mit dem Morzinplatz wurde ein sehr zentraler und aufgrund seiner Geschichte – während der NS-Zeit war dort der Sitz des Gestapo-Hauptquartiers – gut geeigneter Standort gewählt. Die HOSI Wien hat vor einem Jahr in einem Gespräch mit Stadtrat Mailath-Pokorny ihren Wunsch nach einem Mahnmal deponiert, das in Umfang und Gestaltung dem Gedenken an die tausenden homosexuellen Opfer gerecht wird. Mit der entsprechenden finanziellen Dotierung und einem Ausschreibungsverfahren unter acht international renommierten KünstlerInnen entspricht das nun vorgestellte Projekt voll und ganz unseren Erwartungen.“

Eine Realisierung des Projekts noch während des Gedenkjahrs war allerdings unrealistisch geworden.

 

„Rosa Platz“ ausgewählt, aber nicht umsetzbar

Fast ein Jahr später, am 15. Mai 2006, gaben Mailath-Pokorny und Wehsely die Entscheidung der zuständigen Jury bekannt. Unter den eingereichten Vorschlägen hatte Hans Kupelwiesers Entwurf „Rosa Platz“ den Zuschlag bekommen (vgl. Aussendung der Stadt Wien). Die HOSI Wien, die durch GUDRUN HAUER und CHRISTIAN HÖGL im erwähnten Community-Board vertreten war, zeigte sich zufrieden über die Entscheidung (vgl. Aussendung vom 16. Mai 2006), wiewohl Gudrun den „Rosa Platz“ nicht präferierte. Die LN 4/2006 berichteten über diese Entwicklungen und stellten Kupelwiesers Entwurf vor (S. 12 f). Später sollte sich dessen Umsetzung bautechnisch – u. a. wegen der Tiefgarage vor Ort – als unmöglich erweisen. Zudem gab es ein Problem mit der zu verwendenden Farbe für das Wasser (vgl. etwa der Standard vom 19. März 2008). Kupelwieser war hier auch nicht kompromissbereit und lehnte den Vorschlag ab, Boden und Wände des Beckens rosa anzustreichen, was einen ähnlichen Effekt wie rosa gefärbtes Wasser ergeben hätte.

In der Folge wurde es etwas ruhig um das Projekt. Das lag nicht zuletzt am Umstand, dass eine komplette Neugestaltung des Franz-Josefs-Kais zwischen Marc-Aurel-Straße und Postgasse – also des gesamten Areals von Morzin- und Schwedenplatz – beabsichtigt ist. Dieser Plan harrt noch seiner Realisierung. Besagte „Gegend“ ist bis heute ein innerstädtischer Schandfleck. Jedenfalls hätte es keinen Sinn gehabt, Pläne für ein neues Mahnmal an diesem Standort zu schmieden, solange die Planung der Umgestaltung des Platzes nicht abgeschlossen ist.

Im Dezember 2009 wurde beschlossen, als Übergangslösung temporäre und wechselnde Mahnmale zu verwirklichen. Das erste wurde im Jahr darauf am Morzinplatz umgesetzt: „Mahnwache“ von Ines Doujak (vgl. LN 3/2010, S. 12 f).

Bei der Gemeinderatswahl im Oktober 2010 verlor die Wiener SPÖ ihre absolute Mehrheit. Sie ging eine Koalition mit den Grünen ein. Im Regierungsübereinkommen einigte man sich im Kapitel „Verantwortungsvoller Umgang mit der Vergangenheit“ ausdrücklich auf die Errichtung eines Mahnmals für Deserteure (enthüllt im Oktober 2014 am Ballhausplatz) sowie eines Mahnmals für die homosexuellen NS-Opfer (vgl. LN 5/2010, S. 18).

2011 wurde das zweite temporäre Mahnmal – „Zu spät“ – von Carola Dertnig und Julia Rode auf dem Morzinplatz gestaltet. Der 20 Meter lange Schriftzug ZU SPÄT – aus widerstandsfähigen Pflanzen gebildet – war 16 Monate lang (bis Ende Oktober 2012) zu sehen (vgl. LN 3/2011, S. 19). 2013 war Jakob Lena Knebl mit der Installation „Schwule Sau“, ebenfalls am Morzinplatz, an der Reihe. Im April 2015 wurde schließlich bei der U-4-Station Kettenbrückengasse (ganz in der Nähe des Gugg) die Installation „raising the bar“ der Schweizer Künstlerin Simone Zaugg als viertes und letztes temporäres Mahnmal präsentiert – „auf dem Weg zu einem permanenten Mahnmal für diese Opfergruppe“, wie Stadträtin Sandra Frauenberger bei dieser Gelegenheit betonte (vgl. LN 2/2015, S. 12).

Am 28. und 29. November 2014 hatte die Wiener Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche und Transgender-Lebensweisen (WASt) eine Fachkonferenz zum Thema organisiert: „Gedenken neu gedacht – Wien gedenkt vergessener Opfer“ (vgl. LN 1/2015, S. 20). Der Tagungsband ist hier nachzulesen.

Vor einem Jahr schließlich war die Suche nach einem neuen Standort für das permanente Mahnmal zu Ende. Die Stadt Wien gab am 10. Juni 2019 bekannt, dass die Wahl auf den Resselpark am Karlsplatz (4. Bezirk) gefallen sei. Man beachte übrigens die Sprachregelung: Es ist „nur“ mehr von einem Mahnmal für die homosexuellen Verfolgten die Rede.

15 Jahre sind seit der Ankündigung der Stadt Wien vergangen. Doch 2020 ist ja wieder ein rundes Jubiläumsjahr. Jetzt begehen wir eben statt 60 Jahre mittlerweile 75 Jahre Niederringung der NS-Herrschaft. Dass Lesben und Schwule in diesem Land einen langen Atem haben müssen, ist ja nichts Neues. Steht zu hoffen, dass das ausgewählte Projekt diesmal rasch umgesetzt werden kann.

 

Nachträgliche Anmerkungen:

Am 1. Juli 2020 wurde das Siegerprojekt vorgestellt (ich habe meinen Beitrag um zwei entsprechende Fotos ergänzt). Die Aussendung der Stadt Wien dazu findet sich hier.

Ein Jahr später, am 21. Juli 2021, gab die Stadt Wien bekannt, dass Marc Quinn seinen Siegerentwurf für das Denkmal zurückgezogen habe und die Stadt Wien das Projekt neu ausschreiben werde. Zurück an den Start also.

Am 25. Mai 2022 wurde schließlich das im Rahmen einer neuen Ausschreibung prämierte und zur Umsetzung im Resselpark (am Karlsplatz, 4. Bezirk) ausgewählte Projekt vorgestellt. Siehe Beitrag hier.

Am 5. Juni 2023 wurde das Mahnmal im Resselpark am Karlspark – „ARCUS (Schatten eines Regenbogens)“ von Sarah Ortmeyer und Karl Kolbitz – schließlich offiziell „enthüllt“ und eingeweiht.

Ein ausführlicher Beitrag über die „verspätete Erinnerung“ findet sich auch in profil vom 8. Mai 2017.

 

Roland Schöny (KÖR), Andreas Mailath-Pokorny und Sonja Wehsely präsentieren am 16. Juni 2005 offiziell den Plan, in Wien ein Mahnmal für die homosexuellen NS-Opfer zu errichten, und geben Details dazu bekannt.

Hans Kupelwiesers am Morzinplatz vorgesehenes Projekt „Rosa Platz“ konnte aus bautechnischen Gründen nicht umgesetzt werden.

KÖR-Geschäftsführerin Martina Taig, WASt-Leiter Wolfgang Wilhelm, Bezirksvorsteherin Lea Halbwidl, Antidiskriminierungs-Stadtrat Jürgen Czernohorszky, Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler, Gemeinderätin Marina Hanke und Gemeinderat PETER KRAUS (v.l.n.r.) gaben im Juni 2019 den neuen Standort für das NS-Mahnmal, den Resselpark am Karlsplatz, bekannt.

Am 1. Juli 2020 wurde das Siegerprojekt präsentiert: Wettbewerbsjury-Vorsitzender HANNES SULZENBACHER (Zentrum QWIEN), Antidiskriminierungs-Stadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ), Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) und der grüne Gemeinderat PETER KRAUS.

Und so sieht es aus: das Siegerprojekt von Marc Quinn. Wie die Stadt Wien im Juli 2021 bekanntgegeben hat, wird es doch nicht umgesetzt (siehe "Nachträgliche Anmerkungen" am Ende dieses Beitrags).

Im dritten Anlauf wurde im Mai 2022 der Entwurf „ARCUS (Schatten eines Regenbogens)“ von Sarah Ortmeyer und Karl Kolbitz prämiert.

Am 5. Juni 2023 wurde das Mahnmal im Resselpark am Karlspark schließlich offiziell „enthüllt“ und eingeweiht.